Gab es schon immer verwurzelte und unverwurzelte Lebewesen nebenher oder sind die einen aus den anderen entstanden?
Sowohl als auch.
Nach dem bisherigen Erkenntnisstand ist die Wiege der Menschheit Ostafrika. Dort entwickelte sich aus Vorläufern der Homo Erectus, der sich in einer Wanderungsbewegung nach Europa und Asien ausbreitete (vor rund 700.000 Jahren).
In Europa und Asien entwickelte sich der Homo Erectus über den Homo Rudolfensis (1) zum Neandertaler. In Afrika entwickelte sich aus dem Homo Erectus der Homo Sapiens. Der Homo Sapiens wanderte über den Nahen Osten nach Asien und Europa ein, vor rund 60.000 Jahren (2).
Im Nahen Osten existierten nachweislich Neandertaler und Homo Sapiens für etwa 5.000 Jahre nebeneinander. Es muss zu Begegnungen zwischen ihnen gekommen sein, möglicherweise auch nur dort. Tatsächlich verfügen alle Nachkommen von Europäern und Asiaten über 2-5% Neandertaler-DNA, während Afrikaner über keine Neandertaler-DNA verfügen (3).
Vor rund einem Jahrzehnt fand man allerdings noch einen dritten Hominiden in Sibirien, den Denisova-Menschen. Er muss sich bereits aus einem Vorfahren des Homo Erectus abgespalten haben und hat sich in geringem Maße mit dem Homo Sapiens vermischt, bevor er ausstarb. Manche Ostasiaten verfügen über spezifische Denisova-DNA (wenn ich mich richtig erinnere, z.B. Malaien).
Ungeklärt ist bis heute die Position des Homo Floresiensis ("Hobbit"), der nur auf der javanischen Insel Flores gefunden wurde.
Egal aber, wo der Homo Sapiens wann auch immer ankam, starben die vorher dort lebenden Spezies, Neandertaler und Denisova-Mensch innerhalb weniger Tausend Jahre aus.
Sehr fein, aber wo ist nun die Grenze der Natur ?
In meinen Augen da, wo sich der Mensch vom Tier unterscheidet, und das ist ziemlich eindeutig: Feuer, Werkzeuge, Waffen, Kleidung.
Die Besiedelung von Klimazonen, in denen er ohne das alles nicht hätte überleben können (= eiszeitliches Europa). Eine Giraffe kann in Sibirien nicht überleben und wenn sie es kann, weil sie sich soweit angepasst hat, dann ist sie keine mehr.
Es mag sich das eine oder andere Tier finden, wo man mit viel Fantasie den einen oder anderen menschlichen Aspekt sehen will. Das sind dann aber letztlich Spitzfindigkeiten - und die Kombination
aller der nur o.g. Eigenschaften findet man bei keinem Tier. (4)
Sicher ist der Begriff "Natur" oder "Natürlichkeit", wie jede Begriffsfindung, eine Frage der Definition. Das diese oft fehlt, das ist ja gerade das, was ich kritisiere, wenn irgendein selbsternannter "Experte" in einem Buch schreibt: "Die XYZ-Diät ist die
natürliche Ernährung des
Menschen."
Mit Sätzen wie diesem ist weder geklärt, was man unter dem Begriff "Mensch" verstehen will, noch das, was man unter "natürlich" definiert.
Erst recht nicht geholfen ist einem mit dem Versuch, alle Eigenschaften des Menschen als "seine Natur" zu bezeichnen. Denn dann kann man auch gleich noch das Automobil als der "Natur des Menschen zugehörig" definieren, denn immerhin fahren wir seit 100 Jahren Autos.
(1) Es ist nicht unumstritten, ob der Homo Rudolfensis eine eigene Spezies darstellt. Manche Anthropologen sehen diesbezügliche Funde als Homo Erectus an.
(2) Wobei die Anzahl der eingewanderten Individuen klein gewesen sein muss, das legen genetische Befunde nahe. Es können nur maximal 2.000 Individuen gewesen sein, vielleicht auch nur ein paar Hundert. Tatsächlich sind, bedingt durch diesen "genetischen Flaschenhals" die genetischen Unterschiede zwischen Afrikanern größer als zwischen Europäern und/oder Asiaten untereinander.
(3) Wie es aussieht, passierte der Gen-Transfer Neandertaler - Homo Sapiens nur vom Neandertaler-Mann auf die Homo Sapiens - Frau. Beweisen lässt sich dies durch die Mitochondrien-DNA, die rein Homo Sapiens ist und die ausschließlich von der Mutter vererbt wird. Wie diese amourösen Abenteuer ausgesehen haben, weiß natürlich keiner. War der "wilde" Neandertaler besonders attraktiv für Homo Sapiens - Damen?
Es sind aber auch andere Szenarien denkbar, möglicherweise haben Neandertaler-Kinder ihre Gene nicht weiter getragen, weil sie in ihrer Horde blieben und mit den Neandertalern ausstarben.
(4) Es lassen sich auch biologische Unterschiede finden, die nur beim Menschen vorkommen - und nicht einmal bei unseren nächsten Primaten-Verwandten: Das Fehlen von Paarungszeiten, die Menstruation, die Menopause, die sekundären Geschlechtsmerkmale, die Laktosetoleranz (wenn auch nicht bei allen Menschen) und nicht zuletzt die fehlende Körperbehaarung. Heute vermutet man, dass sich diese Eigenschaften erst mit der Menschheitsentwicklung bildeten und es muss evolutionäre, vorteilsbehaftete Gründe für sie geben.