Diese Analogie passt nicht.
Der Auftrag eines Taxifahrers ist wenig komplex und lösbar, ich kann ihn frei wählen und entlassen und er fragt mich bevor er etwas tut.
Genauso frei kannst du die Regierung wählen. Wenn du meinst das wäre nicht so, denn es gibt ja nur wenige Parteien: auch die Zahl der verfügbaren Taxifahrer ist begrenzt. Man kann eben zwischen dem wählen, was verfügbar ist.
Welche Erfahrung hast du mit Taxifahrern ? Fragen sie vor jedem Setzen des Blinkes oder vor jedem Fahrspurwechsel um deine Erlaubnis ?
Politiker dagegen nehmen einen Auftrag an, der unlösbar sind, nämlich Millionen verschiedene Menschen gleichzeitig zu vertreten, und wenn man sie nach vielen Jahren los wird, werden sie umgehend durch ein gleichwertiges Exemplar ersetzt, das man sich auch nicht aussuchen kann.
Wobrüber beschwerst du dich jetzt konkret und welche Lösungsvorschläge könntest du anbieten ?
In einer echte Demokratie wären Geheimdienste entbehrlich. Wenn das Volk z. B. darüber abstimmen sollte, ob ein Krieg gegen den Irak geführt werden solle, weil der "die Welt mit Nuklearwaffen bedroht", dann müssten diese Information natürlich öffentlich, transparent und belegbar sein. Saublöd, wenn es ein undurchsichtiges Gemauschel dann nicht mehr geben könnte.
In einer "echten Demokratie" wüssten völlig mündige Bürger über die weitreichenden Folgen ihrer einzelnen Entscheidungen Bescheid. Nun, wir leben aber in keiner idealen, sondern in einer realen Welt. Insofern ist es ziemlich sinnlos Nichtidealität zu verteufeln, sie wird dadurch nicht weniger real.
Vielleicht solltest du einsehen und klar feststellen, dass du mit "echte Demokratie" ausschließlich eine "ideale, direkte Demokratie" meinst - wobei ich das, was du Demokratie nennst, eher als Anarchie sehe.
Nein. Es herrscht eine verbrämte, relativ milde, noch relativ breit angelegte Oligarchie, der das Etikett Demokratie anhängt. Ziemlich genau so, wie in der ehemaligen DDR, wo eine etwas weniger milde Oligarchie das Etikett Kommunismus trug.
Es ist also keine "reale Version" sondern eine vorgetäuschte Version, denn eine transparente und für jeden sichtbare Mehrheit des Volkes ist in diesem Gemauschel nicht zu erkennen sondern wird einfach als zweifelsfrei gegeben vorausgesetzt.
Vielleicht deswegen, weil es bei der breiten Mehrheit der Fragen eine "für jeden sichtbare Mehrheit des Volkes" ganz einfach nicht gibt ?
Wie viele Österreicher interessiert es wirklich, ob in der Bregenzerstraße ein Autowaschsalon eröffnen darf oder nicht ?
In jeder Gesellschaft gibt es Menschen, die mehr führen wollen und Menschen die weniger führen wollen. Dass vermehrt Menschen die führen wollen in Führungspositionen zu finden sind liegt in der Natur der Sache. Die Demokratie ist auch die Form in der ich am Ehesten die Chance für den Einzelnen sehe, in eine Führungsposition zu gelangen.
In deiner Vision der Demokratie gibt es schlicht und einfach keine Führungspositionen - was sie aber zur Anarchie macht und nicht zur Demokratie, auch nicht zu einer idealen.
Es wäre sehr einfach, das zu ändern, nämlich durch einige
wenige gute Fragen mit Richtliniencharakter an
alle. Eine Handvoll Fragen im Jahr, nicht hunderte pro Tag, nur um dem Reflex vorzubeugen.
Ok, und wer bestimmt, welche Fragen hier gefragt werden ? Und wie verhindert man, dass deine "Eliten" Einfluss auf die Abstimmungsergebnisse nehmen ?
Ein Lichtblick in dieser Hinsicht sind die Abstimmungen in Großbritannien über den Verbleib Schottlands und die kommende über den Verbleib in der EU. Man könnte ja auch einfach mal in Deutschland oder Österreich nachfragen, wer sich denn eigentlich gut vertreten fühlt und wer sich gerne mehr einbringen möchte. Aber wirklich fragen und keine bestellten Infratest- Ergebnisse. Wieso kam denn niemand auf diese Idee, 70 Jahre lang? Weil es die Oligarchen nicht interessiert, vielleicht?
Ja, nehmen wir doch die österreichische Abstimmung über den Beitritt zur EU. Das Volk wurde befragt, das Volk hat eindeutig geantwortet. Und doch, wenn man jetzt ins Volk hört, ist es nicht zufrieden. Die Kritik richtet sich aber nicht gegen sich selbst, sondern wiederum auf das, was du Elite nennst denn diese hätten das Volk ja getäuscht.
Scheinbar ist also nicht einmal eine Volkabstimmung demokratisch genug, wenn man nach den Dauernörglern geht.
Das ist doch o.k. Wo ist das Problem z.B. bei der Frage: "Wollt ihr weiter in der EU (oder in der Nato) sein?"
Es lassen sich unendlich viele Fragen formulieren, zu der das Volk irgendeine Meinung haben könnte.
Aber nehmen wir dein Beispiel: Wie oft soll das gefragt werden ? Wenn sich das Volk entscheidet, für wie lange ist es an seine Entscheidung gebunden ?
Wieso, glaubst du, gibt es so etwas wie begrenzte Legislaturperioden ? Und wieso sind sie gerade so lang wie sie sind (bei uns idR im Bereich von 4 bis 6 Jahren) ?
Einen Populisten würde ich keine Fragen an das Volk formulieren lassen,
Aha, und mit welcher Macht würdest du den Populisten daran hindern wollen, wo es in deiner idealen Demokratie doch gar keine Machtpositionen mehr gäbe ?
da ließe sich bestimmt ein besseres Verfahren finden und ob die Gehälter von Lehrern gekürzt werden sollten, wäre m.E. auch keine Frage mit Richtliniencharakter sondern mehr operatives Geschäft, das man der eigentlich sehr guten Verwaltung überlassen könnte.
Und doch müssten Entscheidungen getroffen werden. Sollen diese Entscheidungen bzw die Vorgaben für Entscheidungen mit Auswirkungen auf andere Menschen jetzt von gewählten Personen oder von ihren Beamtenchefs beschäftigte Personen getroffen werden ?
Wer bestimmt über den obersten Chef ?
Wenn der Mehrheitswille tatsächlich für die Mehrheit schädlich wäre, dann hätte die Demokratie als Konzept aber tatsächlich ein Problem. Gut, daß man das noch nicht ausprobiert hat.
Die Mehrheit will Auto- und nicht Radfahren. Darf eine verantwortungsvolle, demokratische Regierung jetzt nur den Autoverkehr fördern und muss das Radfahren außer Acht lassen bzw zu Gunsten des Autoverkehrs zurückdrängen ? Wie sieht es aus mit politischen Förderprogrammen ? Darf eine Regierung beispielsweise mit einer Erhöhung der Familienbeihilfe Menschen zur Familienbildung motivieren ? Oder darf in einem demokratischen System deiner Vorstellung die Regierung nur feststellen, wie hoch der Volkswunsch nach Kindern ist und dann -ja wie eigentlich- reagieren ? Müsste sie vielleicht Gelder für Kindergärten kürzen, weil Leute lieber etwas anderes machen als Kinder zu haben ?
Dürfen in Kärnten nur mehr deutschsprachige Ortstafeln aufgestellt werden, wenn die mehrheitlich deutschsprachige kärntner Bevölkerung das so will ?
Im Einzelfall kann der Mehrheitswille für die Mehrheit schädlich sein. Das ist so wie bei einzelnen Personen - nicht jeder Wunsch, nicht jeder Wille bzw jedes Bestreben tut einem selbst gut. Aber, bei einem Individuum sind die Auswirkungen auf es begrenzt. Das Volk ist aber kein Individuum, und daher kann man es zumeist nicht als Person betrachten.
Wenn die Welt nicht so binär ist, dann frage ich mich, weshalb Du dann nur die beiden Extreme sehen kannst, daß entweder 100 Volksabstimmungen pro Tag stattfinden sollen oder überhaupt keine.
Das ist nicht meine Sicht, das implizierst du mit deiner Forderung. Du willst keine Vertreter, folglich müsste jede einzelne politische Entscheidung vom Volk selbst getroffen werden. Ansonsten wäre es ja nach deiner Sichtweise keine Demokratie. Und da es täglich wohl mehrere hundert politische Fragen gibt (können auch mehrere tausend sein, ist nur eine Hausnummer), müsstest du auch benennen, wie deine Forderung umgesetzt werden könnte. Ich sehe keinen Weg. Dass es täglich eine Unzahl an politischen Fragen gibt ist nicht meine Sichtweise, sondern ein Faktum.
Die hinlänglich bekannte Theorie (man könnte es auch eine Suggestion nennen), nach der "der Wähler entscheidet" sehe ich in der Praxis nicht gegeben. Eine Volksabstimmung darüber, ob "der Wähler" sich gut vertreten fühlt, würde vermutlich mehrheitlich mit "Nein" beantwortet.
Ja, und die Abstimmungen ob man in seinem Job gut bezahlt wird oder ob man ein guter Autofahrer sei würde auch vorhersehbar beantwortet werden. Ob es aber bei objektiver Betrachtung auch so sei, ist eine ganz andere Frage.
Ich bin nicht im Notstand. Es ist Dein Notstand, auf die Frage, weshalb man die Bevölkerung über Jahrzehnte rein gar nichts direkt fragt, immer mit der Antwort zu kommen: "Ja, weil man sie nicht 100 Mal am Tag fragen kann."
Wie es in D ist weiß ich nicht - in Österreich gab es Volksabstimmungen zu einzelnen, sehr wichtigen und weitreichenden Fragen. Ansonsten ist die politische Kultur in Österreich ziemlich konsensfähig und es war einfach nicht notwendig,das Volk zu befragen.
Wenn man an die griechische Volksbefragung bezüglich Sparmaßnahmen denkt, sieht man auch wie leicht man diese missbrauchen und wie sinnlos so eine Befragung werden kann.
Glaubst du wirklich, Politiker wären so dumm, dass sie gegen den Volkswillen eine tatsächlich schädliche Entscheidung treffen wollen würden ? Dass sie wider besseren Wissens den politischen Selbstmord begehen wollen würden ?
Die Bildung von Eliten und Oligarchien ist auf Staatsebene, wo Millionen organisiert sind, die sich nicht persönlich kennen, tatsächlich derzeit die Normalität.
Soso, gibt es nicht in jedem Kuhdorf eine "Oberschicht" ? Und dort kennen sich die Leute weitgehend noch persönlich.
Man ist das überall so gewöhnt. "Die eigenen Leute" sind halt nur die, die man kennt und die die einem ähnlich sind. Bei der Staatenbildung, bei der ja regelmäßig
auch nicht jeder gefragt wird, zu welchem Staat er/sie gehören möchte, führt das dazu, dass es eine Machtclique gibt, die sich allerhand Methoden ausdenkt, um bloß nicht die Mehrheit beim regieren fragen zu müssen.
Natürlich nicht, weil der alleinige Wunsch ein Staatsangehöriger zu sein eben nicht zur gewährung der Staatsbürgerschaft ausreicht. Wohl aber kann man eine Staatsbürgerschaft ablehnen. Es wird also niemand gezwungen eine gewisse Staatszugehörigkeit zu besitzen. Das Volk wird nach jeder Legislaturperiode befragt. Es wird nicht direkt gefragt WIE jemand regieren soll, sondern es ist jedem gestattet vorzuschlagen wie er regieren würde und das Volk befragt, ob es ihm die Befugnis dazu gibt. Zusätzlich steht es jedem frei, eigene Vorschläge zu machen, wie er denn regieren würde. Wenn das Volk ihm dann nicht die Befugnis gibt, dann hat eben der oberste Souverän "gesprochen" und in der Demokratie ist das eben zu akzeptieren.
So wie im Flugzeug fragt der Kapitän auch nicht die Passagieren wie er fliegen soll. Das ist auch gut so, denn die Passagiere haben in der Regel keine Ahnung davon wie man ein Flugzeug steuert.
Mir erscheinst du wie ein penetranter Passagier, der keinem genug vertraut als dass er ein Flugzeug zu deinem Wohl steuern könnte und du daher für jeden (oder auch nur "viele") Handgriffe eine gesonderte Erlaubnis oder Order bräuchte. Wie in der Politik würde es aber den Piloten her ablenken um dem guten Ausgang des Fluges und der Sicherheit der Fluggäste abträglich sein.
Aber dieses Denken kann womöglich überwunden werden. Es wäre einen Versuch wert.
Was hat sich seit den Hochzeiten des Marxismus geändert, sodass ein anderes Ergebnis erhofft werden könnte ?
Das wäre pessimistisch. Wir könnten diese Kontrolle haben, wenn wir versuchten, eine Demokratie tatsächlich mal zu probieren.
Die Demokratie wird schon mehrere Jahrhunderte nicht nur versucht, sondern gelebt und immer weiter entwickelt - und mit den sich laufend ändernden Gegebenheiten muss sich die Demokratie eben auch laufend mitentwickeln. Aber, wenn du alles kontrollieren willst, dann musst du erstens eine ausreichend Überwachung installieren und zweitens die Macht haben, etwaige Abweichungen zu korrigieren.
Also konzentrierte Überwachung und Macht. Das hört sich zumidnest für mich ganz und gar nicht nach einer freie, demokratischen Gesellschaft an.
Nein. Sie hat sich eben noch nicht entwickelt. Zu viele Menschen glauben noch, Menschen seien Kinder und andere glauben, sie seien die Eltern.
So einfach ist es nicht. Denn "die Regierung" ist keine Einzelperson, sondern eine von vielen Seiten beeinflusste und von vielen Seiten abhängige Gruppe.
Wer noch nie in einer scheinbaren Machtposition war glaubt dass ein Machtinhaber machen könne, was er wolle. So wie eben Kinder glauben, Eltern könnten tun und lassen, was sie wollen.
Nur ist es gerade umgekehrt. Je weiter oben in der Machthierarchie, desto geringer ist die Freiheit. Warum, glaubst du, ist Obamas "Yes, we can!" so arg verpufft ? Weil er mit Amtsantritt plötzlich sämtliche Ambitionen verloren hat ? Oder nicht doch eher, weil auch er gemerkt hat, dass die wahre Macht doch viel weniger konzentriert ist, als man meinen möchte.
Warum hat sich mit dem Wechsel von Kohl auf Schröder (CDU --> SPD) oder Schröder auf Merkel (SPD --> CDU) praktisch nichts geändert ?
Mit ein bisschen Nachdenken müsste man erkennen, dass es relativ wenig Auswirkung hat, welche Person die scheinbare Machtposition inne hat. Dass die eigentlichen Wechsel jetzt nicht von den Personen Kohl,Schröder,Merkel herrühren sondern eigentlich vom Volk kommen. Und da ist der Wechsel von 40% CDU / 35% SPD auf 35% CDU / 40% SPD und zurück eben nicht so groß.
Sind Begriffe denn so wichtig?
Nachdem es bei uns jetzt primär darum geht, was eine Demokratie ist und was nicht, würde ich nicht nur sagen "wichtig", sondern sogar "zentral".
Wenn tatsächlich mal jeder gefragt würde, nicht über diesen merkwürdig korrumpierbaren Umweg über Parteien und dadurch tatsächlich jeder nur ein, zwei mal im Jahr die Richtung mitbestimmen könnte, dann würde ich von Demokratie reden. Dann würde das Volk sich selbst beherrschen, das wäre Selbstbeherrschung. Kennst Du? Anarchie wäre der Verzicht auf jegliche Regeln und Organisation, das geht in ganz kleinen Gruppen, in denen jeder den anderen gut kennt und achtet und weiß, was zu tun ist.
Man könnte ja mal die Reichweiten der gleichzeitig laufenden Sendungen "Gilmore Girls" auf ORF1 versus "Hohes Haus" auf ORF2 vergleichen und daraus Schlüsse ziehen, wie sehr "das Volk" gewillt ist, die Strapazen und Mühen der Selbstbeherrschung auf sich zu nehmen oder seichte Unterhaltung zu konsumieren.
Mit 1-2 mal pro Jahr befragt zu werden, wäre für dich plötzlich alles in Ordnung ? Bei nur 1-2 Befragungen jährlich (gegenüber zehntausende Entscheidungen, die weiter ohne direkte Volksbefragung getroffen werden würden) würde sich das Volk dann selbst beherrschen ? Finde ich etwas merkwürdig, dass du genau dort die Grenze zwischen Demokratie und Oligarchie(?) ziehst.
Die in jüngerer Geschichte in Österreich am Meisten gegen den Wählerwillen gehende politische "Entscheidung" war für mich die Regierungsbildung Schwarz/Blau im Jahre 2000. Wenn auch demokratiepolitisch legitim, spiegelte die Regierungszusammensetzung nicht den aktuellen Wählerwillen.
Aber: auch wenn diese Regierung Schäden angerichtet hat und einige deren Mitglieder vorhersehbarer Weise kriminelle Machenschaften betrieben haben, ist Österreich nicht untergegangen und der Schaden war/ist zu verschmerzen.
Außerdem, es ist ein Merkmal eines Rechtsstaates, seine eigene Verfassung zu respektieren, auch wenn sie konkret unwillkommene Folgen mit sich trägt. Der rechtsstaatliche Weg ist dann nicht die Aussetzung oder Aufhebung, sondern ggf eine überlegte Änderung für künftige Zeiten. Anders formuliert: Evolution statt Revolution.