Nö, das ist nicht trügerisch. Trügerisch ist nur die sinnfreie Vorstellung unser ich wäre irgendwie losgelöst von der Welt, inklusive unserem eigenen Erkenntnisapparat.
Sage ich ja - und deswegen war das, was du als "unsinnig" bezeichnet hast, eben nicht unsinnig.
Absuderweise zeigt dein Beispiel nun genau das Gegenteil von der eigenen Willensbildung, basierend auf meinen Erfahrungen, Überlegungen und Wünschen auf. Von daher: wer mich mit vorgehaltener Pistole zu Handlungen zwigt, mich durch Manipulation zu ungewünschten Handlungen missbraucht oder mir Drogen einflösst, um meine eigene Willensbildung zu unterdrücken, der nimmt mir die Freiheit. Mein Erkenntnisapparat nimmt sie mir aber nicht, sondern ermöglicht mir meine Freiheit. Die Rede vom Gehirn, dass der Person den freien Willen nimmt, ist komplett absurd.
Der Entscheidungsapparat nimmt der bewussten Person nicht den freien Willen, wenn sie ihn gar nie gehabt hat.
Du darfst hier nicht die Person in ihrer Gesamtheit mit der bewussten, verantwortlichen Person gleichsetzen.
Jemand mit Schluckauf ist sich seiner "Hicks" durchaus bewusst, kann sie aber nicht unterdrücken. Natürlich macht die Person
genauso selbst "Hick" wie eine, die absichtlich "Hick" macht, aber bei Schluckauf sind diese Hicks keine willentliche Entscheidung -
auch wenn genauso der Körper "entscheidet", dass er Hick macht.
Jemand, der dich zu etwas zwingt, nimmt dir nicht völlig die Freiheit, sondern schränkt sie maßgeblich ein. Das, was man als
"freie Entscheidung" bezeichnet ist letztendlich nur weitgehend frei von diesen äußeren Zwängen. Innere Zwänge, wie beispielsweise
eine psychische Krankheit oder einfache Vorlieben werden anders betrachtet.
Dein Erkenntnisapparat trifft für dich die Entscheidungen, und dein bewusstes Ich hat keine Kontrolle über jenen Entscheidungsapparat -
es führt nur jene Entscheidungen aus und meint dabei, selbst die Entscheidungen getroffen zu haben, weswegen es sich frei fühlt.
So wie der Manipulierte im Gegensatz zum offen Gezwungenen glaubt, selbst entschieden zu haben. Das entscheidet ja die Manipulation vom Zwang.
Das ist falsch. Keine Erkenntnisse zeigen, dass die eigene Selbstverortung in der Welt irgendwie nur ein Epiphänomen wäre. Das ergibt auch gar Sinn, weil es dann ja zu gar nichts nützlich wäre. Nein, auch die bewussten Teile meiner Willensbildung fliessen selbstverständlich in diese mit ein.
Natürlich, aber was bewusst ist, ist offensichtlich nicht notwendiger Weise wahr. Und auch die Frage nach der Nützlichkeit ist eine andere als jene nach der Existenz.
Das mag vielleicht nicht in Bruchteilen einer Sekunde erfolgen, aber das sind eben lange Prozesse, die ausführliches Abwägen von Pro und Contra und nächtelanges Grübel umfassen. All das fliesst ist selbstverständlich Teil meiner Entscheidungsfindung - es ist halt nur naiv zu meinen, das findet im Bruchteil einer Sekunde bei der Messung irgendeines Neurowissenschaftlers statt.
Bei den Experimenten wurde an Hand von Hirnströmen gemessen, wann die Entscheidung getroffen wird. Und an Hand dieser Aufzeichnungen wusste der Experimentator schon bevor dem, der entscheidet, wofür er sich entscheidet. Es gab also eine Zeitspanne, indem der Experimentator schon sehen konnte wofür sich die Versuchsperson entscheidet, noch bevor dieser bewusst zu der Entscheidung kam bzw sich entschieden hatte.
Frei von äusseren und inneren Zwängen. Das ist der Gebrauch dieser Begrifflichkeit in der Sprache und dort hat sie ihren Sinn, weil sie Unterschiedliches unterscheidet. Die freie Willen-Diskussion wird erst dann sinnfrei, wenn Leute anfangen sie aus dem Kontext zu reissen und unsinnige Vorstellungen reininterpretieren - wie z.B. dass Freiheit eine vollständige Unabhängigkeit von der Umwelt, von unserem eigenen Denkapparat oder gar von der Naturgesetzlichkeit bedeuten müsste. Er ist wird der freie Wille aus dem Kontext gerissen und, weil er dann keinen Sinn mehr ergibt, als nicht-Existent erklärt - das ist es was man oft von Neurowissenschaftlern hört, denen eine Grundausbildung in analytischer Philosophie fehlt...
Der "freie Wille" entspricht einem unmittelbarem Erleben, also der Empirie. Dass die erste Interpretation dieses Erlebnis durch ein tiefgehende Analyse unhaltbar wird, ist kein Einzelfall und ändert in der Regel nichts an der Empirie. In der Art "Ja, genaugenommen ist es inkorrekt, aber man kann im Alltag gut damit leben".
Und ja, so wie Neurowissenschaftlern oft eine Grundausbildung in analytischer Philosophie fehlt, fehlt Philosophen oft (und: wahrscheinlich 'noch öfter') eine Grundausbildung in Neurowissenschaften.
Generell gilt aber in der Verstandeswelt, dass Fakten Ansichten schlagen bzw dass Ansichten auf Fakten beruhen sollten und nicht umgekehrt.