Ich würde gern hier noch hinsichtlich der Metaphysikdebatte bei Heidegger aus diesem selbst zitieren , da ich glaube , dass es für diese Diskussion hilfreich sein kann und auch für das Verständnis von Heideggers Position. So heißt es in seiner Vorlesung Was ist Metaphysik? (1998, S.9f.):
"(...) Die Metaphysik denkt , insofern sie stets nur das Seiende als das Seiende vorstellt, nicht an das Sein selbst. Die Philosophie versammelt sich nicht auf ihren Grund. Sie verlässt ihn stets, und zwar durch die Metaphysik. Aber sie entgeht ihm gleichwohl nie. Insofern ein Denken sich auf dem Weg begibt, den Grund der Metaphysik zu erfahren, insofern dieses Denken versucht, an die Wahrheit des Seins selbst zu denken, statt nur das Seiende als das Seiende vorzustellen, hat das Denken die Metaphysik in gewisser Weise verlassen. Dieses Denken geht, und zwar noch von der Metaphysik her gesehen, in den Grund der Metaphysik zurück. Allein das, was noch als Grund erscheint, ist vermutlich, wenn es aus ihm selbst erfahren wird, ein Anderes und noch Ungesagtes, demgemäß auch das Wesen der Metaphysik etwas anderes ist als die Metaphysik. Ein Denken, das an die Wahrheit des Seins denkt, begnügt sich zwar nicht mehr mit der Metaphysik, aber es denkt auch nicht gegen die Metaphysik. Es reißt, um im Bild zu sprechen, die Wurzel der Philosophie nicht aus. Es gräbt ihr den Grund und pflügt ihr den Boden. Die Metaphysik bleibt das Erste der Philosophie. Das Erste des Denkens erreicht sie nicht. Die Metaphysik ist im Denken an die Wahrheit des Seins überwunden. Der Anspruch der Metaphysik, den tragenden Bezug zum <Sein> zu verwalten alles Verhältnis zum Seienden als solchen maßgebend zu bestimmen , wird hinfällig. Doch diese <Überwindung der Metaphysik> beseitigt die Metaphysik nicht. Solange der Mensch das animal rationale bleibt, ist er das animal metaphysicum. Solange der Mensch sich als das vernünftige Lebewesen versteht, gehört die Metaphysik nach dem Wort Kants zur Natur des Menschen. Wohl könnte dagegen das Denken, wenn es ihm glückt, in den Grund der Metaphysik zurückzugehen, einen Wandel des Wesens des Menschen mit veranlassen, mit welchem Wandel eine Verwandlung der Metaphysik einherginge.
Wenn somit bei der Entfaltung der Frage nach der Wahrheit des Seins von einer Überwindung der Metaphysik gesprochen wird, dann bedeutet dies: Andenken an das Sein selbst. Solches Andenken kommt über das bisherige Nichtdenken an dem Grund der Wurzel der Philosophie hinaus. Das in Sein und Zeit versuchte Denken macht sich auf den Weg, die so verstandene Überwindung der Metaphysik vorzubereiten. Dasjenige aber, was ein solches Denken auf seinen Weg bringt, kann doch nur das zu Denkende selbst sein. Dass das Sein selber und wie das Sein selbst hier ein Denken angeht, steht nie zuerst und nie allein beim Denken. (...) Warum ist denn aber eine so geartete Überwindung der Metaphysik nötig? Soll auf diese Weise nur diejenige Disziplin der Philosophie, die bisher die Wurzel war, durch eine ursprünglichere unterbaut und ersetzt werden? Handelt es sich um eine Veränderung des Lehrgebäudes der Philosophie? Nein. Oder soll durch den Rückgang in den Grund der Metaphysik eine bisher übersehene Voraussetzung der Philosophie aufgedeckt und dieser vorgerechnet werden, dass sie noch nicht auf ihrem unerschütterlichem Fundament stehe und deshalb noch nicht die absolute Wissenschaft sein könne? Nein.
Anderes steht mit der Ankunft oder dem Ausbleiben der Wahrheit des Seins auf dem Spiel: nicht die Verfassung der Philosophie, nicht nur die Philosophie selbst, sondern die Nähe und Ferne von Jenem , woraus die Philosophie als das vorstellende Denken des Seienden als solchen ihr Wesen und ihre Notwendigkeit empfängt. Zur Entscheidung steht, ob das Sein selber aus seiner ihm eigenen Wahrheit seines Bezug zum Wesen des Menschen ereignen kann oder ob die Metaphysik in ihrer Abkehr von ihrem Grunde fernerhin verwehrt, dass der Bezug des Seins zum Menschen aus dem Wesen dieses Bezugs selber zu einem Leuchten kommt, das den Menschen zum Gehören des Seins bringt. Die Metaphysik hat in ihren Antworten auf ihre Frage nach dem Seienden als solchen vor diesem schon das Sein vorgestellt. Sie spricht das Sein notwendig aus und darum ständig. Aber die Metaphysik bringt das Sein selbst nicht zur Sprache, weil sie das Sein nicht in seiner Wahrheit und die Wahrheit nicht als die Unverborgenheit und diese nicht in ihrem Wesen bedenkt. Das Wesen der Wahrheit erscheint der Metaphysik immer nur in der schon abkünftigen Gestalt der Wahrheit der Erkenntnis und der Aussage dieser. (...) Inzwischen bleibt der Metaphysik während ihrer Geschichte von Anaximander bis zu Nietzsche die Wahrheit des Seins verborgen. Weshalb denkt die Metaphysik an sie nicht? Hängt das Unterlassen solchen Andenkens nur an der Art des metaphysischen Denkens? (...) Allein die Metaphysik antwortet nirgends auf die Frage nach der Wahrheit des Seins, weil sie diese Frage nie fragt. Sie fragt nicht, weil sie das Sein nur denkt, indem sie das Seiende als das Seiende vorstellt. Sie meint das Seiende im Ganzen und spricht vom Sein. Sie nennt das Sein und meint das Seiende als das Seiende. Das Aussagen der Metaphysik bewegt sich von ihrem, Beginn bis in ihre Vollendung auf eine seltsame Weise in einer durchgängigen Verwechslung von Seiendem und Sein. Diese Verwechslung ist freilich als Ereignis zu denken, nicht als ein Fehler. (...) Fast scheint es, als sei die Metaphysik durch die Art wie sie das Seiende denkt, dahin gewiesen, ohne ihr Wissen die Schranke zu sein, die dem Menschen den anfänglichen Bezug des Seins zum Menschenwesen verwehrt. (...) Gesetzt aber, der Überwindung der Metaphysik entspreche das Bemühen, erst einmal auf die Seinsvergessenheit achten zu lernen, um sie zu erfahren, und diese Erfahrung in den Bezug des Seins zum Menschen aufzunehmen und darin zu verwahren, dann bliebe die Frage <Was ist Metaphysik?> in der Not der Seinsvergessenheit doch vielleicht das Notwendigste alles Notwendigen für das Denken. So liegt alles daran, dass zu seiner Zeit das Denken denkender werde. Dahin kommt es , wenn das Denken, statt einen höheren Grad seiner Anstrengung zu bewerkstelligen , in eine andere Herkunft gewiesen ist. (...) Das Denken auf einen Weg zu bringen, durch den es in den Bezug der Wahrheit des Seins zum Wesen des Menschen gelangt, dem Denken einen Pfad zu öffnen, damit es das Sein selbst in seiner Wahrheit eigens bedenke, dahin ist das in Sein und Zeit versuchte Denken <unterwegs>. Auf diesem Weg, und das sagt im Dienst der Frage nach der Wahrheit des Seins , wird eine Besinnung auf das Wesen des Menschen nötig; denn die unausgesprochene , weil erst zu erweisende Erfahrung der Seinsvergessenheit schließt die tragende Vermutung ein, gemäß der Unverborgenheit des Seins gehöre der Bezug des Seins zum Menschenwesen gar zum Sein selbst. (...) Indessen hat das Denken an die Wahrheit des Seins als den Rückgang in den Grund der Metaphysik den Bereich aller Ontologie schon mit dem ersten Schritt verlassen."
Ich habe das hier mal ausfürhlich zitiert, weil hier Heideggers gesamte Argumentation, warum eine Überwindung der Metaphysik notwendig ist, klar vor Augen tritt. Man muss natürlich damit nicht übereinstimmen, allerdings wird deutlich wie Heidegger hier argumentiert. Es handelt sich hier allerdings um den Heidegger von 1929 soweit ich sehe, also noch nicht der spätere Heidegger.
Ich glaube aber, dass dieser Beitrag helfen kann, einige Fragen , die bisher in der Diskussion gestellt wurde zu beantworten und noch mehr Klarheit hier in diese Debatte hineinzubringen.
Zur Länge dieses Beitrags sei darauf hingewiesen, dass es sich um eine absolute Ausnahme handelt. Aber diese Länge nicht der Regelfall in meinen Beiträgen ist, sondern in dem Fall der "Sache" selbst geschuldet. Ich habe das ja entsprechend begründet, warum es erforderlich war, hier etwas ausführlicher zu werden...Sonst kann ich natürlich auch kürzer mich fassen.
Heidegger argumentiert hier besonders von dem her , was er "die Wahrheit des Seins" nennt, einschließlich des "Bezug des Seins zum Menschen". Mit dieser Begrifflichkeit erklärt er aus seiner Sicht, warum eine "Überwindung der Metaphysik" notwendig ist, und welchen Beitrag dazu "Sein und Zeit" leistet, bzw. das "Denken", was sich darin ausdrückt.