Neurophilosophie überwindet, aber was ?
Freund der Sophisterei,Philosophisticus schrieb:[...]
All diese Punkte die du nanntest, werden ja heutzutage
auch von der sog. "Philosophie des Geistes "
und/oder der Neurobiologie thematisiert.
[...]
von der altehrwürdigen "Philosophie des Geistes" hat sich
in den letzten Jahrzehnten die Teildisziplin "Neurophilosophie"
abgespaltet (ehschonwissen:
das ist Philosphie, die auf den Nerv geht).
Im deutschen Sprachraum engagiert sich bspw.
der schon zitierte Thomas Metzinger in dieser Teildisziplin.
Metzinger vertritt eine Selbstmodell-Theorie, derzufolge
das Hirn eine transparente Repräsentation der Person
produziert, die dann in verschiedenen Beziehungen als Subjekt
auftritt.
Eine Kurzversion von Thomas Metzingers
"Selbstmodell-Theorie der Subjektivität"
wird am Internet-Contentserver der Uni Mainz unter
Metzinger SMT-light bereitgehalten.
Auf eine Einführung in die Problemstellung und Notwendigkeit
dieser Theorie wurde in diesem Themenstrang bereits verwiesen.
Zur Erinnerung:
Selbstmodell-Theorie Problemstellung
Aus dieser Einführung hier eine kleine Leseprobe:
Friedrich Nietzsche wäre vermutlich von den DenkansätzenThomas Metzinger schrieb:Selbst, Selbstmodell, Subjekt
‚Das‘ Selbst in der Alltagspsychologie
und das theoretische Problem des Selbstbewusstseins.
Die aktuelle kognitionswissenschaftliche Erforschung
des Selbstbewusstseins hat ihre historischen Wurzeln
sowohl in einer unreflektierten, aber weit verbreiteten
alltagspsychologischen Sprechweise als auch in einer
sich über viele Jahrhunderte erstreckenden
philosophisch-theologischen Debatte darüber,
was der innerste Kern oder das eigentliche ‚Wesen‘
einer Person ist.
Gibt es so etwas wie eine Essenz des Menschen?
Was sind die Identitätskriterien für kognitive Systeme
im Allgemeinen, was macht ein solches System
z.B. über die Zeit hinweg zu dem selben System?
Sowohl die Alltagspsychologie als auch die traditionellen
metaphysischen Modelle des Selbst haben ihre historischen
Ursprünge in archaisch-mythischen Selbstbildern des Menschen
und in der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele
(Barresi/Raymond 2011; Oeing-Hanoff et al. 1974).
Unser alltagspsychologisches Sprachspiel ist allerdings
in mehreren Hinsichten begrifflich verwirrt.
- Es gibt weder auf empirischer Ebene noch in
begrifflicher Hinsicht überzeugende Hinweise darauf,
dass ein die Zeit überdauerndes Einzelding oder eine
im ontologischen Sinne autonome Substanz existieren,
die ‚das‘ Selbst sein könnten (Metzinger 2011).
Menschliche Wesen sind dynamische, sozial situierte
Systeme; Selbstbewusstsein ist kein Ding, sondern ein
diskontinuierlicher Vorgang, der zeitweise bestimmte
Fähigkeiten erzeugt, die begrifflich am besten
als globale Systemeigenschaften beschrieben werden,
weil sie klarerweise eine biologisch fundierte Funktion
für das System als Ganzes besitzt.
Das bedeutet zum Beispiel,
dass der Besitz von phänomenalem Selbstbewusstsein
eine Eigenschaft der Person als Ganzer ist
und nicht eine Eigenschaft ihres Gehirns.
- ‚Ich‘ – das Personalpronomen der ersten Person Singular
– bezeichnet immer den Sprecher, der es aktuell verwendet.
Seine logische Funktion ist nicht die eines Gattungsbegriffs,
sondern die der Selbstlokalisation eines Sprechers
in einem Äußerungskontext.
In grammatischer und semantischer Hinsicht ist ‚Ich‘
also ein singulärer Term, der an einen bestimmten
Äußerungskontext gebunden ist:
Dieser Kontext besteht darin, dass der aktuelle Sprecher
mit einem sprachlichen Werkzeug auf sich selbst zeigt.
- Trotzdem verwenden wir bei der sprachlichen
Selbstbezugnahme den indexikalischen Ausdruck ‚Ich‘
sehr häufig so, als ob es sich dabei um einen Namen
für ein inneres Ding oder eine Form von Objektreferenz,
von Bezugnahme auf einen Gegenstand handelte
(Beckermann 2010; Bennett/Hacker 2010, Kap. 12.4).
Es gibt aber keine spezielle Gattung von Dingen
(‚Iche‘ oder ‚Selbste‘),
die man in sich tragen könnte wie ein Herz
oder besitzen könnte wie ein Fahrrad oder einen Fußball.
- Das in lebensweltlichen Kontexten allgegenwärtige Reden
von unserem oder ‚meinem‘ Selbst ist in sich widersprüchlich,
weil es dann ja schon jemanden geben müsste,
der das Selbst ‚hat‘, also ein Selbst hinter dem Selbst,
das zu diesem in einer Besitzrelation steht.
Das Selbst kann auch nichts ‚in mir‘ sein,
weil dann ja das, mit dem ich identisch bin,
nur ein konstituierender Teil von mir wäre.
Ähnliche Probleme haben die klassischen Reflexionsmodelle
des Selbstbewusstseins, wie sie z.B. von den Philosophen
des deutschen Idealismus ...
[...]
und Erkenntnisfortschritten der Neurophilosophie
begeistert gewesen, wenn er sie noch erleben können hätte.
Ob mit der Neurophilosophie die Metaphysik
zumindest teilweise überwunden wird,
hängt natürlich stark davon ab,
was genau mit "Metaphysik" gemeint wird.
Aber das hatten wir ja schon.
> Das musste nicht noch einmal in dieser Klarheit gesagt werden. <