AW: Was lest ihr gerade?
Der Film "Moulin Rouge" von John Huston, entstanden nach dem Buch von Pierre la Mure, den fand ich vor Jahren auch sehr schön.
Ob ich heute dazu noch stehen würde, weiß ich nicht - mittlerweile stören mich etwas süßliche Schilderungen, so z.B. die Szene in der Toulouse-Lautrec auf seinem Sterbebett nochmals sein Leben passieren lässt.
Die Entstehung von Skizzen und Bilder im "Moulin Rouge" war aber absolut toll gemacht.
Hallo Miriam,
den Film kenne ich nur in Ausschnitten, ist auch schon lange her. Ich weiß nicht wie sehr er überhaupt auf das Buch zurückgeht. Das Buch habe ich auch noch nicht durch, ich lese wirklich sehr langsam und komme gerade (Bach ist schuld) wenig dazu. Stimmt, auch im Buch gibt es anrührende Szenen und manch einer mag das schon als Kitsch bezeichnen. Aber ich sehe das gar nicht so. Warum muß sich jeder Autor schon schämen, wenn er sich erdreistet, eine Darstellung von sozialen Verhältnissen, persönlichen Schicksalen und menschlichen Enttäuschungen so darzustellen, daß es eben auch mal traurig oder miterlebend werden kann. So und nicht anders sind ja viele dieser Situationen nun einmal, auch wenn wir uns inzwischen in einer arschcoolen Welt bewegen, in der psychosoziale Überlegenheit, Affektiertheit und Gleichgult mehr geachtet wird, als die schlichte Fähigkeit zur Anteilnahme. Das gelingt dem Buch sogar besser, eingänglicher, zugleich aber unaufdringlicher als dem weitaus sentimentaleren Klassiker "Oliver Twist" von Charles Dickens. Die Stelle, in der Henri sich zum ersten mal in ein Bordell traut und die Verbundeheit seiner geschundenen Existenz mit denen der Huren feststellt, fand ich z.B. bemerkenswert.
Freilich ist es wichtig und auch sehr schwer, so etwas vom Kitsch oder gar der Schmonzette abzugrenzen. Das gelingt aber - wie auch in diesem Buch - vor allem dann, wenn die Szenerie und die Hintergründe sehr sorgfältig recherchiert und herausgearbeitet werden und auch die Fähigkeit des Autors besteht, ironische Zusammenhänge zu erkennen und darzustellen. So lassen sich billige Klischees nicht nur vermeiden, nein, es läßt sich sogar genau das Gegenteil bewirken. Und so kann ein hervorragendes realistisches Machwerk entstehen.
Nebenbei, ein Genre übrigens, in dem jedenfalls zur Zeit des "Realismus" gerade die sonst gar nicht schwachbrüstige deutsche Literatur irgendwie nicht allzu viel zu bieten hatte und Autoren wie Wilhelm Raabe bemüht werden müssen, die heute kaum noch einer kennt. Aber das ist ein etwas anderes Thema.
Liebe Grüße
Zwetsche