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Jesus

Eine Frage des Zugangs

Meiner Meinung nach kann man sich Jesus auf verschiedenen Wegen nähern. Wenn man z.b. die Bibel auf ihre Bilder hin betrachtet, und nicht vergisst, dass sie k e i n e historischen Wahrheiten vermitteln will, so kann man sicherlich einen besseren Zugang zu ihm finden, als wenn man die Bibel fundamentalistisch nimmt und wortwörtlich interpretiert. Die Bibel spricht in Bildern über religiöse Erfahrungen, und diese sind im Prinzip in allen Religionen ähnlich - nur die Bilder variieren von Kultur zu Kultur.

Viele Grüße

Joachim
 
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Mögliche "Erkenntnisse" über Jesus?

Nun endlich der versprochene (unvollständige!) Versuch, die Denkweise über Jesus in der Vergangenheit anhand einiger Beispiele darzustellen. Auf Änderungen und Korrekturen von Euch freue ich mich. Beim Versuch, im Zuge der Aufklärung sich dieser Persönlichkeit zu nähern ging es oftmals darum den „Christus-Mythos“ beiseite zu lassen, um mehr über diese Persönlichkeit vor 2000 Jahren zu erfahren...

Reimarus mit seiner These: „Jesus war ganz und gar Jude, im jüdisch weltlichen Sinne“ war einer der ersten, der sich für den historischen Jesus wirklich interessierte. Sein Buch „Vom Zwecke Jesu...“ wurde erst viel später von Lessing veröffentlicht. Nicht nur die Kühnheit, die Kreuzigung als Fehlschlag, von Jüngern umgedeutet, darzustellen, hätte ihn zu seiner Zeit vermutlich das Leben gekostet!

Nächster Schritt war die „Mythos-Debatte“ (Heyne, De Wette, D.F. Strauß). Wobei Heyne sagt, vorliterarische Denkformen, wie in der Bibelsprache üblich, seien aufgrund des damaligen Mangels an Wissen, Ausdrucksvermögen und Abstraktion notwendig gewesen; von einer kindlichen Stufe des Menschengeschlechts spricht er. Man konnte einfach Ideen vor 2000 Jahren noch nicht abstrakt ausdrücken. Damit greift er aber auch diejenigen an, die - auch heute noch - Bibeltexte zu wörtlich nehmen. Dagegen befasste sich De Wette mit dem Alten Testament, befand Mythen als „freie Dichtung“ und „Bilder von religiösen Gefühlen“, unhistorisch also. Das heißt: Religion kann sich nur im Mythos, im bildhaften Sein ausdrücken; daher gehört Mythos zur Religion als „Ahnung vom Ewigen im Unendlichen“. Im 18. Jahrhundert wurde also erstmals eingestanden, Glaubensebene sei nicht identisch mit unserer Wissensebene. Logische Konsequenz war die Übertragung De Wettes Gedanken auf das Neue Testament von Strauß „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet“ füllte im Jahre 1835 zwei Bände. Beim Mythos handele es sich um erfundene Geschichte, um Ideen (z.B. die Einheit von Mensch und Gott) widerzugeben. Es fehlt daher an Kausalität...

Dann kam Kant. Und Ritschel. Holtzmann stellte zwischenzeitlich mit seiner 2-Quellen-Theorie fest: Markus und die Reden seien historische Quellen, aus denen Matthäus und Lukas sich „schöpferisch“ bedienten. Wieder ein Tabubruch.

Nach 1900 kam von Harnack (Schüler von Ritschel), dessen eigenwillige Darstellungsweise und Art, theologische Erkenntnisse eher intuitiv zu suchen, ihm einen Ruf als „Salontheologe“ bescherten. Sein Buch „16 Vorlesungen des Wesens des Christentums WS 1899/1900“. Voraussetzung für Historiker sei es, „existenzielle Betroffenheit“ zu spüren, um überhaupt deuten zu können. In seiner 3bändigen „Dogmenlehre“ sagt er, „ruhende Elemente“ der Jesuslehre seien am höchsten zu bewerten, also innerseelische Angelegenheiten. Christentum sieht Harnack nicht als Erlösungsreligion, betrachtet die große Leistung von Jesus darin, „Gott am tiefsten erfaßt“ zu haben. Hier könnte der philosophische Existenzialismus begonnen haben.

Harnacks Theologie und Weltbild zerbrach mit dem I.Weltkrieg. Da kamen liberale Theologen zum Zuge: Martin Keller (auf den ich am Anfang dieses Threads Bezug nehme) sagte: „Das Jesusbild ist eine Projektion eigener Vorstellungen und Wünsche“. Hier also eine Abkehr von Versuchen, eine Biografie zu (re-) konstruieren. Albert Schweitzer (dessen Moralphilosophie der „Ehrfurcht vor dem Leben“ ich übrigens immer geschätzt habe) wollte Jesus in dessen jüdischer Umwelt betrachten, und zwar als „Autorität des Willens“ (nicht des Intellekts); einen Messias gäbe es erst bei Eintritt des „Reich Gottes“. Und Wilhelm Bousset untersuchte die „kultische“ Verehrung des oder eines Herrn, sah Judentum und Christentum als Mischung aus anderen Religionen. Seine provokative Konsequenz die Frage: „Darf die Kirche als „Religionsmischung“ überhaupt missionieren?“ Und: Welchen Wert gegenüber den anderen Religionen hat die Kirche überhaupt?

Der Dogmatiker Ernst Troeltsch setzte noch eins drauf und bestreitet den Absolutheitsanspruch der Kirche: „Alles wackelt!“ Fragt: Gibt es Einheitliches bei den Religionen? Den Dialog mit anderen Religionen suchend, zumal er die Übertragbarkeit des Christentums in andere außereuropäische Kulturbereiche verneint. Troeltsch sieht Religionen als „Lichter aus gleicher Quelle gespeist“. Jesus lasse etwas Absolutes/ Göttliches erahnen. Aber auch andere Religionen.

Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), von dem kein einziges Buch existiert, allerdings zahlreiche Briefe (z.B. „Widerstand und Ergebung“) und eine bedeutende Biografie von Bethge ist für mich einer der bedeutendsten theologischen Aufklärer. Er betrachtete seine Zeit als „Religionslosigkeit“ (das war vor 100 Jahren!) Und fragte: was ist ein religionsloses Christentum? Und wie sprechen wir weltlich (!) von Gott? - Bonhoeffers Antwort: die Autonomie und Mündigkeit des Menschen, der mit sich selbst in allen wichtigen Fragen fertig wird! Dies habe die moderne Theologie zu berücksichtigen. Hier die Konsequenz: Loslösung von Gott, was die Kirche durch Erzeugung von Schuldgefühlen zu verhindern suche und behaupte, Mündigkeit sei Gottlosigkeit! Bonhoeffer weiß: Mündigkeit ist vom Schöpfer gewollt. Bonhoeffer schuf somit ein neues Gottes- und Jesusbild: Jesus/ Christus hilft (!), den (schwachen) Gott zu begreifen, der sich zurückzieht/ sich herausdrängen lässt aus der Welt. Nur der „leidende“, ohnmächtige Gott kann helfen, ein „Allmächtiger“ Gott kann nicht mit dem Menschen solidarisch sein. Daß in Jesus am Kreuz Gott „leidet“, diese Positionen waren gerade im III.Reich prägend für die Leidenden.

Zu Bonhoeffers theologischer Begründung der Mündigkeit fehlt an dieser Stelle noch sein Religionsbegriff: er will Metaphysik und Transzendenz (Gott als Überbau des Daseins betrachtend)... aber das Gegenteil, eine „Fluchtbewegung“ aus der Welt findet er vor. Die Kirche als „geistliche Apotheke“, die sich in immer kleinere Bereiche zurückzieht, Vormundschaft und Gewissensinstanz mit dem Hauptzwecke: Sicherung von Macht und Ordnung, letztlich Verteidigung von Privilegien. Es fehle die „geistliche Redlichkeit“. Bonhoeffer, der für Innerlichkeit und Individualismus eintritt, will also eine „persönliche Kultivierung“ der Religion: erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens kann man Glauben lernen, d.h. sensibel und solidarisch werden für die Welt. Er will trotz der Konzentration auf das Diesseits dennoch Frömmigkeit, allerdings durch stilles Gebet, Liturgie oder Mediation.

Von Heidegger wohl beeinflußt, sagte Bultmann: „Der Mensch ist Möglichkeit“ und trifft einen neuen theologischen Ton, weniger abstrakt als bisheriges und mit weniger intellektueller Distanz. Seine Konsequenz: nicht über Gott/ die Liebe/ usw. reden... man muß es tun, sich öffnen! Die „eigentliche Sünde“ sei Hochmut. Bultmann vertritt folgende Thesen: das Neue Testament ist „mystisch“ und Sinn des Mythos ist kein Weltbild, sondern deutet an, wie sich der Mensch „existenziell“ versteht. Die eigene Existenz jedes Einzelnen wird berührt. Also: das „Kreuz“ als Symbol der Befreiung! Symbol der Erlösung! neu verstehen lernen muß der Mensch. Die „Gebundenheit“ des Menschen (entspricht Heideggers „man“-Zwängen) ist aufgelöst, d.h. Leben statt gelebt werden! Fazit Bultmanns Theologie: die Kreuzgeschichte und religiöse Biografien stehen hierzu im Widerspruch: eine Revision sei nötig und möglich! Und wieder einmal beeindruckt mich, daß die mühsame Vorarbeit der Aufklärer am Anfang dieses Artikels irgendwann Auswirkungen zeigten.

Was „glauben“ Jesusforscher und Theologen heute überhaupt noch?

An diesem Punkt angelangt, stellen wir vielleicht erstaunt fest: die Legenden aus Gottesdiensten entsprechen nicht mehr dem eigentlichen Wissen oder Glauben heutiger Menschen! Irgendwie beruhigend, wie sich Aufklärer (entgegen der vorherrschenden Dogmen) der Wahrheit genähert haben, den praktischen Nutzen für den modernen, mündiger gewordenen Menschen suchend! Und sogar der Wunsch, einen „historischen Jesus“ zu entdecken, kann ein heutiger Denker ein bißchen verwirklichen. So zum Beispiel beim Juden Ben-Chorin: „Der Glaube Jesus eint uns, der Glaube an (!) Jesus trennt uns!“ Die Traditionen „Schicht für Schicht abtragen“, will er, um das ursprüngliche Antlitz Jesus hervorzubringen: Jesus war Jude, sogar Pharisäer. Kein Prophet, kein Messias... sondern Schriftgelehrter, der interpretierte und Gleichnisse schaffte wie alles großen Gesetzeslehrer seiner Zeit.

Jesus als Juden seiner Zeit, als einen „geistbegabten Menschen“: Charismatiker, Visionär, sozialen Propheten, Weisheitslehrer, Philosophen oder politischen Anführer zu sehen ist für uns eines - „Jesus als Stellvertreter“ wohl gängistes Jesusbild der Kirche heutzutage. Die Theologin Sölle schließt daraus: Gott ist da, wo der Mensch zu sich selbst kommt. Gott ist nicht zu denken, sondern zu leben! Jesus vertritt den abwesenden Gott, der nicht erfahrbar ist, bei mir. („Gottesfinsternis“) Und hält meine Stelle bei Gott offen. Jesus als einzige spürbare Verbindung zu Gott?



Ein Schlußwort...

"Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So tun alle Gläubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben. Nun heiße ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren." (Friedrich Nietzsche)
 
theologie? wie es euch gefällt!

Lieber rudhi und andere mitredner,

ich bin ganz beeindruckt von deinem Fleiß und deinem Bemühen ein Jesus-Bild ohne Christologie zu entwerfen! Doch bei allem Respekt: Die historisch-kritische Bibelforschung erscheint mir eine Sackgasse! Wäre das nicht so ähnlich, als wollte man verstehen, wie ein Baum die Nährstoffe aus dem Boden aufnimmt, ohne dabei die Funktion der Wurzeln zu bedenken? Habt Verständnis, wenn ich angesichts der vorangeschrittenen Zeit, ein Zitat aus dem ersten Band der "Tiefenpsychologie und Exegese" von Eugen Drewermann zum Nachdenken und Weiterdiskutieren anbiete: "Wir hätten keinen Grund, ... die Bibelexegese in ihrer monopolisierten Form als historisch-kritische Methode der Schriftauslegung von der Tiefenpsychologie her einer gründlichen Revision zu unterziehen, wenn nicht diese auf fast allen Lehrstühlen der Bibelwissenschaften als einzige etablierte Form des Umgangs mit den Grundtexten der jüdischen und christlichen Glaubensüberlieferung zutiefst ein Ausdruck eben jener Geisteshaltung wäre, die in der rationalistischen Verstandeseinseitigkeit des 19.Jh. vom Menschen und seiner Geschichte allein die Welt der objektiven Fakten als historisch wirklich gelten lassen möchte. ....In ihrer Konzentration auf das "Wort" ist sie außerstande, die Welt der Bilder und Träume, der alle wahrhaft religiösen Worte ihren Ursprung verdanken, in adäquaten Sprach- und Handlungsgebärden im eigentlichen Sinne zur "Sprache" zu bringen,..." (ebd. S.12) Und unter Hinweis auf Kierkegaard, der auf den drohenden Bankrott der historisierenden Art einer "wissenschaftlichen Bibelauslegung" schon zu seiner Zeit hinwies, fährt D. fort: "Kierkegaards Entweder-Oder ist in diesem Punkte ein absoluter Scheideweg: entweder es ist die Aufgabe des Theologen, möglichst viel an historischem Wissen über Jesus Christus aufzuhäufen, dann besaß ein jeder Pharisäer zur Zeit Jesu einen unendlichen Vorsprung, oder es ist einzig erfordert, gerade kein Pharisiäer zu werden und ohne geschichtliches Vorwissen in existentiellem Sinne ein Gleichzeitiger zu sein." (ebd. S. 13)

Übrigens hat das Zweite Vatikanische Konzil in den sechzigern des letzten Jahrhunderts einer weltweiten Entwicklungstendenz moderner Menschen Rechnung tragend zum ersten Mal in der Kirchengeschichte die Verantwortung jedes Einzelnen für sein eigenes Entscheiden und Handeln auch in religiösen Fragen festgeschrieben.

Bis bald Manfred aus Gelsenkirchen :D

PS: @rudhi - danke für deinen Hinweis auf meine fehlerhafte zitiererei.
:eek:
 
@mwirtgen

Original geschrieben von mwirthgen
Die historisch-kritische Bibelforschung erscheint mir eine Sackgasse!
Hi Manfred, wirklich? Ich habe versucht zu zeigen, wie Theologen den Weg der Aufklärung versuchten zu gehen. Daß diese in "ihren Bahnen schwimmen" ist klar. Philosophen sind da weniger voreingenommen oder gehemmt. Übrigens denke ich, an diesem Punkt der Jesusforschung ist Schluß, jetzt müßte die Kirche "Gott" antasten und den "Vater"-Mythos.

Original geschrieben von mwirthgen Wäre das nicht so ähnlich, als wollte man verstehen, wie ein Baum die Nährstoffe aus dem Boden aufnimmt, ohne dabei die Funktion der Wurzeln zu bedenken?

Wo würdest Du den nächsten Schritt zur Erkenntnisfindung sehen? Zuerst die verkrampfte Haltung der Kirche zu Psychologie/ Psychoanalyse aufbrechen vielleicht? Das ganze Drewermann-Zitat ist auf die Schnelle etwas kompliziert nachzuvollziehen, ich vermute, Du siehst den tiefenpsychologischen Aspekt nicht berücksichtigt (wie es Drewermann bei "seiner" Erkenntnissuche betreibt) - ist es das?

Original geschrieben von mwirthgen Eugen Drewermann zum Nachdenken und Weiterdiskutieren: "allein die Welt der objektiven Fakten als historisch wirklich gelten lassen (...) In ihrer Konzentration auf das "Wort" ist (man) außerstande, die Welt der Bilder und Träume, der alle wahrhaft religiösen Worte ihren Ursprung verdanken, in adäquaten Sprach- und Handlungsgebärden im eigentlichen Sinne zur "Sprache" zu bringen,..."
Das dürfte auch Kierkegaard, der ja als "Vordenker" für die Psychologie einiges geleistet hat, gemeint haben, wenn er Sinn der "historischen Herangehensweise" an die Philosophie des Jesus abwertet.

Ganz am Anfang, als ich diesen Thread eröffnet habe, wies ich ja auch auf die "literarische" (das heißt für mich auch psychologische) Faszination des NT! Beleidigt fühle ich mich übrigens nicht, den psychologischen Aspekt hätte ich sehr gerne hier noch näher erläutert. Habe das Buch über den "Kleinen Prinzen" von Drewermann gelesen & fand es gut. Aber meine Lektüre von Drewermann, Kierkegaard & Co. liegt jetzt 10 Jahre zurück. So langsam kann ich mich wieder "ranarbeiten", entschuldige mich aber vorab, wenn mich meine Erinnerung mal im Stich läßt.


Original geschrieben von mwirthgen Übrigens hat das Zweite Vatikanische Konzil in den sechzigern des letzten Jahrhunderts einer weltweiten Entwicklungstendenz moderner Menschen Rechnung tragend zum ersten Mal in der Kirchengeschichte die Verantwortung jedes Einzelnen für sein eigenes Entscheiden und Handeln auch in religiösen Fragen festgeschrieben.
Hurra! :rolleyes:

Rudhi
 
Der historische Jesus

Vergesst nicht Holger Kersten, der gute Forschung zum Thema geleistet hat. Er vertritt die These, dass Jesus die Kreuzigung überlebt haben muss (Und nur so sind die dazugehörigen Bibeltexte auch zu verstehen!) Dann ist er in Richtung Osten geflüchtet und soll nach 16 Jahren in Indien angekommen sein, wo er im hohen Alter starb. Auch nur eine These. Aber glaubwürdiger als alles andere zur Jesus-Story (z.B. die hanebüchne "Erlösungstheorie"), was die großen theologischen Forscher auf dem Weg zur "Aufklärung" anscheinend noch unangetastet lassen.
Die Philosophen - und Holger Kersten - sind schon lange weiter als sie...
 
Original geschrieben von Rudhi
Neues Thema: JESUS! (Oh je, werden einige sagen!?)

Ich wage es mal, obwohl ich im "kirchlichen, christlichen Sinne" selbst eher wohl Atheist bin... über Jesus als Philosoph und Charismatiker zu sprechen lohnt auf jeden Fall. Und als Schriftsteller fasziniert mich auch die "literarische Person", obwohl ich denke, der Mensch Jesus hat nie Naturgesetze gebrochen. War vollkommen Mensch, hätte er sich sonst "taufen" lassen?

Ich meine jetzt nicht "Christus" (das verdient eine andere Rubrik), sondern einen Menschen, der bis heute die Emotionen bewegt. Und polarisiert! Mich beeindruckt, wie oft gerade in den letzten 100 Jahren die Meinungen über Jesus sich änderten. Fast kommt er mir wie ein Spiegel vor, in dem die Menschen ihr "Vorbild" hineinprojezieren. Ich werde einiges davon hier mal ausbreiten, wenn ich meine Notizen geordnet habe.

Ich hoffe, in dieser Kolumne reden wir nicht über die "Glaubensebene", dann würde die Diskussion leicht chaotisch werden. Mich interessiert eher der Aspekt: Was fasziniert uns an Jesus? Was wollen wir in ihm sehen? Und interessieren würde mich auch, über die "literarische Figur" näher zu sprechen.
Ich bin der Meinung, die Autoren des Evangeliums (vor allem Johannes) haben aus literarisch-künstlerischer Sicht richtig gehandelt, nicht bei der Wahrheit zu bleiben... es geht vielleicht nur um ein Gefühl, eine Ur-Sehnsucht (nach was eigentlich), die uns irgendwie anzieht und (als "denkende Menschen") gleichzeitig abstößt, weil Religion doch neben Glauben auch Aberglauben bedeutet, oder?

So, jetzt seit IHR erstmal dran...

Rudhi

hi,miteinand.
ich bin phytagoräer und atheist.
mein jesusbild stammt aus dem religionsunterricht in pflichtschule und gymnasium.
in die frage, ob es ihn gegeben hat und ob die religionen,die sich auf ihn berufen, das erbe ihres stifters korrekt interpretieren, mische ich mich mangels sachkenntnis nicht ein.
dennoch:
ich halte die bibel und das neue testament für ein ganz außerordentliches orientalisches weisheitsbuch, aus welchem man ganz gut für sich selber assoziationen ("daisy chains") blasten kann.
ich tue immer wieder mal.kanns echt empfehlen.

mit lieben grüßen,
werner:) :)
 
Prosit Neujahr!

An alle Mit-Philosophen,

das Thema Jesus unter literarisch-psychologischen Gesichtspunkten zu betrachten, so zeigen alle bisherigen Beiträge – einschließlich meines eigenen – ist ein umfangreiches Unterfangen. Eigentlich ist es eine Aufgabe für Theologen und deren Klärung religiöser Glaubensfragen.

Mit philosophischen Augen betrachtet ist das Jesus-Problem in erster Linie eine Frage der Metaphysik. Und zwar in dem Sinne, dass das menschliche Nachdenken über Grundprobleme der menschlichen Existenz auch die Frage nach einem diese tragenden Urgrund stellen und beantworten sollte. [@rudhi bekannter Diskussionspunkt aus einem anderen thread.] Erst wenn diese Probleme geklärt sind, kann man sich sinnvollerweise die Frage stellen: Wer war Jesus?

Unterstellt man einmal, dass die Frage nach der Existenz und der Erkennbarkeit eines absoluten dem Menschen gegenüber unabhängigen, weil transzendenten, personalen Urgrundes positiv entschieden sei und unterstellt man weiter, dass jeder Mensch zu diesem Urgrund in eine persönliche Beziehung treten kann, dann ist es durchaus vorstellbar, dass es möglich ist, dass ein Mensch wie z.B. Jesus eine solche enge Beziehung zu diesem haben kann, die er höher schätzt, als sein eigenes Leben. In einer immerhin nur dreijährigen öffentlichen Tätigkeit hat dieser dann „geistbegabte Mensch“ durch Worte und Taten versucht, seinen Anhängern und denjenigen, die ihn für das hielten, was sie in ihm zu erkennen glaubten, vorgelebt und vorgetragen, was ihn in seinem Innersten zusammenhielt. Dass er damit in Konflikt mit der überlieferten jüdischen Tradition geriet und auch bei seinen nicht-jüdischen Zeitgenossen oft mehr Fragen aufwarf, als Antworten zu geben, ist bei seinem im höchsten Maße eigenverantwortlichen Selbstverständnis nicht verwunderlich. Anzumerken ist, dass diese Sichtweise der Jesus-Gestalt zwar inzwischen Eingang in die katholische Lehre gefunden hat, aber bei weitem nicht zu dem gehört, was man in der Regel unter katholisch versteht. Als Beispiel mag der von mir zitierte katholische Theologe Eugen Drewermann gelten, dem man vor einigen Jahren die Berechtigung zur Lehrtätigkeit entzogen hat.

Philosphen mit einer vergleichbar unabhängigen Persönlichkeit wie z.B. Sokrates legen den Schluss nahe, dass die innige Verbindung zwischen Urgrund und Mensch kein Privilig der Religion ist. Auch für Sokrates galt ähnlich wie für Jesus – immer oben erwähntes vorausgesetzt - , dass ihm die Ausrichtung seines eigenen Lebens an dem was „der Gott“ von ihm verlangt, mehr bedeutet als sein Leben und der Tod: „ Athener, ich achte und liebe Euch; gehorchen aber werde ich dem Gotte mehr als Euch. Und solange ich atme und Kraft dazu habe, werde ich nicht leicht aufhören zu forschen. Und ich werde jeden von Euch, mit dem ich jeweils zusammenkomme, mahnen und zu überzeugen suchen ...“ (Platon: Apologie des Sokrates, 29 d)


Und nun noch einen Gedanken zu deinen Bemerkungen ,Gisbert, über das, was nach der Religion folgt, der natürlich voller noch zu prüfender Voraussetzungen steckt. Angst-Religion kann keine Basis für menschliches Denken und Handeln sein, da bin ich mit dir einig. Der Begründer des modernen Existentialismus, ein Angst-Experte par excellence Sören Kierkegaard, hat mit seinem Leben und Denken den Bankrott eines solchen Religionsverständnisses tragisch dokumentiert. Der Atheismus ist allerdings heute auch schon wieder überholt, weil ihm der Gegner abhanden gekommen ist. Die vorherrschende geistige Strömung heute würde ich als Gottvergessenheit bezeichnen, die unsere gegenwärtige Grenzsituation krisenhaft in ein Denken hineintreibt, das alles und jedes für möglich hält, wenn es denn nur von irgendjemanden behauptet und durch berichtete Erfahrungen untermauert wird, deren Nachprüfbarkeit sich jedem Dialog entzieht. Nicht nur damals zuzeiten Jesu, sondern auch heute, nachdem wir alles entmythologisiert ,säkularisiert und entgottet haben, gilt deine Kritik: Es wird der „...Bogen der Realitätswahrnehmung entschieden überspannt.“ (3.12.02) Erkenntnisse und Erkenntniswege, die grundlegend für ein gemeinsames philosphierendes Denken sein sollen, müssen darum genauestens untersucht werden!

Und auch noch ein Wort an dich, rudhi, zu deinen Fragen an meinen Beitrag, auch wenn die Antworten dazu schon in dem oben geschriebenen angedeutet werden. In der Tat denke ich, ähnlich wie Drewermann, dass die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie Jungscher Ausprägung für viele Menschen, die an der geistigen Armut unserer weithin auch entmenschlichten Welt schier verzweifeln, ein moderner und darum gangbarer Weg zur Erfahrung und Begegnung mit einem übermenschlichen, personalen Urgrund sein können. Das von mir verwendete Drewermann-Zitat steht im Kontext mit seiner Kritik an der dogmatischen historisch-kritischen Bibelexegese, in der er den Ausdruck der Angst der Kirche vor der Nähe Gottes sieht und in dem damit verbundenen Versäumnis diese Nähe ins Zentrum kirchlicher Lehre zu rücken. Den nächsten Schritt zur Erkenntnisfindung in unserer gegenwärtigen Situation, lieber Rudhi, sehe ich darum, in einer gründlichen Prüfung aller Erkenntnisse und Erkenntnismethoden. Um ein Bild zu benutzen: Jemand der sich in unwegsamem und unbekannten Gelände verirrt hat, sollte lieber zweimal nachdenken und seine Entscheidungen prüfen, bevor er weitergeht und riskiert noch mehr in die Irre zu gehen.


Entschuldigt, dass mein Beitrag sich so in die Länge gezogen hat. Zum Trost lasst euch sagen, dass ich viele Stunden in Gedanken, über eure Beiträge verbracht habe und dann noch einmal Stunden, um meine in die Maschine zu tippen.
Eine allerletzte persönliche Anmerkung zu meiner Person: Hinter dem „mwirthgen“ verbirgt sich eine weibliche Person namens Monika. Deine Nickname-Idee, lieber Gisbert, gefällt mir aber immer noch sehr. Nennt mich ruhig weiterhin „Manfred“, so fällt ein Spritzer Komik in die sonst so ernste Thematik dieses Forums.:D Aber es sei jedem freigestellt, mich so anzusprechen, wie er es möchte!


Gute Wünsche fürs Neue Jahr

Euer Manfred


Denn eines muss man doch erreichen: entweder von einem anderen zu lernen oder die Wahrheit über etwas selbst zu finden. (frei nach Platon)
 
Re: Prosit Neujahr!

Original geschrieben von mwirthgen
Eigentlich ist es eine Aufgabe für Theologen und deren Klärung religiöser Glaubensfragen.

Genau das glaube ich nicht, es wäre schade eine so interessante historische Figur nur den Theologen zu überlassen!
 
Gottvergessenheit?

Original geschrieben von mwirthgen
Und nun noch einen Gedanken zu deinen Bemerkungen ,Gisbert, über das, was nach der Religion folgt, der natürlich voller noch zu prüfender Voraussetzungen steckt. Angst-Religion kann keine Basis für menschliches Denken und Handeln sein, da bin ich mit dir einig. Der Begründer des modernen Existentialismus, ein Angst-Experte par excellence Sören Kierkegaard, hat mit seinem Leben und Denken den Bankrott eines solchen Religionsverständnisses tragisch dokumentiert. Der Atheismus ist allerdings heute auch schon wieder überholt, weil ihm der Gegner abhanden gekommen ist. Die vorherrschende geistige Strömung heute würde ich als Gottvergessenheit bezeichnen,
Ich für meinen Teil hatte Gott nie vergessen. Ich hatte mich im Laufe meines Lebens immer darum bemüht, an Gott glauben zu können. Es gelang mir nur nicht, säkularisiert wie ich war. Aber diese Polarisierung "Weltlichkeit und Religion" bereitete mir damals schon einige Qualen: Was ist, wenn die Religion (resp. ihre Interpreten) doch recht haben???
Ich habe mich immer mit Religion beschäftigt, und das Ergebnis ist mein Atheismus, den ich als Befreiung empfinde von der Religion. Gottvergessenheit ist das nicht.
Gottvergessenheit. Kann man etwas vergessen, was es nie gab? Ich verstehe jetzt diese "Gottvergessenheit" als Desinteresse oder Verdrängung des Themas "Religion". Und es gibt gewichtige Gründe, dass viele Menschen dieses Themas überdrüssig sind.
Aber zu behapten, die "Gottvergessenheit" hätte den Atheismus "überholt", halte ich für eine verkehrte, religionsverhaftete, Wahrnehmung. Oder meinst du das geschichtlich: Atheismus als eine Ideologie der Aufklärer - und heute kümmert sich eh keiner um die Gottesexistenz?
 
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Re: Re: Jesus

Original geschrieben von ezzosDIARY
[/B]
ich halte die bibel ... für ein ganz außerordentliches ... weisheitsbuch, aus welchem man ganz gut für sich selber assoziationen ("daisy chains") blasten kann.


Hi werner,

Ein kurzer Blick auf deine hompage hat mich wissen lassen, dass du eine Schwäche für "trendige Sprachformeln" hast. Da ich aber trotz guter Beziehungen zum Trend nicht eruieren konnte, was du mit "assoziationen blasten" und "daisy chains" genauer verbindest, sei doch bitte so nett und erkläre dies näher. Vielleicht trägt dies ja irgendwie zur Klärung des Sachverhaltes "literarische Jesusgestalt" bei!

Grüße von manfred
 
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