AW: Faschismus-Referat
scilla schrieb:
leider darf ich nicht mehr senden,
sonst würde ich Dich jetzt bitten,
einen Text fürs Radio zu schreiben
Das meinst Du im Ernst?
Oder ist das eine ironisch-wohlwollende Umschreibung dafür, daß ich langweile?
Die Konfusion zwischen den politischen Kategorien Faschismus und (nationalem) Sozialismus ist zu hoch, als daß man mich im Radio sprechen lassen würde (und wer bin ich denn? ein Bürger, dem man vielleicht in Leserbriefen Raum gibt.)
Gedanken über die Nation sind auch eher unerwünscht, sofern sie nicht im Rahmen der Globalisierungskritik geäußert werden (und so wird der Nationalismus der Hitlerei wie der des 1870 gegründeten Reiches mal eben unter den Teppich gekehrt, der Geist des Hambacher Festes ist ohnehin ganz vergessen.)
Vor allem aber wollen die Deutschen unbedingt "Faschisten" gewesen sein, obwohl sie von 33-45 bloß Nationalsozialisten waren, die bereit waren, alles Abweichende zu vernichten (was im Ansatz die einzige mögliche Parallele zum Faschismus ist); inwiefern die Organisation der DDR der Definition eines faschistischen Militärstaats mehr entsprach als das deutsche Reich der Jahre 1870 bis 1914, sei dahingestellt - vielleicht bot die DDR einen "Nationalsozialismus light". Genuin "faschistisch" war die DDR sowenig wie das anfangs nazionalsozialdemokratisch gegründete "Dritte Reich".
scilla schrieb:
aufgezwungene Partizipationsform
ich weiss von meinem Cousin,
daß dieser im Kindergarten Lieder wie 'Ulbricht ist der Größte ...' gesungen hat
Als Leseanfänger hatte ich zwei Fibeln: eine aus der BRD und eine aus der DDR. Aus der BRD-Fibel habe ich gelernt: "In unserem PKW überholen wir LKW und Motorrad, Limousine und Polizei fahren an uns vorbei." Aha, Papas Volkswagen wurde als lahme Ente konzipiert (das war mir mit sieben Jahren soweit klar) Aus der DDR-Fibel habe ich gelernt, daß die DDR lieb und die BRD böse ist. Hm. Aha? Aus diesen Fibeln lernte ich zunächst, daß es am besten wäre, einen Polizeiwagen zu fahren.
"Adenauer ist der Größte" zu singen, wurde von uns nicht verlangt - obwohl das noch bis spätestens 1982 (Mißtrauensvotum gegen Helmut Schmidt zum Nato-Doppelbeschluß) eine halbwegs plausible Anforderung gewesen wäre.
scilla schrieb:
Euphorie
kann ich nachvollziehen,
daher meine Überzeugung im Referat,
daß sich die Schwärmer
früher oder später vom Dritten Reich abgewendet hätten
(in Plochingen, da wo ich wohne, gab es laut Heimatkundler nur eine einzige jüdische Familie)
Aber, Stefan, was hat die 1936er Euphorie mit jüdischen Familien zu tun? Jene Euphorie war nicht primär anti-jüdisch bestimmt.
Ich dachte bisher, daß die Gründung Israels 1948 als jüdische "Heimstätte" (ein Begriff, den sich noch der nationalreaktionärste Deutsche für sein Land nicht erlauben würde, was antiisraelische Reflexe manchmal auch erklärt
)
auch die deutsche Entlastung gegen den Nazi-Genozid ermöglichte; aus welchem moralischen Optimismus nimmst Du die Annahme, daß irgendwer, der fürs Dritte Reich geschwärmt hat, sich aus eigener Kraft davon abgewendet haben könnte?
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Das ausgeschnittene übersetzte Hitler-Zitat da oben, die Nationalflaggenfarben betreffend, nehme ich mal ungeprüft so, wie Du es mir gibst, schneide es wiederum aus und finde ein starkes Stück vor:
Die Wahl der Swastika im Farben Schwarz-Weiß-roten Rahmen verkörpert
"the victory of the idea of creative work, which as such always has been and always will be anti-Semitic."
Zu Deutsch:
"Kreativität ist immer antisemitisch"
Hoppla!
Jetzt addiere ich noch die Worte meines Cousins hinzu - "Wenn ich was gegen Türken sage, wird mir das gleich als (stotter) antisemitistisch ausgelegt oder wie man das nennt", und ich fasse mich an den Kopf, weil ich mir doch eigentlich nur wünsche, daß man den "Rassismus" und den "Faschismus" des 20. Jh. ein bißchen auseinander hält...