Prosit Neujahr!
An alle Mit-Philosophen,
das Thema Jesus unter literarisch-psychologischen Gesichtspunkten zu betrachten, so zeigen alle bisherigen Beiträge – einschließlich meines eigenen – ist ein umfangreiches Unterfangen. Eigentlich ist es eine Aufgabe für Theologen und deren Klärung religiöser Glaubensfragen.
Mit philosophischen Augen betrachtet ist das Jesus-Problem in erster Linie eine Frage der Metaphysik. Und zwar in dem Sinne, dass das menschliche Nachdenken über Grundprobleme der menschlichen Existenz auch die Frage nach einem diese tragenden Urgrund stellen und beantworten sollte. [@rudhi bekannter Diskussionspunkt aus einem anderen thread.] Erst wenn diese Probleme geklärt sind, kann man sich sinnvollerweise die Frage stellen: Wer war Jesus?
Unterstellt man einmal, dass die Frage nach der Existenz und der Erkennbarkeit eines absoluten dem Menschen gegenüber unabhängigen, weil transzendenten, personalen Urgrundes positiv entschieden sei und unterstellt man weiter, dass
jeder Mensch zu diesem Urgrund in eine persönliche Beziehung treten kann, dann ist es durchaus vorstellbar, dass es möglich ist, dass ein Mensch wie z.B. Jesus eine solche enge Beziehung zu diesem haben kann, die er höher schätzt, als sein eigenes Leben. In einer immerhin nur dreijährigen öffentlichen Tätigkeit hat dieser dann „geistbegabte Mensch“ durch Worte und Taten versucht, seinen Anhängern und denjenigen, die ihn für das hielten, was sie in ihm zu erkennen glaubten, vorgelebt und vorgetragen, was ihn in seinem Innersten zusammenhielt. Dass er damit in Konflikt mit der überlieferten jüdischen Tradition geriet und auch bei seinen nicht-jüdischen Zeitgenossen oft mehr Fragen aufwarf, als Antworten zu geben, ist bei seinem im höchsten Maße eigenverantwortlichen Selbstverständnis nicht verwunderlich. Anzumerken ist, dass diese Sichtweise der Jesus-Gestalt zwar inzwischen Eingang in die katholische Lehre gefunden hat, aber bei weitem nicht zu dem gehört, was man in der Regel unter katholisch versteht. Als Beispiel mag der von mir zitierte katholische Theologe Eugen Drewermann gelten, dem man vor einigen Jahren die Berechtigung zur Lehrtätigkeit entzogen hat.
Philosphen mit einer vergleichbar unabhängigen Persönlichkeit wie z.B. Sokrates legen den Schluss nahe, dass die innige Verbindung zwischen Urgrund und Mensch kein Privilig der Religion ist. Auch für Sokrates galt ähnlich wie für Jesus – immer oben erwähntes vorausgesetzt - , dass ihm die Ausrichtung seines eigenen Lebens an dem was „der Gott“ von ihm verlangt, mehr bedeutet als sein Leben und der Tod: „ Athener, ich achte und liebe Euch; gehorchen aber werde ich dem Gotte mehr als Euch. Und solange ich atme und Kraft dazu habe, werde ich nicht leicht aufhören zu forschen. Und ich werde jeden von Euch, mit dem ich jeweils zusammenkomme, mahnen und zu überzeugen suchen ...“ (Platon: Apologie des Sokrates, 29 d)
Und nun noch einen Gedanken zu deinen Bemerkungen ,Gisbert, über das, was nach der Religion folgt, der natürlich voller noch zu prüfender Voraussetzungen steckt. Angst-Religion kann keine Basis für menschliches Denken und Handeln sein, da bin ich mit dir einig. Der Begründer des modernen Existentialismus, ein Angst-Experte par excellence Sören Kierkegaard, hat mit seinem Leben und Denken den Bankrott eines solchen Religionsverständnisses tragisch dokumentiert. Der Atheismus ist allerdings heute auch schon wieder überholt, weil ihm der Gegner abhanden gekommen ist. Die vorherrschende geistige Strömung heute würde ich als Gottvergessenheit bezeichnen, die unsere gegenwärtige Grenzsituation krisenhaft in ein Denken hineintreibt, das alles und jedes für möglich hält, wenn es denn nur von irgendjemanden behauptet und durch berichtete Erfahrungen untermauert wird, deren Nachprüfbarkeit sich jedem Dialog entzieht. Nicht nur damals zuzeiten Jesu, sondern auch heute, nachdem wir alles entmythologisiert ,säkularisiert und entgottet haben, gilt deine Kritik: Es wird der „...Bogen der Realitätswahrnehmung entschieden überspannt.“ (3.12.02) Erkenntnisse und Erkenntniswege, die grundlegend für ein gemeinsames philosphierendes Denken sein sollen, müssen darum genauestens untersucht werden!
Und auch noch ein Wort an dich, rudhi, zu deinen Fragen an meinen Beitrag, auch wenn die Antworten dazu schon in dem oben geschriebenen angedeutet werden. In der Tat denke ich, ähnlich wie Drewermann, dass die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie Jungscher Ausprägung für viele Menschen, die an der geistigen Armut unserer weithin auch entmenschlichten Welt schier verzweifeln, ein moderner und darum gangbarer Weg zur Erfahrung und Begegnung mit einem übermenschlichen, personalen Urgrund sein können. Das von mir verwendete Drewermann-Zitat steht im Kontext mit seiner Kritik an der dogmatischen historisch-kritischen Bibelexegese, in der er den Ausdruck der
Angst der Kirche vor der Nähe Gottes sieht und in dem damit verbundenen Versäumnis diese Nähe ins Zentrum kirchlicher Lehre zu rücken. Den nächsten Schritt zur Erkenntnisfindung in unserer gegenwärtigen Situation, lieber Rudhi, sehe ich darum, in einer gründlichen Prüfung aller Erkenntnisse und Erkenntnismethoden. Um ein Bild zu benutzen: Jemand der sich in unwegsamem und unbekannten Gelände verirrt hat, sollte lieber zweimal nachdenken und seine Entscheidungen prüfen, bevor er weitergeht und riskiert noch mehr in die Irre zu gehen.
Entschuldigt, dass mein Beitrag sich so in die Länge gezogen hat. Zum Trost lasst euch sagen, dass ich viele Stunden in Gedanken, über eure Beiträge verbracht habe und dann noch einmal Stunden, um meine in die Maschine zu tippen.
Eine allerletzte persönliche Anmerkung zu meiner Person: Hinter dem „mwirthgen“ verbirgt sich eine weibliche Person namens Monika. Deine Nickname-Idee, lieber Gisbert, gefällt mir aber immer noch sehr. Nennt mich ruhig weiterhin „Manfred“, so fällt ein Spritzer Komik in die sonst so ernste Thematik dieses Forums.
Aber es sei jedem freigestellt, mich so anzusprechen, wie er es möchte!
Gute Wünsche fürs Neue Jahr
Euer Manfred
Denn eines muss man doch erreichen: entweder von einem anderen zu lernen oder die Wahrheit über etwas selbst zu finden. (frei nach Platon)