Ihr wurdet einfach "verteilt"?
Nichtmal ein kleines Mitspracherecht? Aus welchem Land seid ihr damals geflohen, weil du sagst Ukrainer bekommen mehr Geld?
Ich bin nicht geflohen, aber meine Großeltern und Eltern (als Kinder).
Sie kamen 1945 als Flüchtlinge aus Schlesien - waren also Deutsche - in den Westen. Schlesien gehört seit dem Ende des 2. Weltkriegs nicht mehr zu Deutschland, sondern zu Polen. Dieser Status war auch in Deutschland lange Zeit nicht unumstritten, wurde aber im Zusammenhang mit der Deutschen Wiedervereinigung 1989 und den 2+4-Verträgen von der nunmehr neuen Bundesrepublik Deutschland als endgültig anerkannt.
Im Zusammenhang mit dem Ende des 2. Weltkriegs bewegten sich rund 8,5 Mio. Menschen von Ost nach West. Zwischen 500.000 - 2.000.000 Menschen (genau weiß das keiner, die Schätzungen differieren) starben auf der Flucht, durch Hunger, Entkräftung, Erfrieren, Gewalt oder Seuchen.
Wer (als Deutscher) diese Tatsache auch nur erwähnt, gilt schnell als Revanchist, als einer, der die Gräuel des 2. Weltkriegs relativieren will.
Daher wurde die Opfer und Schicksale der deutschen Vertriebenen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft auch nur zu gern totgeschwiegen resp. unter dem Deckel gehalten.
Für die 1945 im Westen ankommenden Flüchtlinge war im Übrigen - obwohl Deutsche - manches ganz ähnlich wie für Flüchtlinge heutzutage.
Denn die ansässige Bevölkerung empfing sie keineswegs mit offenen Armen ("die Pollacken kommen!"), außerdem kamen sie natürlich in ein zerstörtes Land. Die ersten Jahre müssen für meine Eltern und Großeltern hart bist zum wortwörtlichen Überlebenskampf gewesen sein - und mit vielen Wochen nur mit Steckrübeneintopf.
Ich selbst gehöre zu den sog. "Abstammungsschlesiern im Hupkaschen Sinne"
:
Einer, der die "verlorene Heimat" noch nie gesehen hat. Bis heute nicht.
Fast 20 Jahre nach dem 2. Weltkrieg in Ostwestphalen-Lippe (OWL, NRW) geboren und aufgewachsen, hatte ich zum Thema "Schlesien" (außer vielleicht der Küche meiner Oma) nie wirklich einen Bezug. Meine Familie war glücklicherweise auch nicht so konservativ und hat Gottseidank nie versucht, meinem Bruder und mir irgendeine "schlesische Identität" aufzudrücken.
Es gibt Prozesse, die im Grunde bei allen Migranten ähnlich verlaufen.
Meine Mutter berichtete einmal, was sie als Kind nicht verstand: Als sie noch in Schlesien war,
durfte daheim
kein schlesischer Dialekt gesprochen werden. Der gebildete Mensch sprach Hochdeutsch, und zu diesen Menschen wollte man gehören. Als sie dann im Westen waren,
musste daheim
Schlesisch gesprochen werden, denn es galt als der Garant der schlesischen Identität.
Mir ist der schlesische Dialekt immer fremd geblieben: Weder sprach ich ihn, noch mochte ich ihn, verstand ihn oft nicht einmal. Mittlerweile handelt es sich ohnehin um einen ausgestorbenen Dialekt des Deutschen, wie das Ostpreussische auch.
Ein Migrant, der alles außer seinen Leib verloren hat, der besinnt sich auf die inneren Werte. Denn das ist alles, was ihm geblieben ist, und nur noch aus dem Inneren kann die eigene Identität aufrecht erhalten werden.
Solange die Schlesier noch in Schlesien waren, da haben sie sich in Schale geworfen und Tango getanzt. Denn das war damals modern und angesagt. Als die dann im Westen ankamen, da haben sie sich in Trachten gestemmt, Fahnen geschwungen und lauter Volkstanztruppen gegründet.
Außerdem: Man bleibt, wenn es geht, unter sich.
Nicht wenige schlesische Familien schickten ihre Nachkriegskinder in irgendwelche schlesischen Sommercamps, so eine Art "Konditionierungszentren zur schlesischen Identitätspflege" - das hat man meinem Bruder und mir glücklicherweise erspart.
Allerdings bin ich auch in OWL, wo ich geboren und aufgewachsen bin, nie wirklich angekommen. Was durchaus auch damit zu tun hat, dass natürlich alle wussten, auch aufgrund meines (polnischen) Nachnamens, dass ich "Schlesier" war - und mich nie wirklich als einen der ihren akzeptierte. Sicher, ich hatte Freunde, sicher, das war größtenteils Lokalkolorit, aber als "echten Lipper" hat man mich nie zugelassen. Da konnten die Lipper stur sein, damals zumindest.
Und genau das sind die Gründe, warum ich mit dem Begriff "Heimat" bis heute nichts anfangen kann, jedenfalls wohl nicht in dem Sinne, wie die meisten diesen Begriff verstehen (wollen), die ihn verwenden. "Heimat", dass ist der Lebensort, an dem ich gerade lebe - und der ist praktisch beliebig und jederzeit austauschbar (und genau das habe ich meinem Leben mehrmals getan).
Denn ich habe keine emotionale Bindung an irgendeinen Ort, nicht an OWL, an Schlesien erst Recht nicht.
Interessanterweise kann ich nicht einmal mit den Orten, an denen ich einst lebte, etwas anfangen, wenn ich sie wieder einmal besuche (bei meinem letzten Besuch, der Gottseidank nur kurz war, fand ich Berlin, in dem ich 10 Jahre gelebt habe und es immer geliebt habe, so schrecklich, dass ich froh war, dort wieder weg zu sein).
Es gibt Menschen, die der Meinung sind, es würde mir deshalb etwas Elementares in der Person fehlen. Mir aber geht "Heimat" nicht ab. Im Gegenteil, ich würde mich unfrei fühlen, wäre es denn anders. Im Grunde bemitleide ich sogar Menschen, die am Begriff "Heimat" kleben, auch wenn ich das (mittlerweile) respektiere.