AW: Ein Ort für die Philosophie in der Gesellschaft
Hallo EarlyBird,
danke für deine Reaktion.
Ich muss sagen, ich finde mich in Eurem Diskurs nicht ganz zurecht. Ihr gebt Euch oft sehr kurze Anstöße, kein Gedanke wird entwickelt, und der Nächste zitiert dann und schießt pointiert zurück. Das kann ich nicht, deshalb muss ich mich immer an dem festhalten, was ein bisschen länger und ausführlicher ist, sodass ich das Gefühl haben kann, ich weiß, worum es in etwa geht.
Hi philohof!
Ja, das stimmt und es führt auch oft genug zu Missverständnissen.
Ich selbst hab aber selten Lust viel zu schreiben, mir liegt das Kurze, Pointierte mehr. Werde mir aber jetzt mal ein bisschen Mühe geben!
Nun, EarlyBird, in deiner Reaktion relativierst du meine Gedanken, die ich zuletzt vorgebracht habe, sehr stark. Das Zitat oben von dir enthält zwei gute Beispiele dafür: "Trotzdem gibt es natürlich auch individuelle Werte..." und "Ich sag mal, wenn ich selbst weiß, worauf ich Wert lege..." Wissen die Leute denn das? Glaubst du, dass sie wissen, worauf sie selbst Wert legen. Einige ja, solche nämlich, die eine Leidenschaft haben. Ich kenne jemanden, der sammelt alte Tonbandgeräte - niemand kann ihm das ausreden. Aber wie er zu dieser Leidenschaft gekommen ist, weiß er wohl selbst nicht mehr. Ansonsten gilt: Man muss sich das ja einmal vergegenwärtigen, was es bedeutet, heute eigene Werte zu haben! Um das zu schaffen, muss man sich gleichsam gegen die gesamte Welt stemmen. Wer hat dazu die Kraft? Und wer hat dazu dauerhaft die Kraft?
Hm, das verstehe ich nicht, wieso muss man sich denn dann gegen die gesamte Welt stellen? In der Welt gibt es von JEDER Sorte Menschen, z.B. bist du ja wirklich nicht der Einzige, der philosophieren möchte. Es gibt auch Leute, die Orte für 's Philosophieren schaffen/geschaffen haben - wenn du nach Philosophieforen googelst, findest du eine Menge davon.
Nein, wogegen du dich stemmen musst, ist vielleicht eher die Ablehnung deiner Eltern oder der Menschen, die dir wichtig sind. Ok, das ist anstrengend, denn es kann sein, dass man Ablehnung in Kauf nehmen muss, wenn man von deren Vorstellung abweicht.
Es ist aber doch eine Frage der eigenen Priorität - was ist einem wichtiger, die eigenen Interessen zu leben oder die "Zuneigung" dieser Menschen zu erhalten? Ich setze das in "", weil für mich Zuneigung beinhaltet, dass man dem Anderen die Freiheit lässt.....
Hm, oder so: Wenn man ein herausragendes Interesse/Bedürfnis hat, ist es leichter, weil man dann eine eindeutige Richtung hat. Wenn aber zwei gegensätzlich erscheinende Bedürfnisse da sind, dann lähmt das natürlich, weil man sich in zwei verschiedenen Richtungen gezogen fühlt und sich nicht entscheiden kann. Das kann man nur lösen, indem man sich beide Bedürfnisse klar macht/eingesteht und beiden Raum gibt.
Nein, ich glaube nicht, dass es individuelle Werte gibt. Also dass sie einfach so rumliegen. Man kann sich selber welche schaffen, aber das verlangt eine ungeheure Anstrengung. Und das Ergebnis ist die trostlose Erfahrung, dass man mit dem Wert, den man sich geschaffen hat, alleine dasteht.
Natürlich liegen individuelle Werte nicht einfach rum, sie liegen in uns selbst.
Ok, du hattest Pech, du hast dir selber einen Wert geschaffen und keine Gleichgesinnten gefunden bis jetzt. Das ist bitter und traurig, heißt aber nicht, dass es allen so geht! Noch nicht mal, dass es bei dir immer so bleiben wird.
Aber das macht ja auch fast niemand, sich eigene Werte zu schaffen. Ich habe eine Zeitlang als DJ gejobbt. Die Leute, vor allem die jungen Leute, wollten keine gute Musik hören. Sie wollten Chartsmusik hören oder gleich welche Musik, wenn sie sie nur schon kannten. Sie verwendeten Musik also nicht zum Zuhören, sondern gestanden ihr nur die Funktion zu, Gemeinsamkeit zu schaffen.
Das ist doch ok - diese jungen Leute legen eben individuell mehr Wert auf Gemeinsamkeit, warum auch nicht?
Da könntest du jetzt auch sagen: Aber man könnte Musik ja auch anhören. Ja, könnte man schon. (Ich und manche andere "Verrückte" tun das, weil wir anders sind.) Aber die anderen Leute tun das nicht. Oft kamen Leute rein, sahen dass keine Party war, weil zu wenige Leute da waren und gingen wieder raus. Welche Musik spielte, hatten sie wahrscheinlich gar nicht gehört.
Man kann andere Menschen nicht zwingen, die eigenen Bedürfnisse und Vorlieben zu teilen. Ich finde aber, es ist Energieverschwendung, diese Tatsache zu beklagen und sogar andere zu verurteilen, nur weil sie was anderes bevorzugen. Fruchtbarer ist es allemal sich auf die Suche nach Geistesverwandten zu begeben. Selbst wenn man nicht sofort fündig wird - man hat zumindest die Chance dazu.
Mit einem Wort, man sieht hauptsächlich Rudelverhalten rund um sich. Kein individuell abweichendes Verhalten, keine geistige Offenheit, die auf Individualität hindeuten würde. Erwartet man von den Menschen individuelles Verhalten (also dass sie selber anschauen oder anhören, was ihnen gefällt oder nicht), erwartet man viel zu viel von ihnen. Hauptsächlich tun sie das, was ihre Freunde, Kollegen und peers ihnen vormachen.
Ja, das gibt es wohl. Ich selbst kenne allerdings kaum Rudelleute, da zieht es mich nicht hin und ich such mir lieber andere komische Vögel, von denen ich in meinem Leben auch schon sehr viele kennengelernt habe.
Übrigens ist es auch oft eine Mischung, in manchen Bereichen passt man sich dem Rudel an und in anderen macht man, was man selber will. Nicht umsonst gibt es z.B. Menschen, die ein sog. Doppelleben führen. Man mag moralisch dazu stehen, wie man will, aber die haben zumindest (trotz Angst) eine Möglichkeit gefunden, verschiedene Anteile von sich selbst zu leben.
Wirtschaft klinkt sich da ein in diesen Kreislauf des außengesteuerten Verhaltens. Wenn jemand Musik bevorzugt, die Gemeinsamkeitsgefühle herstellt, verhält er sich wie der Händler, der Edelmetalle kauft in der Hoffnung, sie wieder weiterverkaufen zu können. Die Tatsache, dass andere Menschen Gold und Silber schätzen, dass es einen Preis auf dem Markt gibt, ist der einzige Wert, den diese Edelmetalle für den Händler haben. Hingegen eine Musik, die hineingeht ins Ohr eines Musikliebhabers, in seinem Kopf und Körper Wohlgefallen weckt und auf diese Weise in seiner Person verschwindet - das ist absoluter Wertverlust. Diese Musik ist dann weg, gegessen, wie ein verspeister Hamburger. Sie schafft keinen weiteren Wert mehr. Dagegen der ausgelutschte Hit, den ich schon 100 000mal gehört habe und nicht mehr hören kann, der schafft Wert für mich dadurch, dass ihn die Anderen auch kennen und wiederum wissen, dass die anderen ihn auch kennen (wodurch er ja seinen Wert generiert).
Händler haben eben nochmal andere Prioritäten, die mögen es zu handeln und zu schachern.
Wieso guckst du nach anderen mehr als nach dir selbst?
Ja, so eine Tanzfläche in einem Partylokal scheint mir ein guter Vergleich zum Leben in unserer Wirtschaftswelt zu sein: Mir scheint, kaum jemand macht sich da Gedanken, ob ihm ein Lied auch selber gefällt. Die meisten starren auf die anderen, ob denen das Lied gefällt. Wenn es ihnen gefällt, dann gefällt es ihnen selber auch.
Jujnge, Junge, wenn dem wirklich so ist, tun mir die jungen Leute echt leid! Ist dann wirklich ein Herdenvolk, das dann dem nachläuft, der sich traut den eigenen Geschmack zu entdecken und zu zeigen!
Und in einer solchen Umwelt fast gänzlicher Außensteuerung der Individuen, einer beinahe kompletten Entselbstung und Entfremdung von sich selber meinst du, es gäbe individuelle Werte? Und dass die Leute wüssten, was sie wollen. Nein, da komme ich nicht mit. Das schaffe ich nicht. Ich weiß, dass da draußen viele ihr Auto gern besitzen. Aber mich würde interessieren, wie viele eines haben müssen, und wieviele gerade dieses haben müssen, das sie haben. Und wie viele genau das Gewand besitzen und mögen müssen, dass sie besitzen, weil sie sich eben in den sozialen Kreisen bewegen, in denen sie sich bewegen. Und wie viele die Lokale cool finden müssen, in die sie gehen müssen, weil ihre Kollegen und Bekannten dort sind.
Na ja, ich hatte wohl Glück, bin in eine Familie mit lauter ausgeprägten Individuen hineingeboren worden. Ist vermutlich dann schon schwerer, wenn man aus einer angepassten stammt. Zumindest in dem Punkt, es hat alles Licht- und Schattenseiten.
Ja, individuelle Werte gibt es schon, aber da muss sehr hart, sehr lang, verbissen und konsequent daran gearbeitet werden.
Meint jedenfalls Euer
philohof
Hm, es kann aber auch so sein, dass die Werte da sind, aber die Ängste überwiegen, sie zu zeigen. In dem Fall ist es gut, sich die Ängste anzuschauen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wenn man die Ängste einigermaßen auflösen kann, hat man schon die halbe Miete.
Und vor allem kann man es dann lockerer angehen. Aber natürlich ist auch nichts dagegen einzuwenden, verbissen dranzugehen. Kenne einen Musiker, der sich so weitgehend selbst ausgebildet hat. Während sich seine Freunde mit ihrem Talent zufrieden gaben, hat er verbissen geübt und seine Techniken immer weiter vervollkommnet. War nicht leicht für ihn, er war auch lange sehr einsam. Aber heute ist er ein begehrter Lehrer....
LG
EarlyBird