Mit Talenten verhält es sich m.E. genauso wie mit "Charakter", nämlich: sicher ist einiges von unserem Wesen "angeboren", d.h. in unseren Erbanlagen verankert (dazu gehört eben auch Talent für bestimmte Dinge), sehr vieles, was wir meinen, wenn wir sagen daß jemand talentiert sei, wurde aber durch Lernprozesse angeeignet.
Beispiel:
Ich verfüge über ziemlich ausgeprägtes Talent zum Malen/Zeichnen. Das hat sich schon sehr früh gezeigt, ich konnte schon als kleines Kind erkennbar Gestalten zeichnen - und das so, daß sie nicht nur Kugeln mit Strichen als Beinen zeigten, sondern beispielsweise Pferde im Stehen, im Galopp, beim Grasen usw. Da hat sich also mein Talent gezeigt. Gefördert wurde es absolut nicht, eher im Gegenteil, dennoch habe ich für mich immer "geübt": Blickwinkel, zeichnen nach Vorlagen, Entwicklung / Austesten verschiedener Techniken. Damit kann ich heute ganz passable Bilder machen. Das würde ich als Kombination aus eigenem Interesse / ausgeprägtem Wollen und Üben sehen - also eine Verbindung von Charaktereigenschaft (Willenskraft und Sturheit) mit Sozialisation (Üben).
Anderes Beispiel:
Mathe. Da bin ich die absolute Niete. Ich WEISS, daß ich - vorausgesetzt, Interesse und Wille wären hier vorhanden gewesen - immerhin genug hätte üben können, daß es zu einer durchschnittlichen Note hätte reichen können. Allerdings: mir fehlt da irgendwo ein Mathe-Gen oder so
Ich habe die binomischen Formeln z.B. mit Sicherheit schon an die 20 Mal gelernt und sogar verstanden. Ich könnte sie heute aber nicht mehr nennen - das Zeug verschwindet ungefähr so schnell aus meinem Hirn wie Wasser durch 'nen Kaffeefilter fließt...
Drittes Beispiel (und letztes - versprochen!
):
Wie in Mathe bin ich auch in technischen Dingen 'ne völlige Niete. Mein jetziger (noch) Job ist überaus technisch, und als ich darin eingewiesen wurde biß ich täglich mehrmals in die Tischkante und stöhte: "Det kapiere ich niiiiiiiiie!!!"
Trotzdem könnte man mich mittlerweile als Art "Spezialistin" für meinen Bereich bezeichnen. Weil es mich interessiert hat - ich fand's irgendwie spannend. Ich habe geübt, herumprobiert, wieder und wieder getestet - und kann manches inzwischen schneller und "kreativer" als diejenigen, die mich die Basics gelehrt haben. Nichtsdestotrotz reicht eine Überlegung, die etwas von meinem üblichen Bereich abweicht, schon aus um mich völlig konfus zu machen, d.h. mir fehlt das "Gespür" oder die "technische Begabung", um auf die Schnelle technische Gegebenheiten erfassen zu können.
Ich find's eigentlich jammerschade, daß viele Menschen glauben, daß immer nur "eine" Voraussetzung (hier: Angeboren = richtig/falsch) stimmig sein muß. Der Mensch ist eine Kombination aus vielem - ist doch gut so, oder?