@Ellemaus : Da du des öfteren Kant hier erwähntest, habe ich mal einen Aphorismus ausgesucht, wo Nietzsches Kritik an Kant relativ deutlich wird und wo auch die Metaphysik-Thematik bei Kant gestriffen wird (Jenseits von Gut und Böse, dtv Verlag, KSA 5, S.25f.):
"
[574] Es scheint mir, daß man jetzt überall bemüht ist,
von dem eigentlichen Einflusse, den Kant auf die deutsche Philosophie ausgeübt hat, den Blick abzulenken und namentlich über den Wert, den er sich selbst zugestand, klüglich hinwegzuschlüpfen.
Kant war vor allem und zuerst stolz auf seine Kategorientafel, er sagte mit dieser Tafel in den Händen: »das ist das Schwerste, was jemals zum Behufe der Metaphysik unternommen werden konnte.« – Man verstehe doch dies »werden konnte«! er war stolz darauf,
im Menschen ein neues Vermögen, das Vermögen zu synthetischen Urteilen a priori, entdeckt zu haben. Gesetzt, daß er sich hierin selbst betrog: aber die Entwicklung und rasche Blüte
der deutschen Philosophie hängt an diesem Stolze und an dem Wetteifer aller Jüngeren, womöglich noch Stolzeres zu entdecken – und jedenfalls »neue Vermögen«! – Aber besinnen wir uns: es ist an der Zeit.
Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? fragte sich Kant, – und was antwortete er eigentlich? Vermöge eines Vermögens: leider aber nicht mit drei Worten, sondern so umständlich, ehrwürdig und mit einem solchen Aufwande von deutschem Tief- und Schnörkelsinne, daß man die lustige niaiserie allemande überhörte, welche in einer solchen Antwort steckt. Man war sogar außer sich über dieses neue Vermögen, und der Jubel kam auf seine Höhe, als Kant auch noch
ein moralisches Vermögen im Menschen hinzuentdeckte – denn damals waren die Deutschen noch moralisch, und ganz und gar noch nicht »real-politisch«. – Es kam der Honigmond der deutschen Philosophie; alle jungen Theologen des Tübinger Stifts gingen alsbald in die Büsche – alle suchten nach »Vermögen«. Und was fand man nicht alles – in jener unschuldigen, reichen, noch jugendlichen Zeit des deutschen Geistes, in welche die Romantik, die boshafte Fee, hineinblies, hineinsang, damals, als man »finden« und »er finden« noch nicht auseinanderzuhalten wußte! Vor allem ein Vermögen fürs »Übersinnliche«: Schelling taufte es die intellektuale Anschauung und kam damit den herzlichsten Gelüsten seiner im Grunde frommgelüsteten Deutschen entgegen. Man kann dieser ganzen übermütigen und schwärmerischen Bewegung, welche Jugend war, so kühn sie sich auch
in graue und greisenhafte Begriffe verkleidete, gar
[575] nicht mehr unrecht tun, als wenn man sie ernst nimmt und gar etwa mit moralischer Entrüstung behandelt; genug, man wurde älter – der Traum verflog. Es kam eine Zeit, wo man sich die Stirne rieb: man reibt sie sich heute noch. Man hatte geträumt: voran und zuerst – der alte Kant. »
Vermöge eines Vermögens« – hatte er gesagt, mindestens gemeint. Aber ist denn das – eine Antwort? Eine Erklärung? Oder nicht vielmehr nur eine Wiederholung der Frage? Wie macht doch das Opium schlafen? »Vermöge eines Vermögens«, nämlich der
virtus dormitiva – antwortet jener Arzt bei Molière
quia est in eo virtus dormitiva,
cujus est natura sensus assoupire.
Aber dergleichen Antworten gehören in die Komödie, und es ist endlich an der Zeit, die Kantische Frage »wie sind synthetische Urteile a priori möglich?« durch eine andre Frage zu ersetzen »warum ist der Glaube an solche Urteile nötig?« –
nämlich zu begreifen, daß zum Zweck der Erhaltung von Wesen unsrer Art solche Urteile als wahr geglaubt werden müssen; weshalb sie natürlich noch falsche Urteile sein könnten! Oder, deutlicher geredet und grob und gründlich: synthetische Urteile a priori sollten gar nicht »möglich sein«: wir haben kein Recht auf sie, in unserm Munde sind es lauter falsche Urteile. Nur ist allerdings der Glaube an ihre Wahrheit nötig, als ein Vordergrunds-Glaube und Augenschein, der in die Per spektiven-Optik des Lebens gehört.– Um zuletzt noch der ungeheuren Wirkung zu gedenken, welche »die deutsche Philosophie« – man versteht, wie ich hohe, ihr Anrecht auf Gänsefüßchen? – in ganz Europa ausgeübt hat, so zweifle man nicht, daß eine gewisse
virtus dormitiva dabei beteiligt war: man war entzückt, unter edlen Müßiggängern, Tugendhaften, Mystikern, Künstlern, Dreiviertels-Christen und politischen Dunkelmännern aller Nationen, dank der deutschen Philosophie, ein Gegengift gegen den noch übermächtigen
Sensualismus zu haben, der vom vorigen Jahrhundert in dieses hinüberströmte, kurz – »
sensus assoupire«..."
Das ist ein Beispiel für mich, wie Nietzsche Kant kritisch sieht. Die Metaphysikthematik wird hier nebenbei berührt ("zum Behufe der Metaphysik"). Allerdings ist hier nicht von "Überwindung der Metaphysik" die Rede. Man könnte hier natürlich auch parallel Heideggers Lesart von Kant anführen (aus Heideggers Kantbuch> Kant und das Problem der Metaphysik), aber da müsste ich mich erstmal einlesen.
In einem Artikel aus wikipedia heißt es dazu:
"Der Ausdruck „
synthetisches Urteil a priori“ entstammt der Philosophie
Immanuel Kants. Kant bezeichnet damit
Urteile, die nicht auf der Basis von
Erfahrung gefällt werden, also
a priori sind, und deren Wahrheit nicht auf der Zerlegung von Begriffen beruht, weswegen die Urteile nicht
analytisch sind. Reine synthetische Urteile a priori sind nach Kant
das Ziel einer wissenschaftlichen Metaphysik. "
Kant ging es scheinbar auch um Metaphysik (allerdings in ihrer wissenschaftlichen Form), ich kenne mich aber halt nur bedingt mit Kant aus und müsse da
Die Kritik der reinen Vernunft nochmals lesen (um ggf. Nietzsches Kritik an Kant und die Metaphysik prüfen zu können).
Aber soweit erstmal. Das als eine Nachtrag zu Kant, Nietzsche und die Metaphyik.
Zur Metaphysikkritik ist dieser Artikel recht hilfreich für das Verständnis (enthält auch einen Abschnitt zu Kant):
https://de.wikipedia.org/wiki/Metaphysikkritik#Kontinentalphilosophische_Metaphysikkritik