Liebe Rede
Lieber Rudhi,
Obwohl ich das Forum nicht zu privater Korrespondenz nutzen wollte, werde ich versuchen, dir einige ‚ direkte Antworten’ (vielleicht werde ich eher einige Fragen aufwerfen) zu geben – die dich selbstredend nicht befriedigen dürften; denn dies setzte voraus, dass ich dich – als einheitliches Wesen – völlig begriffen haben müsste, d.h. dass es mir möglich wäre, dich gleichzeitig einverleibt und trotzdem abgestossen (auf und in meiner Handfläche möglicherweise) vor meinen Augen zu gottähnlicher Schau präsentiert zu haben. Nun, da es mir fern steht (obwohl sich diese Sätze syntagmatisch dicht oder nahe aneinanderreihen), solche Zustände zu behaupten, möchte ich gerne mitteilen, dass ich keine Fragen zu irgendwelchen Hintergründen beantworten will und kann, d.h. dass ich das natürlich laufend tue und dass es auch mir nicht möglich ist, die Verbindung des hier aufs virtuelle Papier gebrachte von einer empirischen Person, die es so wahrscheinlich nicht geben kann, vollständig zu trennen.
Danke für die Links zu den hermetischen Sätzen. Die hermetischen Sätze waren mir bislang völlig unbekannt und auch während des Schreibens dieser paar Zeilen kann ich nicht behaupten, ein profunder Kenner dieser ‚Materie’ zu sein. Ich habe ein wenig in die Texte reingeschaut und (Gedanken-)Muster feststellen können, die in der von mir vorgebrachten Auseinandersetzung mit ‚Nietzsche’ in gewisser Weise eine nicht uninteressante Stellung einnehmen könnten, würde man diesen Texten eine Relevanz zuschreiben. Was ich dort zu lesen bekommen habe, erstaunte mich doch recht – denn die Bruchstücke, an die ich mich erinnere, tragen den Charakter einer synkretistischen Weltanschauung, die sich in reichlich mystisches Gewand kleidet. Was ich herauslesen konnte: versprochen wird eine Rückkehr – oder möglicherweise ein zukünftiges Eintreten – in den ursprünglichen Logos. Den ‚ursprünglichen Logos’, der mit unserem Logos nicht bezeichenbar ist, da er Zeichen ist (Zeichen verweisen, der ‚ursprüngliche Logos’ dürfte nicht verweisen, da ihm ‚nichts’ vorangeht). Amüsiert haben mich einige Aussagen in diesen Texten, aber v.a. auch die Proklamation eines Eintretens der Erkenntnis von der ‚Logik’ des ganzen Systems. Wenn eine solche eintritt, wie könnte ein sich in zeichenhaftem Logos befindlicher Mensch der Wirklichkeit des Bezeichneten versichern bzw. v.a. versichert haben? Wie sollte also jemand, der die Wahrheit erblickt hat und also über sich hinaus eins mit einem ‚All’ geworden ist, d.h. etwas eigentlich Unvorstellbares zu seinem Zustand gemacht hat, zeichenhaft von der Wirklichkeit dieses Zustands berichten können? Das ist nur eine von vielen Fragen, die sich bei der Durchsicht dieser Texte stellen, aber es stellen sich eigentlich laufend welche, die die ‚Logik’ hier und dort zu erschüttern vermögen und sich deswegen als durch und durch logisch erweisen (sie entweichen in keinster Weise ihrer eigenen unheilvollen Dialektik).
Ich möchte noch kurz etwas zum mystischen Gewand sagen, in das sich diese ‚Hermetiker’ kleiden, bevor ich auf den Gott der Diebe und seinen Logos zu sprechen komme.
Es ist ja nicht nur so, dass die Zahl Sieben in der Bibel von einigem Belang ist – ich erinnere mich nur gerade daran, dass diese Zahl auch in Strömungen der frühsten jüdischen Mystik eine Rolle spielte. Als eine der ältesten jüdischen Mystiken erweist sich die Merkaba-Mystik, die Thronmystik. Der präexistente Thron Gottes ist Gegenstand des mystischen ‚Erkennntis’-Interesses oder der Entrückung – wie man den angestrebten Zustand der Mystiker auch immer nennen mögen will. Dieser Thron, der alle Schöpfungsformen beispielhaft in sich enthält, befindet sich in einer der sieben ‚Hechaloth’ – der himmlischen Hallen oder Paläste – nämlich in der letzten. Um zu diesen zu gelangen, muss man sich natürlich als würdig erweisen und man muss die sieben Siegel mit Zaubersprüchen bewältigen usf. Mir fielen diese Parallelen auf und dünkten mich noch spannend.
Zurück zum Logos. Logos – zunächst wohl schlicht mit ‚Rede’ übersetzbar. Mit Aristoteles nähert sich der Begriff einem anderen Begriff, nämlich apophainesthai – der Logos lässt das sehen, worüber in der Rede ‚die Rede’ ist. Das ist purer Phonozentrismus, und sehr leicht ist hier ersichtlich, welche Rolle unser Hermes, unser Götterbote, spielen könnte. Hermes, der alte Händler, tauscht den Sinn aus, verspricht dem einen ver-mittel-nd den Sinn (der Rede) des anderen und verspricht somit unserer eigenen ‚Existenz’, der Existenz von uns Dieben und Händlern, einen Sinn zu übertragen. Der Dieb Hermes stiehlt uns aber so die Macht über uns, da wir auf die anderen angewiesen sind und auf seine Struktur des Handels – wir verlieren, indem wir meinen, den fetten Gewinn endlich einzustreichen. Das genau ist das Problem der Gegenwart, dem Wunsch, dieser Struktur des Handels zu entgehen, aus der wir aber dennoch nicht ausbrechen können (, denn unsere Existenz ist leider nur versprochen – und Hermes verspricht sich laufend). Wir sind Sklaven unserer Mittel und des Diktats unseres Ver-mittlers, der uns das Gesetz unseres Scheiterns auferlegt hat. Gibt es die Möglichkeit, dieses Gesetz zu zerschlagen, ohne sogleich ein neues einzurichten, das somit einfach an die Stelle des alten rückt? Wir möchten es nicht ausschliessen, nur leider ist danach nicht mehr entscheidbar, ob unser unmittelbares Aufbegehren – es dürfte eigentlich keines sein – jemals wirklich war, wäre man ‚danach’ – es gäbe keines mehr – fähig darüber zu reden. Und hier sind wir wieder beim Wort angelangt, beim Logos, der uns abermals einfängt und an seinen Rand spuckt, den er uns vorgibt, den er bezeichnet. Was ist mit Thot? Hat er nicht die Schrift erfunden? Vielleicht täusche ich mich auch, aber falls ich es richtig in Erinnerung habe, dann umso besser. Die Schrift als Ergänzung der ‚lebendigen Rede’, die direkt aus unserem ‚Innern’, aus unserer ‚Seele’ spricht? Als notwendiges Komplement, das wegen ihrer ‚naturgemässen’ ‚Entäusserung’, wegen ihrer ‚Kälte’ aber eigentlich recht verhasst ist. Hass kann man aber meist schlecht von seinem Gegenüber, der Liebe, trennen und meist kommen die schärfsten Verächter der Schrift nicht umhin, sich ihrer zu bedienen, denn schliesslich lässt sich nur mit ihr der Lobgesang auf die ‚lebendige Rede’ unseren heiteren Logos überliefern oder übertragen – Übetragen… war es nicht Thot, der die Toten ins Totenreich geleitete? Oder verwechsle ich seine Funktion mit der Charons, des Fährmanns der Griechen, der die Toten brav über den Acheron und den Kokytos geleitete? Die Schrift ist der Weg in den Tod, denn sie ist kalt und eben trotzdem da, um die Wärme der Rede in ihrer Funktion zu bekräftigen. Auf was ich mein Augenmerk in meinen beiden letzten Beiträgen vornehmlich gerichtet habe, ist einfach erklärbar: es ist der Logos, die Rede, die in ihrer voluptuösen Lebendigkeit zu erhaschen versucht wurde. Bei all den Interpretationen um den reizvollen Begriff ‚Übermensch’ möchte ich deswegen lediglich noch mitteilen, dass unser ‚Nietzsche’ bestimmt niemand war, der diese absolut-reine Rede auf lüsterne Weise zu begreifen, zu betatschen, versucht war – ich empfehle zur Lektüre ansonsten die Geburt der Tragödie.
p.s. an majanna: Ich werde mich bemühen, hin und wieder einen Absatz zu machen. Auf die Aussage mit den ‚Fachphilosophen’ eine ebenso schnippische Antwort: Dass sich nicht bloss ‚Fachphilosophen’ in diesem Forum aufhalten, war mir schon vor deiner Feststellung bewusst, denn ich darf mich selber nämlich ganz und gar nicht zu dieser ‚Spezies’ zählen.