Gisbert Zalich schrieb:
Kann ich dir sagen: In einigen Songs, die Yoko auf der Lennon-Anthology (und anderen "Haus"-Aufnahmen) über die Jahre veröffentlichte. "Serve yourself" z.B., ein Lied gegen das Sich-selbst-abhängig machen von Religion. "Double Fantasy" ist vom Konzept her ein Dialog zwischen zwischen einem Ehepaar. D.h. aber nicht, dass die beiden nur noch hausmütterlich, -väterlich und spießig daher gehen.... Und ich behaupte immer noch, dass die Beatles trotz dieser furchtbaren Anzüge, in die Brian Epstein sie steckte, diesen Karrierestart hinlegten. Der erste Number-One-Hit war 1963 überigens "Please Please me". Sowas hatte die Welt einfach noch nicht gehört! Da hätten die auch mit gescheiteltem Kurzhaar auftreten können...
"Double Fantasy": natürlich kommen sie nicht spiessig und bieder daher, wäre ja auch kontraproduktiv, wer hätte es kaufen und hören wollen? Doch nur die Unverbesserlichen...
Yoko und John haben sich doch immer genial inszeniert. (Für meinen Geschmack: jenseits des guten Geschmacks.) Hättest du "Two Virgins" je gekauft, hätte es ein unbekanntes Duo eingesungen? Auch mit seiner Berühmtheit schaffte es John doch nur, weil er und Yoko auf dem Cover nackt posierten. Und die Flitterwochen als mediales Ereignis - da bekomme ich Gänsehaut! Ihre Bed-Ins für den Frieden (Binchen hat mich da das letzte Mal missverstanden) und dann GPAC. Sorry, das hat für mich nichts mit Politik zu tun - das ist geniale PR für die Masse! Die Masse war da, die Zeit war reif und John gut und berühmt genug, um daraus eine Hymne der Friedensbewegung zu machen. Und schaue ich mich in der Geschichte um, stelle ich fest, dass die Friedensbewegung weder von den Beatles (von ihnen natürlich noch weniger) noch von JL ausging, sondern aus den USA selber kam - durch die Veröffentlichung der geheimen Dokumente in der NYTimes. Und die ganze Bewegung konnte weder die Tet-Offensive verhindern noch den Krieg beenden, nicht mal die Friedensverhandlungen beschleunigen (vgl. Pariser Verhandlungen - Neunpunkte-Friedensplan und die nachfolgende Bombardierung von Hanoi und Haiphong sowie den folgenden Bürgerkrieg). Du hast gesagt: "Die Musik wird nur populär, wenn die Menschen sie wollen... das macht sie zu einem gesellschaftlichen Erleben. Natürlich bewirkt sie etwas." Das ist richtig, aber ich füge noch hinzu: Sie bewirkt im Einzelnen etwas, politisch ist es im Grossen und Ganzen irrelevant. Meist wird in einen Song mehr hineininterpretiert, wenn man nur will, oder sogar genügend manipuliert wird.
Richtig ist doch, dass R&R damals eine unheimliche Popularität und Anziehungskraft besass und die Jungen ihm wie Messias folgten. Was aber fast schon wieder negativ aufgefasst werden könnte, weil es beinahe (von der Masse!) unkritisch geschah. (Kannst doch mit Punk oder Rap vergleichen.)
"John hatte seine Stärken für menschliche Botschaften genutzt und Robbie säuselt, dass er uns unterhalten will", hast du geschrieben.
John hat gute Musik gemacht, die überlebt hat, was die Qualität beweist. Die Botschaften bringt jeder halbwegs begabter Texter ebenfalls hin. Fraglich ist doch immer, ob die Gesellschaft gerade in der Laune ist, sie als solche zu interpretieren.
"John hatte die Popmusik politisch und moralisch instrumentalisiert und damit aus der Funktion der Unterhaltung erhoben"
Und ich behaupte nach wie vor, dass IHR das Politische hinein interpretiert habt, weil das eben gerade gut zu der Zeit passte. Was die Moral anbelangt, hat es ja John nicht gerade genau genommen, nicht wahr? Aber nicht mal die sexuelle Revolution kann man ihm gutschreiben *loool*. Die kam mit der Erfindung der Pille schon 1960, als die Beatles noch unbedeutend waren.
Ich sage nicht, Künstler sollen sich nicht politisch engagieren. Es gibt sicher immer genügend Menschen, derer Bewusstsein geweckt werden muss. Kunst darf politisch sein - selbstverständlich - muss aber damit rechnen, missbraucht zu werden - oder auch: nichts zu erreichen.
Was neu war, dass man in Pop-Musik-Texte politische Inhalte hinein interpretierte (oder von mir aus, sie da waren). Vorher gab es Aehnliches nur in den Arbeiterbewegungsliedern oder Folk und bei den Liedermachern. Da kann ich nachgeben
.
Hast du die Ausstellung "Here is New York - a democracy of photographs" gesehen? Ueberall waren die Menschen geschockt, gerührt, überwältigt, brachen in Tränen aus... UND? Es wir weiter gemordet...