AW: Deutschland - ein reiches Land ?
Lilith,
ich kenne die näheren Umstände der beruflichen tragödie deines Sohnes nicht,
aber ich kann mir vorstellen, wie es dir zumute ist,
ich fühle mit dir,
weil auch meine Tochter eine tätigkeit in einem Callcenter annehmen mußte, weit unter ihrer Qualifikation als Ingenieur.
Aber sie hat dies einer Sozialfürsorge-karriere vorgezogen.
Miriam,
ich kenne keine Großkapitalisten mit Schweizer bankkonto (bin also überfragt),
aber, wie schon mal dargelegt,
auch ich würde mein bescheidenes Vermögen in die Schweiz bringen,
(wenn die Grenze nicht so weit wäre, und das Geld nicht schon langfristig festgelegt)
und so wie ich tausende.
Und ich kann dir versichern, daß ich dafür hart gearbeitet und gespart habe.
Claus
Das glaube ich Dir auch.
Aber auf den Fall Deiner Tochter bezogen, muß ich anmerken, daß ich hoffe, daß sie vielleicht doch eines Tages als Ingenieurin tätig sein darf. Genau da liegt nämlich der Hase für mich im Pfeffer. Etwas stimmt nicht im System, wenn - und da ist Deine Tochter ja leider kein Einzelfall - gut qualifizierte Menschen immer seltener ensprechend ihrer Qualifikation arbeiten "dürfen". Natürlich kann auch dies im Einzelfall einer Art von Dummheit entsprechen (z.B. der Run auf Berufszweige, die hoffnungslos überfüllt sind). Auch da stellt sich dann genau genommen wieder die Frage des "selber schuld".
Aber genau daran merkt man dann auch, wie voreilig man mit dem "selber schuld" ist.
Es stimmt ja, wenn Ziesemann ausführt, daß der Job einer Toilettenfrau gesellschaftlich wertvoller ist, als das Beziehen von Stütze. Und ich glaub ihm ja auch, daß er mal auf einer Plantage oder jedenfalls hart körperlich geabeitet hat.
Und viele Deiner Beispiele mögen stimmen. Gestatte mir allerdings die klugscheißerische Anmerkung, daß ich jeden Tag mit derlei Menschen zu tun habe und von daher (inzwischen jedenfalls) auch ziemlich gut weiß, wo die Unterschiede zwischen Faultier und Pechvogel liegen.
Aber was Ihr beide überseht, ist die Frage (und auch die langfristige Auswirkung), ob es wirklich ein haltbarer Zustand sein kann, daß qualifizierte Menschen auf unabsehbare Zeit und
ohne Perspektive
als - im schlimmsten Fall - Spargelstecher oder Toilettenfrau arbeiten.
Ich weiß nicht, in welchem Alter Ziesemann ist, ich nehme an, schon ziemlich alt und ich gehe angesichts seines sprachlichen Niveaus nicht davon aus, daß er sein Leben lang die üblen Arbeiten ausführen mußte. Gleiches gilt für Dich, wobei Du ja etwas jünger sein dürftest.
Ich bin ebenso in einer Generation groß geworden, der noch gesagt wurde, wenn Du nur fleißig bist, stellt sich der Erfolg von alleine ein. Das gilt nicht mehr, stattdessen gilt inzwischen ein Leitspruch, den ich mal aus Jux in meiner Studentenzeit kreiert habe:
Faulheit bringt Sicherheit.
Dieser einstmals so alberne Spruch wird mehr und mehr real, denn die Grenzen ziwschen denen, die sich erfolglos reinhängen und den "Pennern" wenn ich es mal so brutal ausdrücken darf, vermischen sich mehr und mehr. Nur das der "Penner" fast der clevere von beiden ist, denn wer von Anfang an nichts investiert, braucht sich später auch nicht ärgern.
Hinzu kommt, daß es sooo furchtbar viele Einsatzmöglichkeiten im Agrarbereich und im Straßenreinigungsdienst auch wieder nicht gibt und es mit Sicherheit nicht Anliegen einer gesunden Volkswirtschaft sein kann, wenn ausgebildete Leute dort versauern.
Nein, letzten Endes glaube ich, ist Deine sowie die Argumentation Ziesemanns -wenn auch in vielen Fällen begründet, denen ich mehr als hundert weitere hinzufügen könnte - ein Trugschluß, eine Gewissensberuhigung nach altem Muster. Sie stimmen nur noch teilweise: Viele Menschen, die eigentlich etwas auf dem Kasten haben, werden zu Abfallprodukten einer pseudomodernen Gesellschaft. Und da müssen alle gegenhalten und dürfen sich nicht mit Schuldzuweisungen begnügen. Denn es kann heute wirklich jeden treffen. Und mal ganz böse - aber nicht in böser Absicht - gefragt: Was tut deine Tochter, wenn der Callcenter auch noch dichtmacht, was wenn sie etwas zu alt, sie selbst oder ihre Kinder krank oder sonstwas wird, um nicht mehr ins Raster zu passen? Ich habe auch u.a. eine Tochter, wer weiß wie es bei ihr mal in ca. 10 - 15 Jahren aussieht?
Ich gebe zu, Jammern ist blöd und kein guter Weg.
Man sollte aber nicht zu vorschnell das Soziale Netz mit einer Hängematte für Faultiere verwechseln, die Maschen werden ja schon längst breiter. Ich weiß nicht was passiert, wenn die Regierungen gleich welcher coleur oder auch der Arbeitsmarkt nicht in absehbarer Zeit die Kurve kriegen und der Sozialstaat dann ganz flöten geht.
Und deshalb wirken manche kernigen Grundsätze bei all Eurem Bemühen um Argumentation etwas selbstberuhigend und fallen - ungewollt freilich - im Einzelfall schon etwas zynisch aus, wie die Reaktion von
Lilith leider zeigt.
Viele Grüße
Zwetsche