Eine Nachricht aus dem Lande Popo
Robin schrieb:
Liebe Britt,
schön, dich hier in der humorfreien Zone zu lesen.
Guter Witz! Ich finde diesen Thread äusserst humorvoll. Jedoch muss man berücksichtigten, dass jeder Komik auch etwas Tragisches anhaftet (manchmal geweckt durch eine gewisse Einfalt). Vielleicht gehört es nicht hierher, aber ich entsinne mich eines Stücks von Georg Büchner mit dem Titel „Leonce und Lena“ – eine kleine Assoziation war mir bei Lektüre einiger Posts sogleich der darin vorkommende Charakter „König Peter vom Reiche Popo“. Ach, wie es Landesgrenzen auch heute noch verstehen, den Verstand zu begrenzen…
Wenn man der Debatte, die hier geführt wird, folgt, geht es v.a. darum, eine bestimmte „Kultur“ zu definieren, deren reiner Begriff es ermöglichen soll, unliebsame Kategorien auszuschliessen. Wir sind mitten in einer Debatte um eine „Leitkultur“ –
Deswegen müsste man darauf insistieren, immer wieder die Frage zu stellen, was „Kultur“ heisst. Und inwiefern ein solcher Begriff es ermöglicht, treffende Aussagen über etwas zu machen, das man gemeinhin „soziale Wirklichkeit“ nennt. Nehmen wir an, dass dieser Begriff „Kultur“ kein eindeutiger ist, dass er zwar begrenzt wurde, dass aber das Jenseits dieser Grenze ihn immer schon bedroht haben wird, es ihm immer unmöglich gemacht haben wird, sich in seiner Reinheit zu erhalten, da dieses ‚Jenseits’ in ihm selbst wirkt. Ich möchte – in Frageform – konkretisieren: Was, wenn z.B. das ‚Aussen’ dieser Kultur (grobe Verallgemeinerung, Ausgrenzung, Hass, Intoleranz etc.) eigentlich eine wirksame Kraft im ‚Innern’ dieser „Kultur“ darstellt, die das Fundament dafür liefert, die eigene („Kultur“) in ihrer Reinheit zu erhalten? Was, wenn aber dieses Paradox diese Reinheit immer schon kontaminiert hat, es also einem Wunschdenken des Ausschlusses, der Angst, des Fremdenhasses etc. entspricht, eine Reinheit zu erzeugen, die – in dieser Logik – einen völligen unreinen Standpunkt zu ihrem Ausgangspunkt sich gewählt hat? Spricht das für diese „Kultur“? Spricht es für eine „Kultur“, dass sie extreme Ausschlussmöglichkeiten benötigt, um sich selbst zu verteidigen? Da ist etwas faul… (wahrscheinlich diese ‚Reinheit’, die Überlegenheit dieser „Leitkultur“, ihr „Anstand“, von dem sie gerne mit himmelschreiender Frechheit und Arroganz spricht).
Das Ganze erhält auch eine sehr komische Wendung, wenn plötzlich die „hohe Kultur“ Eingang in die Argumentation findet. Mit dieser distinguiert sich seit jeher eine Minderheit der gesellschaftlichen Elite vom Rest. Ebenso verhält es sich mit der Instrumentalisierung von sozialen Statistiken, die auf alle möglichen Arten interpretiert werden können (ein ernster Scherz unter Statistikern: Ich traue keiner, die ich nicht selbst gefälscht habe) und die meist nur sehr wenige Faktoren der „gesellschaftlichen Wirklichkeit“ mit einbeziehen; Statistiken werden verwendet, um Hypothesen zu verifizieren. Ob diese bei Übereinstimmung mit den (meist quantitativ, was das Ganze sowieso relativiert) erhobenen Ergebnissen absolute Gültigkeit für sich beanspruchen darf, ist eine rhetorische Frage, die sich ein jeder und eine jede selbst getrost mit „nein“ beantworten kann. Ich möchte hier darauf hinweisen, dass solche Statistiken eigentlich viel eher die besagte Unreinheit des „kulturellen“ Bodens demonstrieren, auf dem sie gewachsen sind. Dieser Boden lässt es zu (z.B. über die angesprochenen Phänomene wie Intoleranz, Angst etc. und über seine Institutionen wie z.B. das Schulsystem oder wegen der Art, wie die Dynamik und Organisation seines Arbeitsmarktes oder gar die nationalstaatliche Verwaltung beschaffen ist), dass solche Statistiken erhoben werden können, dass Argumente wie der Verweis auf eine „höhere Kultur“ als zulässig betrachtet werden.
Wenn es eine übrigens eine „türkische Kultur“ gäbe, so wäre sie so heterogen wie die „deutsche“. Es wird darunter Muslime geben und Islamisten, Atheisten und Christen, Analphabeten und Penner, Militaristen und Philosophen, Pazifisten und Geisteskranke, viele Stadt- und viele Landbewohner, Händler und Bankangestellte, Profikiller und Schmuggler – und eine politische Klasse etc. etc. Man wird wahrscheinlich traditionellerweise einen anderen Kanon von Werten und Wissen übermitteln, doch lässt sich kaum bestreiten, dass gewisse Vorstellungen des westlichen Lifestyles auch die Türkei infiltriert haben dürften (man kann die Menschen, die in dem Konstrukt „Türkei“ leben, nicht einfach abwerten, ebenso wenig verhält es sich mit „Türken“, die sich im Konstrukt „Deutschland“ aufhalten; man kann nicht alles, was man als Problem
wahrnimmt ins Pfefferland wünschen, man stünde schliesslich gänzlich alleine da). Wie in allen „kulturellen“ Gemeinschaften wird man auch in der „Türkei“ mit der Reinheit der eigenen „Kultur“ zu kämpfen haben, denn die Leute sind ständig damit beschäftigt, eine vollkommene Identität, die sich schnell als Phantasma erweist, festzuhalten. Im „kulturellen“ Kampf geht meist der Blick auf die Strukturen verloren, die den Gemeinschaften gemeinsam sind: die Strukturen des ökonomischen Tauschs und der Fetisch der Ware z.B. Man muss sich fragen, wieso an gewissen Orten diese und jene Bedingungen herrschen (ob sich die Fronten zum Spass zu verhärten scheinen, ob sich junge Männer und Frauen aus anderen Teilen der Welt z.B. zum Vergnügen in die Luft sprengen und andere in den Tod reissen), wieso sich dieses und jenes Bild daraus ergibt, wer Bilder instrumentalisiert um welche Interessen damit zu erreichen usf. Man darf nicht aufhören, die Dinge zu hinterfragen, man darf nicht aufhören, die Rechtmässigkeit des eigenen Standpunkts zu hinterfragen.