AW: Ein Ort für die Philosophie in der Gesellschaft
Ich danke dir, EarlyBird, dass du mir nicht bös warst, aber über das oben stehende Zitat von dir muss ich ein ERNSTES Wort reden, aber nicht nur mit dir, sondern ein grundsätzliches Wort zu unserem Thema:
Ok, philohof, ich hoffe, dass ich dich allmählich besser verstehe!
Also wir leben in einer freien Gesellschaft. Oder: Wir leben in einer freien Gesellschaft. Da wird niemand am Philosophieren gehindert. Überhaupt in seinem Privatbereich kann ein jeder soviel philosophieren, wie er will. In seinen eigenen vier Wänden kann ein jeder auch mit dem Finger hoch in die Nase raufbohren und einen großen Nasenrammel, österr. Rawutzer, herunterholen, auch das ist nicht verboten.
Stimmt! Bei uns heißt das Popel!
Aber: Unsere heutige Gesellschaft funktioniert eben nicht mehr so wie frühere Gesellschaften, in denen man etwas, das man nicht haben wollte, verboten hat. Die Methode, wie man heute unliebsame Praktiken abstellt, ist einfach: Man lässt die Leute, die sie unternehmen, allein; man lässt sie ins Leere rennen; man lässt sie sterben.
Wer ist "man" in diesem Fall? Der Gesetzgeber? Die Politiker? Die Gerichte? Die Firmen? Deine Freunde? Deine Familie? Oder wirklich ALLE, die du kennst?
Das ist eine viel sublimere und wirksamere Methode als die, etwas zu verbieten, denn hinterher kann niemand sagen, z.B.: "Die Gesellschaft hat das Philosophieren verboten" oder: "die herrschenden Kräfte in der Gesellschaft verhindern das Philosophieren aktiv", sondern wenn die philosophierende Stimme verstummt, wird einfach gesagt werden: "Diese Philosophie hat eben keinen Erfolg gehabt."
Hm, manche sagen auch: "Dieser Mensch hat mit seiner Philosophie keinen Erfolg gehabt!" Finde ich besser, weil Philosophie ohne Mensch gibt es ja nicht.
Wenn du also sagst, EarlyBird, du seist nie am Philosophieren gehindert worden, dann unterliegst du einem fatalen Denkfehler. Du stellst dir die Situation vor, als wärst du in einem diktatorischen Staat, der alle Praktiken einfach verbietet, die ihm unliebsam sind. Aber so funktioniert die Gesellschaft heute nicht. Da sich heute praktisch nichts an der Oberfläche halten kann, das nicht aktiv gefördert wird, kann man davon ausgehen, dass alles "verboten" ist, was nicht ausdrücklich gefördert wird.
Hm, sehe ich nicht so, wenn was nicht gefördert wird, ist es nicht verboten, sondern uninteressant oder gefährlich für die Interessen von bestimmten Leuten/Gruppen. Es gibt aber immer widerstreitende Interessen, keine Gesellschaft ist wirklich homogen. Insofern ist es zumindest potentiell möglich, Förderer für jede beliebige Richtung zu finden.
Es ist einfach nicht wahr, dass ALLE so sind, wie du es schilderst. Mich stört in diesem Fall die Verallgemeinerung!
Anders gesagt: Man kann ein Holzsteckerl, das im Wasser schwimmt, dadurch am Weitertreiben hindern, indem man es wo anbindet; man kann es aber genauso gut dadurch an der Bewegung hindern, indem man die Wasserströmung so lenkt, dass es gegen den Uferrand gedrückt wird. Ich will damit sagen: Aktives Hindern am oder Verbieten von Philosophieren ist eine ziemlich primitive sozialtechnische Methode. Man kann das viel geschickter machen - und so wird es ja auch heute gemacht.
Z.B. mussten früher philosophische Schriften oft die Zensur fürchten. Das hatte einen Vorteil. Sie hatten zumindest einen guten Leser, den Zensor. Heute hingegen hat man den überfüllten und verstopften Buchmarkt, der das Bekanntwerden interessanter neuer Ideen noch viel wirksamer verhindert als die Zensur.
Wie nun merkt man heute, dass man etwas Verbotenes macht? Man merkt es zumeist dadurch (weil ja nur die wenigsten Dinge aktiv verboten und abgestellt werden), indem man einfach alleingelassen wird. Mit der Zeit, kalkuliert die Gesellschaft, wird dem engagierten Individuum schon die Kraft ausgehen - und gewöhnlich behält sie recht damit.
Sorry, aber das ist wirklich Blödsinn! Die Gesellschaft kalkuliert überhaupt nicht, die Gesellschaft ist ein Sammelsurium von höchst unterschiedlichen Individuen, mit unterschiedlichen Interessen und Ambitionen. Vielleicht kalkulieren manche Politiker so, vielleicht auch Lobbyisten, aber niemals die Gesellschaft insgesamt!
Ich sage das auch, weil in einen Threads meine Einsamkeit immer wieder hervorhebst, EarlyBird. Ich möchte dir hiermit erklären, was diese Einsamkeit ist: Sie ist nämlich nicht nur ein Gefühl (das ist sie nur ganz am Rande). In Wirklichkeit ist sie ein Resultat sozialer Verhinderungsmaßnahmen und dadurch zugleich (jetzt: aus meiner Perspektive) ein wunderbares und sehr exaktes Diagnoseinstrument für soziale Verbote und für die gesellschaft unliebsame Themen.
Denn, wenn du heute nicht ganz über die Stränge schlägst, dann wird dir heute nichts verboten. Du wirst einfach allein gelassen. Und wenn du die Einsamkeit spürst, dann weißt du: Hier habe ich offenbar was Verbotenes getan!
liebe Grüße
philohof
Wer genau hat dich denn allein gelassen?
Vielleicht hast du ja falsche Schlüsse gezogen.
Ich z.B. wurde als Säugling und Kleinkind von meiner Mutter abgeschoben und von Fremden betreut. Müsste also bedeuten, dass es verboten ist, ein Kind zu sein, das seine Mutter braucht! Ok, es hat sich auch lange so für mich angefühlt, aber inzwischen weiß ich, dass meine Mutter schlicht und ergreifend komplett überfordert war!
Nochmal, die Gesellschaft ist keine homogene Masse und wenn man seine Individualität bewusst leben möchte, dann muss man bei sich selbst gucken, wo die Hindernisse liegen, die falschen Vorstellungen, die uns den Blick für all die Möglichkeiten,die es immer noch gibt, versperren.
Ist das nachvollziehbar für dich oder siehst du irgendwo einen Denkfehler?
LG
EarlyBird