mwirthgen
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Denken Naturwissenschaftler anders als Philosophen?
Seit Beginn der neuzeitlichen Philosophie mit Descartes geht "Die Philosophie" von einer ganz bestimmten Auffassung aus. Sie behauptet, dass der Mensch aus Körper und Geist/Seele besteht. Der Geist/Seele, insbesondere das Bewusstsein erkennt Welt, sich selbst und Gott/Wahrheit. Die Erkenntnis folgt dabei Strukturen des Bewusstseins bzw. des Geistes, die gegeben sind. Auf diese Art wird sicher gestellt, dass unser Erkennen zuverlässiges "Wissen" liefert, denn das was unser Bewusstsein erkennt, entspricht - beim 'richtigen' Gebrauch der geistigen Strukturen - dem Erkannten. Erkanntes ist daher als 'Repräsentation' der Wirklichkeit aufzufassen.
Diese Auffassung wird seit vielen Jahrzehnten schon durch naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse in Biologie und Neurophysiologie in Frage gestellt, bzw. als nicht zutreffend abgelehnt.
Umberto Maturana - dessen Ergebnisse und Schlussfolgerungen ich diesem Forum gerne etwas näher bringen möchte - lehnt dieses Verständnis von Erkennen ab, weil seine Forschungsergebnisse dazu nicht passen. Er kommt zu dem Schluss, dass 'Erkennen' ein "andauerndes Hervorbringen einer Welt durch den Prozess des Lebens selbst" sei. (vgl. Der Baum der Erkenntnis, S. 7)
Wie kommt er dazu?
Die biologische Tradition versteht Leben in der Regel aus den Beziehungen eines Lebewesens zur Umwelt. Dazu passte die 'Repräsentationstheorie'.
Vor allem neurophysiologische Forschungen ergaben für Maturana aber, dass ausschließlich die strukturellen Prozesse innerhalb eines Organismus, innerhalb einer Zelle 'Leben' immer wieder neu schaffen.
Die Beobachtung, Leben als einen sich immer wieder selbst generierenden Prozess aufzufassen, nannte er 'Autopoiese' .
D.h., eine Zelle bspw. reagiert auf Reize nicht "reizverarbeitend" und "reizweiterleitend", sondern sie reagiert innerhalb der Parameter ihrer eigenen Struktur, d.h. auf die ihr eigene Weise auf das, was sie da irgendwie tangiert. Maturana spricht deshalb auch nicht mehr von einer ursächlichen Beeinflussung eines Organismus' durch Umweltreize, sondern er spricht von Pertubationen. Damit werden Zustandsveränderungen in einem System bezeichnet, die durch dessen Umfeld ausgelöst werden. Reize sind also Auslöser und keine Verursacher bestimmter Veränderungen innerhalb eines lebenden Systems. "Welche neuronalen Aktivitäten durch welche Perturbationen ausgelöst werden, ist allein durch die individuelle Struktur jeder Person und nicht durch die Eigenschaften des perturbierenden Agens bestimmt." (Baum, S.27)
Objektivität ade, kann man sagen. Descartes Behauptung, unser Bewusstsein repräsentiere Objektivität ist damit zumindest fragwürdig. Mal abgesehen davon, was Bewusstsein überhaupt sein soll.
Für die 'philosophischen Grundlagen' des Lebens - ich mache jetzt einen großen Sprung - scheinen mir derartige Ergebnisse von basaler Wichtigkeit. Maturana hat im Laufe seiner Forschungen gemerkt, dass er Weltbilder aushebelt. Denn wenn das so ist, wie er glaubt beobachtet zu haben, dann hatte wohl Protagoras - von der traditionellen Philosophie geschmäht - schon vor zweieinhalb Jahrtausenden den Nagel philosophisch auf den Kopf getroffen, als er meinte:
"Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Sie sind für mich so, wie sie mir erscheinen und für dich so, wie sie dir erscheinen."
Wer meinem Beitrag nachspüren möchte, dem empfehle ich den "Baum der Erkenntnis" von Umberto Maturana. 1991 beim Scherzverlag (Bern/München) als Paperback erschienen. Es enthält neben Experimentbeschreibungen und seinen Schlussfolgerungen eine Reihe von Experimenten, die man schon beim Lesen ausprobieren kann, was ich besonders hilfreich fand. Dieses Buch ist nicht nur ein Buch, sondern auch ein Erlebnis!
manni
Seit Beginn der neuzeitlichen Philosophie mit Descartes geht "Die Philosophie" von einer ganz bestimmten Auffassung aus. Sie behauptet, dass der Mensch aus Körper und Geist/Seele besteht. Der Geist/Seele, insbesondere das Bewusstsein erkennt Welt, sich selbst und Gott/Wahrheit. Die Erkenntnis folgt dabei Strukturen des Bewusstseins bzw. des Geistes, die gegeben sind. Auf diese Art wird sicher gestellt, dass unser Erkennen zuverlässiges "Wissen" liefert, denn das was unser Bewusstsein erkennt, entspricht - beim 'richtigen' Gebrauch der geistigen Strukturen - dem Erkannten. Erkanntes ist daher als 'Repräsentation' der Wirklichkeit aufzufassen.
Diese Auffassung wird seit vielen Jahrzehnten schon durch naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse in Biologie und Neurophysiologie in Frage gestellt, bzw. als nicht zutreffend abgelehnt.
Umberto Maturana - dessen Ergebnisse und Schlussfolgerungen ich diesem Forum gerne etwas näher bringen möchte - lehnt dieses Verständnis von Erkennen ab, weil seine Forschungsergebnisse dazu nicht passen. Er kommt zu dem Schluss, dass 'Erkennen' ein "andauerndes Hervorbringen einer Welt durch den Prozess des Lebens selbst" sei. (vgl. Der Baum der Erkenntnis, S. 7)
Wie kommt er dazu?
Die biologische Tradition versteht Leben in der Regel aus den Beziehungen eines Lebewesens zur Umwelt. Dazu passte die 'Repräsentationstheorie'.
Vor allem neurophysiologische Forschungen ergaben für Maturana aber, dass ausschließlich die strukturellen Prozesse innerhalb eines Organismus, innerhalb einer Zelle 'Leben' immer wieder neu schaffen.
Die Beobachtung, Leben als einen sich immer wieder selbst generierenden Prozess aufzufassen, nannte er 'Autopoiese' .
D.h., eine Zelle bspw. reagiert auf Reize nicht "reizverarbeitend" und "reizweiterleitend", sondern sie reagiert innerhalb der Parameter ihrer eigenen Struktur, d.h. auf die ihr eigene Weise auf das, was sie da irgendwie tangiert. Maturana spricht deshalb auch nicht mehr von einer ursächlichen Beeinflussung eines Organismus' durch Umweltreize, sondern er spricht von Pertubationen. Damit werden Zustandsveränderungen in einem System bezeichnet, die durch dessen Umfeld ausgelöst werden. Reize sind also Auslöser und keine Verursacher bestimmter Veränderungen innerhalb eines lebenden Systems. "Welche neuronalen Aktivitäten durch welche Perturbationen ausgelöst werden, ist allein durch die individuelle Struktur jeder Person und nicht durch die Eigenschaften des perturbierenden Agens bestimmt." (Baum, S.27)
Objektivität ade, kann man sagen. Descartes Behauptung, unser Bewusstsein repräsentiere Objektivität ist damit zumindest fragwürdig. Mal abgesehen davon, was Bewusstsein überhaupt sein soll.
Für die 'philosophischen Grundlagen' des Lebens - ich mache jetzt einen großen Sprung - scheinen mir derartige Ergebnisse von basaler Wichtigkeit. Maturana hat im Laufe seiner Forschungen gemerkt, dass er Weltbilder aushebelt. Denn wenn das so ist, wie er glaubt beobachtet zu haben, dann hatte wohl Protagoras - von der traditionellen Philosophie geschmäht - schon vor zweieinhalb Jahrtausenden den Nagel philosophisch auf den Kopf getroffen, als er meinte:
"Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Sie sind für mich so, wie sie mir erscheinen und für dich so, wie sie dir erscheinen."
Wer meinem Beitrag nachspüren möchte, dem empfehle ich den "Baum der Erkenntnis" von Umberto Maturana. 1991 beim Scherzverlag (Bern/München) als Paperback erschienen. Es enthält neben Experimentbeschreibungen und seinen Schlussfolgerungen eine Reihe von Experimenten, die man schon beim Lesen ausprobieren kann, was ich besonders hilfreich fand. Dieses Buch ist nicht nur ein Buch, sondern auch ein Erlebnis!
manni