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Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

Wer den nachfolgenden Artikel der Bayerischen Staatsbibliothek liest, weiß zumindest, was das "Buch der Bücher" im Mittelalter war.


Die Bibel - ihre Gestaltung und ihre Bedeutung im Mittelalter


Die christliche Bibel (griech. biblia: Bücher), eine über Jahrhunderte gewachsene Sammlung von Büchern als Wort Gottes, das im Alten und Neuen Testament schriftlich fixiert ist, bildet Ausgangspunkt und Grundlage der gesamten Kultur des Mittelalters. Ihre Bedeutung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.


Das Buch der Bücher wurde in seinen Einzelbüchern oder als ganzes abgeschrieben, übersetzt und kunstvoll illustriert, exzerpiert, kommentiert, paraphrasiert, sogar parodiert; es war Ursprung und Quelle für Dichtung und Prosaliteratur geistlichen und weltlichen Inhalts, für historische Darstellungen, es war Grundlage gelehrter ethisch-didaktischer Abhandlungen, dem Laien wurde es in Erbauungsbüchern und Predigten erklärt, es diente durch seine bildhaften Passagen als Anregung für die bildende Kunst in Malerei und Plastik, es war Lehrbuch an den theologischen Fakultäten des mittelalterlichen universitären Lehrbetriebs und Quelle und Autorität bei Vorlesungen und scholastischen Disputationen, nicht zuletzt war es Grundlage der Ordensregeln und Norm der gesamtkirchlichen Liturgie. Unter den ersten Büchern, die Gutenberg mit beweglichen Lettern druckte, war die Bibel. So erfuhr sie durch die neue Kunst ihre weitere – weltweite – Verbreitung.


Die Abschrift und Gestaltung dieses aus 72 Einzelbüchern bestehenden Werkes stellte für das Mittelalter eine nicht geringe Herausforderung dar. Sie wurde in unterschiedlicher Weise gelöst. So wurden etwa nur einzelne Texte abgeschrieben. Die frühesten erhaltenen Exemplare der Bibel sind reichlich illustrierte Einzelbücher: Evangeliare (die vier Evangelien), Evangelistare/Perikopenbücher (Anordnung der Evangelientexte nach dem liturgischen Gebrauch, s.u.) und Psalter (also Sammlungen von Psalmen wie der Windberger Psalter oder der Serbische Psalter). Daneben gab es bereits in der Spätantike Bibelpandekten, einbändige Ausgaben. Prachtausgaben in einem Band mit Titelbildern und kunstvollen Initialen entstanden dann besonders in der karolingischen und romanischen Epoche. Im 12. Jahrhundert folgten Bücher, die Text und Kommentar miteinander verbanden. Diese Erklärungen wurden oft als Marginalien neben dem Bibeltext oder als Interlinearglossen zwischen den Zeilen angebracht und so mit dem Originaltext weitertradiert. Durch Anfügungen späterer Kommentatoren wuchsen die Kommentare zu einem riesigen Umfang an, der gelegentlich den Bibeltext weit übertraf.


Die wichtigsten Zierelemente der Prachtausgaben waren die Bilder der vier Evangelisten. Die Darstellung zeigt den Evangelisten meist an einem Schreibpult sitzend und schreibend, ihn begleitet sein Symbol (Engel, Löwe, Stier und Adler). Eine Initialzierseite bietet den Anfangsbuchstaben oder die ersten Worte eines Evangeliums. Weitere Ausstattungselemente können eine Maiestas Domini (Darstellung des thronenden Christus) oder ein Leben-Jesu-Zyklus sein. Diese Elemente zeigen sich besonders prachtvoll in den berühmten Codices der Bayerischen Staatsbibliothek, dem Evangeliar Ottos III. und dem Perikopenbuch Heinrichs II. Diese Prachtausgaben waren nicht nur kostbarer Besitz einer Mönchsgemeinschaft, sondern dienten auch als Geschenke an weltliche und geistliche Würdenträger.


Unsere modernen handlichen Bibelausgaben gehen auf das 13. Jahrhundert zurück. Als die Studenten der jungen Pariser Universität sich mit dem Studium der Bibel beschäftigten, entstand ein großer Bedarf nach kleineren, leicht tragbaren, einbändigen Studienausgaben, den so genannten Taschenbibeln. Sie wurden zum Vorbild unserer modernen Bibelausgaben. Dadurch war es möglich, die gesamte Bibel bei sich zu haben. Der Text war in winziger Schrift auf dünnem Pergament in zwei Spalten geschrieben und mit roten und blauen Initialen sowie Seitenüberschriften versehen und hatte die von dem Theologen und Kanzler Stephan Langton gegebene Kapiteleinteilung, die heute noch gültig ist. Damit hatte die Bibel eine neue erweiterte Verwendung gefunden, sie war in der neuen handlichen Form auch zum häufig kopierten Studienbuch der theologischen Fakultäten geworden – noch in der lateinischen Sprache der Vulgata.


Mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern endete die Zeit der Bibel-Handschriften. Die in Textura, einer Variation der gotischen Minuskel, gedruckte Gutenberg-Bibel, „das unbestrittene Meisterwerk des frühen Buchdrucks“ (V. Meid) steht an der Wende zur Neuzeit und ist ein Werk, dessen Qualität schon der kaiserliche Rat und spätere Papst Enea Silvio Piccolomini lobte: so sei es „in höchst sauberer und korrekter Schrift ausgeführt“. Farbige Zeichnungen sowie die Initialen wurden nachträglich von Illustratoren mit der Hand in den fertigen Druck eingefügt, so dass jedes Exemplar einen individuellen Charakter trug. Bereits 1455 war eine Auflage von 180 Exemplaren (davon etwa 30 Ausgaben auf Pergament) fast vollständig verkauft oder subskribiert. Gutenberg hatte damit beweisen, dass die nova forma scribendi die Aufgaben der Skriptorien nicht nur in wirtschaftlicher Weise, sondern auch im ästhetischen Aussehen übernehmen konnte. Vom gesamten Bibeldruck sind heute noch 48 Exemplare erhalten. Das Gutenberg-Museum in Mainz besitzt zwei, weitere zwei gelangten nach der Säkularisation des Klosters Andechs in die Bayerische Staatsbibliothek.


Quelle:
http://www.bsb-muenchen.de/Die-Bibel-ihre-Gestaltung-un.2532.0.html

Deinen fundierten Recherchen zufolge, ist ähnlich auch meiner Betrachtung, dass die Bibel als Literaturwerk entwicklungsgeschichtlich für Europa einzigartig ist und vollste Anerkennung auf dem Gebiet der Schreibkunst verdient.

Das war für mich auch der Grund, die Bibel als Literaturwerk mit Tausenden Autoren, Lektoren, historischen Beratern, - Mitarbeitern auf fast allen Gebieten der Wissenschaften bis hin zu Drucktechnikern, mit damals auf dem neuesten Stand, immer besseren technischen Verfahren vorgingen, um dieses Werk auch zu vervielfältigen, - dieses Buch als großartiges Kultur- und Kunstwerk zu schätzen.

Aber, - das möchte ich betonen, die Bibel ist kein Geschichtsbuch, hat keinen historischen Anspruch, dieses Geistes- und Gedankengut der Bibel dient in erster Linie einer staatlichen Rechtsidee (im Sprachgebrauch: Juristen = Christen), im Sinne des Gemeinwohls, und nicht dem individuellen Vorteil.

Kinder, welche mit der Bibel als vermeintliches Geschichtsbuch aufwachsen und die darin enthaltenen Mythen als real vermittelt erleben und anschließend ihr soziales Bewusstsein danach ausrichten, können psychisch schwere Schäden davontragen und später als Erwachsene fatal scheitern, das muss an dieser Stelle auch gesagt werden.

K. M.
 
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AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

Kinder, welche mit der Bibel als vermeintliches Geschichtsbuch aufwachsen und die darin enthaltenen Mythen als real vermittelt erleben und anschließend ihr soziales Bewusstsein danach ausrichten, können psychisch schwere Schäden davontragen und später als Erwachsene fatal scheitern, das muss an dieser Stelle auch gesagt werden.

diese Menschen nennt man Fundamentalisten
und die gibt es in Deutschland nicht mehr in nennenswerter Stückzahl
(in Israel und den arabischen Ländern gibt es prozentual viel mehr davon)
bzw.
diese Leute sind jetzt Veganer oder Petaner oder Scientologen oder ...
 
AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

die aktuelle Rückbesinnung auf Gottes Schöpfung hat mit den Nebenwirkungen der Technik zu tun,
für die die Sozialwissenschaften blind sind
 
AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

diese Menschen nennt man Fundamentalisten
und die gibt es in Deutschland nicht mehr in nennenswerter Stückzahl
(in Israel und den arabischen Ländern gibt es prozentual viel mehr davon)

Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für Heilsprediger. Die deutschen Evangelikalen beispielsweise folgen dem Beispiel ihrer amerikanischen Vorprediger und inszenieren Massen-Erweckungsfeiern, die dann "Pro Christ" heißen oder "Christival".

Die Bibelschule Brake bildet ja ebenfalls christliche Fundamentalisten aus und schickt sie dann in den Jemen um zu missionieren. Dort wurden sie dann ermordet - von islamischen Fundamentalisten?.

Auch der momentane Papst ist zweifellos Fundamentalist, ebenso wie es G.W.Bush und Rumsfeld waren, die einen "Kreuzzug" gegen den Irak anzettelten.

Wo es nun, sei es Judentum, Islam oder Christentum prozentuell die meisten Fundamentalisten gibt, das lässt sich nur vermuten. Sicher ist nur eines: in allen monotheistischen Religionen gibt es prozentuell mehr Fundamentalisten als in den "nicht-monotheistischen" Religionen, weil sie ja ihren Gott für den allein richtigen halten.
 
AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

Kinder, welche mit der Bibel als vermeintliches Geschichtsbuch aufwachsen und die darin enthaltenen Mythen als real vermittelt erleben und anschließend ihr soziales Bewusstsein danach ausrichten, können psychisch schwere Schäden davontragen und später als Erwachsene fatal scheitern, das muss an dieser Stelle auch gesagt werden. K. M.
Hallo Kultus Maximus
Ich bin ein solches Kind. Ich habe gelernt nach jedem Scheitern wieder auf zu stehen und jeden einzelnen Faden, mehrmals betrachtet und umgedreht bis ich verstanden hatte worum es ging und ihn loslassen konnte. Ich bin vermutlich für die Welt und das übliche Verstehen heute auf der ganzen Linie gescheitert. Aber dieses Scheitern als einen ganz tiefen Sinn anzusehen und kein Bedürfnis mehr zu haben, auf Kosten anderer nach oben zu kommen. Ergibt einen ganz tiefen Lebenssinn, den mir kein Mensch rauben kann. Wer alles verloren hat, kann doch nur noch gewinnen oder? Das bedeutet für mich Auferstehung im ganz realen Sinn. Genauso wie jedes Wort Fleisch wird.



diese Menschen nennt man Fundamentalisten
Hallo scilla,
diese sogenannten Fundamentalisten, haben meist das Fundament der Bibel verlassen und sind zu hassenden Fanatikern geworden.
Das Fundament jeden menschlichen Lebens ist die Liebe zu sich selbst und zu seinem Nächsten. Dies sollte allen wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Nur ich kann keinen Menschen lieben der sich selbst nicht liebt.

Es gilt also das Gebot der Selbstliebe, die mit der Liebe zu Gott identisch ist wieder zu wecken und zu fördern, um sich auf das richtige Fundament zu stellen.

meint :waesche1: :schaf: rg
 
AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

Und getretener Quark wird breit - nicht stark ...:clown2:
Dann schon lieber Quarks ....:lachen::lachen::lachen:
 
AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

Zitat von roter Gräfin (Beitrag Nr. 225):
Nur ich kann keinen Menschen lieben der sich selbst nicht liebt.

Warum ist deine Liebe zu anderen Menschen an Bedingungen geknüpft?
Ist das die "Liebe" einer wahren Christin?
Steht das irgendwo in der Bibel?
Ich denke doch, dass wahre altruistische Liebe frei von Forderungen ist, oder etwa nicht?
 
AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

Deinen fundierten Recherchen zufolge, ist ähnlich auch meiner Betrachtung, dass die Bibel als Literaturwerk entwicklungsgeschichtlich für Europa einzigartig ist und vollste Anerkennung auf dem Gebiet der Schreibkunst verdient.

Das war für mich auch der Grund, die Bibel als Literaturwerk mit Tausenden Autoren, Lektoren, historischen Beratern, - Mitarbeitern auf fast allen Gebieten der Wissenschaften bis hin zu Drucktechnikern, mit damals auf dem neuesten Stand, immer besseren technischen Verfahren vorgingen, um dieses Werk auch zu vervielfältigen, - dieses Buch als großartiges Kultur- und Kunstwerk zu schätzen.

Aber, - das möchte ich betonen, die Bibel ist kein Geschichtsbuch, hat keinen historischen Anspruch, dieses Geistes- und Gedankengut der Bibel dient in erster Linie einer staatlichen Rechtsidee (im Sprachgebrauch: Juristen = Christen), im Sinne des Gemeinwohls, und nicht dem individuellen Vorteil.

Ich halte die Bibel - neben den indischen Veden - für eine der größten kulturellen Errungenschaften der Menschheit.
Darüberhinaus halte ich die Bibel auch für kein Geschichtsbuch, obwohl es einige darin vorkommende Personen - wie z. B. König David oder Pontius Pilatus - tatsächlich gegeben hat. Die rechtliche Seite der Bibel erschöpft sich m. E. auf die "Zehn Gebote" und einige "Speisegesetze". In erster Linie war die Bibel wohl ein Leitfaden für "richtiges" und "gottgefälliges" Leben im alten Israel bzw. in den jungen christlichen Gemeinden in- u. außerhalb Israels.
 
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AW: Die Bibel: Märchenbuch oder Lebenshilfe?

Zur Klärung der Frage: "Ist die Bibel ein Geschichtsbuch oder eher ein historischer Tatsachenroman?",
empfehle ich folgenden Vortag zu lesen:

Unser Beitrag zum Jahr der Bibel (Teil II)
Autor und Sprecher: Gerhard Rampp
Rundfunkvortrag vom 27.07.2003

Verehrte Hörerinnen und Hörer,

nicht zu Unrecht wird die Bibel das "Buch der Bücher" genannt, denn unabhängig von seinem religiösen Gehalt hat es eine enorme kulturelle Bedeutung, spiegelt es doch die Entwicklung eines vorderasiatischen Volkes in der Zeitspanne von weit mehr als einem Jahrtausend wider. Einen annähernd vergleichbaren kulturellen Einfluss übten, zumindest in unserem abendländischen Kulturkreis, allenfalls die Ilias und die Odyssee von Homer aus, die aber weder in Umfang noch im Entstehungszeitraum auch nur dem Alten Testament gleichkommen. Und erst recht gilt diese Feststellung, wenn wir die Schriften des Neuen Testaments hinzurechnen.

Der entscheidende Unterschied liegt in der Wirkung auf die Nachwelt. Schon nach der Entstehung des griechischen Welt-Epos erhob niemand ernsthaft den Anspruch, hier handle es sich um die Aufzeichnung von erlebter Historie, und schon gar nicht betrachteten die Griechen die geschilderten Episoden als beispielhafte Geschichten mit moralischem Vorbildanspruch. Vielleicht lag dies auch daran, dass sich im alten Griechenland daneben auch Frühformen der Wissenschaften entwickelten. Speziell die Geschichtsschreibung und die Philosophie, von der wiederum die Ethik eine Teildisziplin war, reiften zu einer Blüte, die noch vor 250 Jahren als Ausgangspunkt der abendländischen Aufklärung und Klassik dienten. Homers Werke wurden wohl von Anfang an als literarisch anspruchsvolle Sammlung griechischer Mythen verstanden. Das oft skrupellose Verhalten der Götter wurde zwar als literarische Verarbeitung des "prallen Lebens" der Menschen akzeptiert, frei nach dem Motto: "Auch den Göttern ist nichts Menschliches fremd". Niemals aber wurde deren Charakter als vorbildlich, nachahmenswert oder gar heilig betrachtet. Den antiken Tragödien oblag es, die Menschen moralisch zu reinigen und zu erziehen.

Im altjüdischen Kulturkreis war dies anders. Außerhalb der Heiligen Schriften sind dort keine literarischen, wissenschaftlichen oder philosophischen Werke bekannt, die der jüdischen Thora beziehungsweise dem christlichen Alten Testament in geschichtlicher oder ethisch-moralischer Hinsicht hätten Konkurrenz machen können. Die Heiligen Bücher spiegelten nach Auffassung der Israeliten die Worte und die Taten Gottes wider; was er tat, war von vornherein und gleichsam per definitionem gut, ja unantast*bar. Auch die Christen übernahmen diese Auffassung, nur dass sie zusätzlich auch das Neue Testament als Richtschnur anerkann*ten.

Im Laufe der sich entwickelnden Tradition eines wissenschaftlichen Studiums der Bi*beltexte fiel kritischen Kirchenmännern jedoch auf, was historisch-kritische Theolo*gen des 20. Jahrhunderts etwa so auf den Punkt bringen: Viele Passagen der Bibel, vor allem des Alten Testaments, haben mit histo*rischen Tatsachen gar nichts oder nur wenig zu tun. Überdies gibt es eine Reihe von Geschichten, die nach heutigem Verständnis eher in einen Kriminalroman als in eine heilige Schrift passen würden. Kurz gesagt: Auch aus der Theologie wurden zwei Einwände gegen die Bibel vorgebracht. Erstens sei sie in Teilen nicht wahr, sondern nur eine Sammlung von Mythen oder gar Märchen, und zweitens sei sie in Teilen keineswegs gut, sondern schädlich und geradezu brutal. Mit der Wahrheitsfrage hat sich die letzte Sendung des Bundes für Geistesfreiheit befasst. Es bleibt festzustellen, dass heute nur noch eine kleine Minderheit der Europäer die Bibelgeschichten für historische Tatsa*chen hält. Hingegen glauben viele durchaus an eine moralische Nützlichkeit der Bibel * etwa in dem Sinne, wie heute von einem tieferen Gehalt der Märchen und Mythen ausgegangen wird. Dieses positive Urteil mag daran liegen, dass viele die Bibel, wenn überhaupt, nur auszugsweise gelesen haben und dass oft auch nur so genannte Volksausgaben in Umlauf sind. Jeder kann sich denken, welche Passagen dort herausgekürzt sind. Dabei geben gelegentlich schon mal Kirchenvertreter sogar in der Öffentlichkeit zu, dass dort auch schlimme Episoden vorkommen, aber meist wird dann nur auf das Alte Testament verwiesen, und entscheidend sei für Christen ja doch das Neue. In Fachkreisen fernab von der Öffentlichkeit werden Theologen allerdings deutlicher. Ein katholischer Innsbrucker Professor für Altes Testament hat in mühevoller Kleinarbeit jene Passagen herausgefiltert, in denen Jahwe Grausamkeiten ausgeführt oder angeordnet hat. Er kam auf über tausend Stellen, und in rund 70 Fällen hat er sogar einen Genozid, also die Vernichtung eines anderen Volkes oder Stammes befoh*len. Der am ehesten bekannte Fall betraf die Absetzung des Königs Saul, des Vorgängers von König David. Von ihm heißt es in verkürzten Versionen nur lapidar, dass er Gott nicht gehorchte und dafür bestraft wurde. Aber worin bestand sein Vergehen konkret? Er hatte in einem Kriegszug sämtliche Männer und Knaben eines feindlichen Stammes getötet, wie Jahwe es befohlen hatte. Die Frauen und das Vieh jedoch führ*te er als Beute mit und ließ sie am Leben. Jahwe hatte indes auch deren Tötung und somit die vollständige Ausrottung des Stammes befohlen. Sauls Unbotmäßigkeit bestand also darin, dass er nicht brutal genug vorging.

Es versteht sich von selbst, dass sich neben solchen Passagen auch eine Reihe positiver Episoden finden. Aber für ein Werk, das auch für die heutige Zeit noch die morali*sche Richtschnur sein soll, wäre schon eine einzige von Gott gebilligte Brutalität eine zuviel. Tatsächlich finden sich aber zahlreiche zutiefst inhumane Stellen, auch im Neuen Testament.

Ein Autor, der sich mit dieser Problematik sehr gründlich auseinandergesetzt hat, ist der Freiburger Psychologieprofessor Franz Buggle. In seinem 1992 erschienenen Buch "Denn sie wissen nicht, was sie glauben" stellt er gleich zu Beginn die These auf, dass die Kirchen trotz all ihrer Schwächen und trotz der dunklen Flecken in ihrer Geschichte vergleichsweise human seien in Relation zu ihrer programmatischen Grundlage, ihrer Heiligen Schrift. Er ist indes nicht der erste Autor, der der populären Meinung entgegen tritt, die christliche Lehre sei im Grunde schon gut, nur habe sie die Kirche im Laufe ihrer Geschichte pervertiert. Der evangelische Theologe Dr. Dr. Joachim Kahl schrieb in seinem Bestseller "Das Elend des Christentums": "Wer sich über die Bibel nicht em*pört, kennt sie nicht. Oder ist zu feige oder innerlich zu unfrei, sich zu empören." Kahl zog die Konsequenz und trat nach seiner Promotion aus der evangelischen Kirche aus, obwohl ihm dort eine große Karriere an der Universität offen gestanden hätte.

Professor Buggle listet in seinem Buch nicht nur eine Fülle von biblischen Unmenschlichkeiten auf und geht dann auf die Rechtfertigungsstrategien der Theologen ein, sondern stellt dann die Gretchenfrage in neuer Form: Kann man heute redlicherweise noch Christ sein?

Gleich zu Beginn zeigt Buggle den Weg auf, wie sich die Kirchen theoretisch aus dem Dilemma lösen könnten, dass einige Passagen ihres Basis-Werks in krassem Gegensatz zu den moralischen Grundsätzen stehen, die sie selbst heute vertreten. Sie bräuchten nämlich nur deutlich zu machen, dass eben nicht die ganze Bibel, sondern nur wesentliche Teile die Grundlage des christlichen Glaubens seien. Einen ersten Schritt haben viele christliche Gemeinschaften schon vor längerem durch die Klarstellung gemacht, dass die Bibel nicht wortwörtlich das Wort Gottes enthält, sondern nur sinngemäß von Gott inspiriert sei. Weiter zu gehen lehnen sie aber kategorisch ab. Im Gegenteil: Sogar das wegen seiner relativen Offenheit und Liberalität gerühmte II. Vatikanische Konzil stellte dazu in seiner "Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung" 1965 wörtlich fest:

"Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden; denn aufgrund apostolischen Glaubens gelten unserer heiligen Mutter, der Kirche, die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch". Damit beginnt diese glasklare Aussage, die mit dem Fazit endet: "Da also alles, was die inspirierten Verfasser ... aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt zu gelten hat, ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren". Soweit das Zitat aus dem Konzilstext. Da andererseits die Bibel vor allem in ihrem älteren Teil unleugbare histo*rische und andere Irrtümer enthält, liegt zunächst der Schluss nahe, die Kardinäle hätten wohl in ihrer zugegebenermaßen knapp bemessenen Zeit selbst nur ausgewählte, unproblematische Passagen dieses umfangreichen Werks gelesen, sonst hätten sie sich doch nicht so kategorisch festlegen können. Tatsächlich hat dieses Dilemma zwischen uneingeschränktem Wahrheitsanspruch "in allen seinen Teilen" und den offensichtlichen Schwachstellen einen Bischof aus dem Rheinland so umgetrieben, dass er mit dem Autor des oben genannten Buchs in ei*nen längeren Briefwechsel getreten ist. Offenbar war ihm zuvor gar nicht bewusst, wie verheerend manche Passagen der Bibel heute auf einen weltoffenen Demokraten wirken müssen, wenn man sie nur aufmerksam und unvoreingenommen liest. Bei näherer Betrachtung haben die Kirchen allerdings keine wirkliche Alternative. Die Distanzierung von nur einer einzigen Bibelstelle würde sofort die Grundsatzfrage aufwerfen, ob diese denn wirklich göttlich inspiriert sei. Wenn sie sich einmal irrte, könnte sie sich auch hundertmal irren, und dann wäre sie letztlich doch zeitgebundenes Menschenwort einer frühgeschichtlichen Nomadengesellschaft und nicht Gotteswort. Dann würde die Autorität der Bibel noch viel mehr leiden, als sie das ohnehin tut.

Daher werden auch in der evangelischen Kirche keinerlei Vorbehalte gegen einzelne Passagen der Bibel zugelassen. So heißt es in der Konkordienformel, einer Bekenntnisschrift der evangelisch-lutherischen Kirche, wörtlich: " ... und bleibt allein die Heilige Schrift als der einzig Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher als dem einzigen Probierstein sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht seien."

Nicht wenige freikirchliche und basischristliche Gemeinschaften reagieren sinngemäß nach dem Motto: "Was interessieren uns die Grausamkeiten Jahwes im Alten Testament, wir orientieren uns ausschließlich an Jesus und dem Neuen Testament." Für die private und höchstpersönliche Glaubenshaltung einzelner Christen könnte dies scheinbar ein Ausweg sein. Allerdings finden sich auch dort inhumane Passagen. Neben zahlreichen einzelnen Stellen wären vor allem die Kreuzestheologie des Paulus und wesentli*che Teile des Johannesevangeliums zu nen*nen. Außerdem ist die Trennung vom Alten Testament gar nicht so einfach möglich: Die Interpretation eines Kreuzestodes als Sühne*opfer setzt das alttestamentarisch-archaische Gottesbild voraus. Selbst das Liebesgebot, zentraler Aspekt des Neuen Testaments, ist zweischneidig angesichts der teilweise dra*konischen Strafen oder Strafandrohungen bei abweichendem, d.h. sündigem Verhalten. Ungläubige gelten auch dort wörtlich als "abscheuliche Menschen, die zu nichts Gutem taugen". Jesus wird mit dem Ausspruch zitiert: "Wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden". Die Diskriminierung von Ungläubigen und Ketzern in der Kirchengeschichte lässt sich direkt aus den Wunschphantasien über ihre Bestrafung und Vernichtung im Neuen Testament ableiten. So gesehen sind die Kirchen heute in Mitteleuropa, trotz mancher Rückfälle im Einzelfall, gegenüber Anders- oder Ungläubigen wesentlich toleranter, als sie dies nach dem Neuen Testament eigentlich sein dürften.

Wenn Sie sich damit näher befassen wollen, sollten Sie die Vorbehalte Buggles anhand der kritisierten Bibelstellen einmal selbst nachprüfen. Sein Bestseller "Denn sie wissen nicht, was sie glauben" ist derzeit vergriffen, kommt aber im Herbst beim Aschaffenburger Alibri-Verlag als Taschenbuch wieder heraus.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Bibel als Kulturgut ist unstrittig. Als religiöse Quelle ist sie eine Sache der Gläubigen. Allein ihre behauptete moralische Funktion steht hier in Zweifel. Und auch in dieser Hinsicht ist beileibe nicht alles schlecht. Aber das Gute findet sich auch außerhalb der Bibel, und das Schlechte gilt es zu vermeiden - im Christentum und außerhalb.

Quelle:
http://www.bfg-muenchen.de/br270703.htm
 
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