Das mag ja kontextbezogen auch im Einzelfall mal richtig sein (wo befindet sich diese Stelle genau?), denn es liegt ja in der Natur der Metapherbildung, Realitäten aus ihren gewohnten Kontexten herauszulösen um in anderen Kontexten etwas zu veranschaulichen. Aber dass er darauf eine neue Theorie aufbauen soll, kann ich nicht nachvollziehen,
Ich habe mir die Mühe gemacht und hoffe, dass es zumindest verdeutlichen hilft, woran ich mich störe. Die Auszüge stammen aus ca. 12 Minuten (Anfang) des oben verlinkten Youtube-Videos.
Hüther:
„Die Lieblingsbeschäftigung des Gehirns ist, wenn ich es jetzt mal so ganz allgemein sage – Energie sparen. Also es richtet sich immer so ein, dass möglichst wenig Energie verbraucht wird. Das ist ein Grundgesetz der Natur, kommt aus dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik: Alles, was miteinander agiert (eindringlich gestikulierend), organisiert diese Beziehungen, die da untereinander geknüpft werden, so, dass am Ende ein Ding raus kommt, was möglichst wenig Energie braucht, um diese Struktur aufrecht zu erhalten. Das gilt für eine Familie, das gilt für ein Unternehmen und das gilt für eine ganze Gesellschaft und das gilt auch fürs Hirn.“ Interviewer:
„Könnte man also sagen, das Hirn ist eher – faul?“ Hüther:
„Alle Systeme sind faul und bewegen sich nur dann, wenn sie müssen (lacht).“ (1:24)
Er führt dann weiter aus, dass das – also dieser von ihm beschriebene ideale universelle Faulzustand – allerdings nicht dauerhaft möglich ist, da die Umwelt mit diversen Anforderungen aufwartet und das Hirn dann reagieren muss. (Anmerkung: Müsste die Umwelt nicht ebenso „faul“ sein? Weshalb konfrontiert die „Umwelt“ den Faulzustand? Ist das beschriebene (Familie, Gesellschaft, Hirn etc.) faule System anderen (faulen?) Systemen gegenüber etwa keine Umwelt?) Hüthers Antwort auf die Frage des Interviewers:
„Viele Leute hätten es lieber, wenn da nichts wäre, was sie stören würde und wenn es nichts gäbe, was sie zu einer Veränderung zwingen würde, und die sagen dann (schaut sinnierend am Interviewer vorbei), dass er – wie nennen sie den? - den inneren Schweinehund, den könnten sie nicht überwinden.“ Dann redet er recht verwaschen von Potentialen, die man noch entfalten könnte und dass es doch schöner wäre, würden die Menschen ausprobieren,
„was noch geht“. Darauf erkundigt sich der – übrigens durchaus intelligent fragende – Interviewer sinngemäß, dass man ja eigentlich meinen sollte, das Leben sei dazu da, sich auszuprobieren und zu forschen, wie auch ein Kind dies mache:
„Warum sind wir so wenig mutig?“ (4:35) Hüther:
„Ich glaube, dass wir im Laufe des Lebens allzu oft hinfallen und stolpern und nicht weiterkommen und an Grenzen geraten und auf Leute treffen, die uns entmutigen, und (atmet durch) dann wird das alles sehr schmerzhaft, wenn man das alles so erleben muss und dann kann es passieren, dass man so ein bisschen vorsichtiger wird. (Nun schneller sprechend) Das ist aber ganz o.k., das finde ich nicht weiter schlimm, ich glaube auch gar nicht, dass es der Mut ist, auf den es ankommt, wenn man dann erwachsen ist. (Wieder durchatmend und langsamer werdend) Ich glaube eher, dass es etwas ist, was man als Wille (lächelt breit und lacht) bezeichnet. Also man müsste es stärker (nun mit Nachdruck sprechend und nickend) wollen wollen, dann könnte man es schon machen. Und dann heißt die Frage: Warum will man es nicht eigentlich so sehr, dass man es unbedingt tut!“
Schließlich kommt er auf ein irgendwie „übergeordnetes Ziel“ zu sprechen, das bedeutender sein müsse als der alltägliche „Fummelkram“, den man so mache. Ein „Vision“ sei es jedoch nicht, sondern ein langfristiges Ziel (er nennt einen Abschluss, auf den man 5 Jahre hinarbeitet als Beispiel). Das würden viele machen und auch schaffen, weil niemand gerne fremdbestimmt lebe. Mit Ausnahme derjenigen, denen noch nie etwas gelungen sei. Manche gerieten da hinein, da wir in einer Gesellschaft leben,
„wo man das ja gerne macht: Jeder versucht sich auf Kosten von anderen irgendwie durchzusetzen und ist dann auch bereit den anderen eben nicht als gleichwertigen Partner – als Subjekt – anzusehen und sich mit ihm auszutauschen und nach Lösungen zu suchen, sondern der eine versucht sich über den andern hinwegzusetzen. Versucht ihn vor seinen Karren zu spannen, versucht ihn… macht ihn (nachdrückliches Gestikulieren) zum Objekt seiner Bewertungen, seiner Absichten, seiner Ziele – am Ende auch noch seiner Maßnahmen. Und das ist natürlich eine blöde Kultur (zuckt mit den Schultern), also da kommt man nicht so richtig weiter. Aber wenn man jetzt sich tatsächlich wieder als Gestalter seines eigenen Lebens erleben möchte (nickt mit dem Kopf und grinst), dann wäre es eben schon gut, wenn man das Gefühl hätte, dass man in der Lage ist, sich gewisse Ziele zu setzen (nickt dem Interviewer betont zu).“ Als Beispiel führt er dann an, man könne sich etwa vornehmen, mit einem Freund im nächsten Jahr auf die Zugspitze zu steigen. Das – kurz gefasst – sei aber nicht viel wert, da man danach wieder genauso faul ist wie zuvor, da man das Hirn nun nicht mehr überreden könne, aus dem „Energiesparmodus“ rauszukommen. (Anmerkung: Weshalb das? Wenn man es einmal aus voller Faulheit heraus schaffte, auf die Zugspitze zu steigen – was eine reine Ego-Leistung bzw. Selbstvergnügen sein dürfte –, weshalb danach auf einmal nicht mehr?) Und deshalb müsse – so Hüther weiter – man
„für etwas Leben, was größer ist als das, was ihr kleines Ego eigentlich aus macht (nickt wiederholt): Das nennt man Sinngebung des eigenen Lebens.“ Der Clou dabei wäre laut Hüther, dass ein langfristiges Ziel (also ein in der Ferne absehbarer „Sinn“ nach z.B. längerer vorhergehender Leidensphase) das Hirn dann dazu bringe, im Energiesparmodus auf jenes hinzuarbeiten und (wie, das bleibt allerdings unklar) somit aktiv zu werden bei gleichbleibendem Energiehaushalt (frei aber sinngemäß zusammengefasst).
Für wen das alles nun irgend einen Sinn (im Sinne von Schlüssigkeit und gedanklicher Schärfe) ergibt, der darf sich glücklich schätzen. Ich jedenfalls verstehe kein Wort von dem, was hier in vielen Worten ausgebreitet wird, sondern für mich klingt das vielmehr nach blankem Unsinn. Weder weiß ich, wer oder was dieses ominöse Böse (die ganzen Entmutiger und Nutznießer, von denen es Laut Hüther ja eine ganze „Gesellschaft“ voll zu geben scheint) eigentlich ist. Vom Kapital und von außen aufoktroyierten Vorgaben ist schwammig die Rede, aber nichts Konkretes und weshalb man selbst ausgenommen sein sollte, da – wie leicht festzustellen ist – jeder Mensch naturgemäß täglich allerlei Anforderungen andern gegenüber äußert. Das ist normale Interaktion und kein Anzeichen für Bösartigkeit und genau das ist es, was Hüther zeichnet: Ein Feindbild. Da wird nichts expliziert, alles bleibt im nebulös Ungefähren und ist obendrein unplausibel bis unlogisch. Was hat das alles mit dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu tun? Warum muss das „Hirn“ als Energiesparlampe… sorry… -modus verkauf werden und worauf fußt der ganze gnadenlos alles hypostasierende und anthropozentrische Schlamassel also? Ich vermute auf Hüther und sonst niemandem. Wissenschaft bzw. Hirnforschung geht anders.
Ich kenne die Debatte flüchtig, aber nicht, dass er das Phänomen ADHS leugnet (bitte Zitat, Deine Formulierung ist polemisch), sondern eine andere Umgangsform mit diesen Kindern als Therapie favorisiert. Ich bin an der Stelle auch skeptisch, aber ich empfinde Hüther ganz und gar nicht als ignorant gegenüber Benachteiligten.
Ich denke das sollte diesbezüglich reichen:
http://www.gerald-huether.de/Mediathek/ADHS/Interview_Silke_Steffen.pdf
Besten Gruß
Phil