(...)Nehmen wir Schopenhauer selbst: Wenn der Eindruck nicht täuscht, bleibt von ihm das Bild eines pessimistischen Misantrophen, eines backenbärtigen Einsiedlers und schlecht gelaunten Hagestolz. Nicht aber der eines klar zu lesenden, präzis formulierenden Philosophen, der zudem auch noch eine Art Vorreiter des radikalen Konstruktivismus gelten könnte. Diese Deutung habe ich noch nirgendwo gelesen, sie sei hier aber nun zur Diskussion gestellt; „Die Welt ist meine Vorstellung“ beginnt Schopenhauer erfrischend sein philosophisches Hauptwerk, und bestreitet in der Folge die Existenz einer Welt außerhalb eines wahrnehmendes Subjekts. Er bedient sich dabei manch modern anmutender Formulierung; etwa: „Dasjenige, was Alles erkennt und von Keinem erkannt wird, ist das Subjekt.“ Dies erinnert an das System, dass sich selbst beim Beobachten nicht beobachten kann - das sich selbst also blinder Fleck ist. Und: „[...] ein Objekt an sich [...] ist ein erträumtes Unding und dessen Annahme ein Irrlicht in der Philosophie.“
Natürlich hat Schopenhauer noch keinen Systembegriff wie Maturna, aber wie er die Beziehung von Objekt zu Subjekt beschreibt: „jede von beiden hat nur durch und für die andere Bedeutung und Daseyn. [...] Sie begränzen sich unmittelbar: wo das Objekt anfängt, hört das Subjekt auf.“ Das erinnert doch fast schon an die Grenzbeziehung zwischen System und Umwelt, wie Luhmann sie annimmt. Natürlich gibt es bei Schopenhauer weder andere Systeme (wie das Kommunikationssystem), die auch Realität konstruieren können, noch wird wirklich klar, mithilfe welcher Operationen das „Subjekt“ die Welt konstruiert. Aber z.B. auch das Primat der Wahrnehmung („Erkenntniß“) als vordringliche Funktion des Bewusstseins („Subjekts“) erinnert an Luhmann.
Schopenhauer gibt selbst eine historische Einordnung seiner (konstruktivistischen?) Erkenntnis. Neu sei sie keineswegs, aber „Berkeley war der erste, welcher sie entschieden aussprach.“ Kants erster Fehler dagegen „war die Vernachlässigung dieses Satzes [...]“ und ganz früh dabei waren schon die Asiaten mit der Vedantaschule.
Vedanta – Berkeley – Schopenhauer - von Foerster – Luhmann ... wurde solch eine historische Reihung bei aller Lückenhaftigkeit jemals aufgezogen? Oder sind die Nicht-Leser dieses Blogs hier der Meinung, der Verfasser sei hier völlig auf dem Holzwege und/oder zumindest von grober Unkenntnis geschlagen?
Was ist mit Schopenhauer aus heutiger Sicht geschehen? Steht er im Schatten Nietzsches, der ihm erst folgte und sich dann distanzierte? Welch eigentümliche Selektion bedingt seine heutige Wahrnehmung? Oder ist einfach schon seit Jahrzehnten niemand mehr über die zugegeben recht umfänglichen und weinerlichen Vorworte seines Werks hinausgekommen?
Schopenhauer mahnt in seinen Vorreden zu seinem Werk auch das Lesen des Originals – sogar das zweimalige Lesen fordert er ein, um die Chance eines wirklichen Verstehens zu erhöhen. Dies scheint selten zu geschehen, sonst käme es nicht zu einer Reduzierung seiner Wahrnehmung auf ein schiefes Klischeebild. Und diese oberflächliche Rezeption war sicher auch schon vorherrschend vor diesem – oft als oberflächlich verschrienen – digitalen Zeitalter.
Das war aus meinem
Blog
Ich wollte einfach mal entgegenhalten, dass man durchaus auch ein paar Sätze am Stück zum Thema hinbekommen kann - auch in heutiger Zeit...