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Lüge als gesellschaftliches Phänomen

M

majanna

Guest
Im Thread " Warum Misstrauen" hat sich die Diskusson Erörterungen über das gesellschaftliche Phänomen der Lüge zugewendet.

Ich fange deshalb eine neue Fragestellung an.

Stimmt das Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht?

Ist Lüge nur ein Phänomen der gelebten, besser* nicht gelebten, umgangenen* moralischen Vorschriften, denen wir uns mehr oder weniger freiwiwillig unterwerfen?

Marianne
 
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lüge, tarnung, täuschung....
das alles hat es in sozialen systemen schon vor dem menschen gegeben
neu sind vielleicht einige arten der lüge, da dem menschen neue arten der
kommunikation eröffnet worden sind
 
majanna schrieb:
Stimmt das Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht?
Ich denke schon; er muss dann zumindest zehnmal die Wahrheit sagen, dass man ihm wieder glaubt.
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Nicht vergessen soll man in diesem Zusammenhang, dass es subjektive Wahrheiten und (von Politikern dazu erklärte) objektive Wahrheiten gibt.

Nehmen wir an, ein Mitteleuropäer, ein Äquatorialafrikaner und ein Isländer äußern sich bei + 20 Grad Celsius, alle nur mit einer Hose und einem Hemd bekleidet, über ihr Befinden in Bezug auf die Temperatur:
Der Mitteleuropäer sagt: "Es ist angenehm."
Der Äquatorialafrikaner sagt: "Mir ist kalt".
Der Isländer sagt: "Mir ist heiß".​
Alle drei sagen etwas anderes, aber keiner lügt.

Liebe Grüße

Zeili
 
Wenn ich Interviews sehe/höre/lese habe ich nicht das Gefühl, daß gelogen wird. Eher scheint es mir so, daß viel verschwiegen und fast jeder Frage ausgewichen wird, um die Wahrheit nicht sagen zu müssen.
 
Ich glaube das das Sprichwort nur bedingt stimmt, denn es kommt ja schließlich immernoch auf den Menschen und die Situation an, eine Notlüge muss ja nichts schlimmes sein denn sie kann auch gutes zur Folge haben.
Eine Lüge zum Selbsterhalt ist ABSOLUT natürlich, eine Lüge um andere zu schützen ist REIN menschlich genauso wie das verpetzen anderer.
 
Hallo!

DerRidda schrieb:
Ich glaube das das Sprichwort nur bedingt stimmt, denn es kommt ja schließlich immernoch auf den Menschen und die Situation an, eine Notlüge muss ja nichts schlimmes sein denn sie kann auch gutes zur Folge haben.

Nun ich denke, dass eine Lüge eine Lüge ist, unabhängig von den Auswirkungen, denn auch ein Verbrechen kann sich in irgendeiner Weise, nachträglich als positiv herausstellen, aber trotzdem bleibt es ein Verbrechen. Unbestritten ist dass die Menschen, dass ich lüge, nicht weil ich meinem Gegenüber Etwas schlechtes will, sondern um mein Selbst, um das was die anderen in mir sehen zu wahren. Aber trotz allem bleibt es eine Lüge. Voraussetzung der Lüge ist die Existenz der Wahrheit, Zeilinger hat etwas in diese Richtung angedeutet. Mein Lieblingszitat in diesem Zusammenhang stammt von Heinz v. Förster "Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners." Wenn wir nun der Wahrheit die subjektive Wahrheit entgegenstellen, versinken wir dann nicht in einem Relativismus, wo nichts mehr ist und nichts mehr gilt? Doch all dies führt von der gestellten Frage weg.

Wenn ich jedem der lügt nicht mehr glauben würde, könnte ich nicht mehr vielen Menschen vertrauen, dies heißt allerdings nicht, dass ich die Lüge gutheiße. Ist eigentlich Unehrlichkeit dasselbe wie eine Lüge, denn wenn es so ist, dann könnten wir die Wahrheit rausschmeißen und als Bezugspunkt die Ehrlichkeit einrichten.

schöne Grüsse
Gregor
 
Mir kommt vor, dass wir bis jetzt vielen richtigen und wichtigen Aspekten des Phänomens Lüge auf die Spur gekommen sind.
Mir fällt allerdings auf, das keiner von uns ( ich auch nicht) sich genaue Gedanken darüber gemacht hat, was Lüge eigentlich ist.
Wir gehen ganz unbefangen mit diesem Begriff um.

Obwohl:
Alle scheinen wir den Akt des Lügens als bewusste Täuschung des Gegenübers aufzufassen.Lügen ist also ein kommunikativer Prozess.
( Man kann sich nämlich nicht selbst belügen, wenn wir das ( sicher oft genug ) tun, ist es eben kein Akt der bewussten Täuschung, wir halten die Ausflüchte vor uns selbst für wahr - wollen es zumindest.

Da der Gegenbegriff zu Lüge Wahrheit ist, muss man ihn, Gregor- da bin ich ganz bei Dir - mit in unsere Betrachtungen einbeziehen.
Ganz grob - alles was ist ( unsere evolutionäre Umwelt), ist wahr.
Wir nehmen die Wahrheit aber nur ganz fokussiert war ( Zeili hat dafür das passende Wetterurteil als Beweis gebracht).Ich möchte noch ein Beispiel aus der uns sattsam bekannten amerikanischen Kintoppwelt bringen: Wenn der Richter zum Zeugen sagt:"Sagen sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit", fordert er ihn damit - meiner Meinung nach fast zur Lüge auf. Die Aussage kann objektivierbar ( durch gegenteilige Zeugenaussagen oder auch durch andere Verfahrensweisen ( Gentest) sich als unwahr herausstellen, bleibt aber für den Zeugen wahr. - Natürlich außer, der Zeuge lügt, täuscht Wahrheit vor.Jeder von uns sieht nur einen Teil der Wahrheit-
kann das nur.

Jetzt will ich mal einen anderen Aspekt der Lüge ins Spiel bringen:
Wie ist es denn in der Kunst? Wenn wir ins Theater gehen. wissen wir, dass das da oben nur "Spiel" ist - also vorgetäuschte ( gelogene?) Realität. Romeo und Julio ( die Schauspieler) sterben nicht wirklich, das Motiv der verbotenen Liebe und deren Folgen ist aber ein wahres, d.h., es kommt im "wahren, wirklichen" Leben oft genug vor und kann daher von uns allen als wahr objektiviert werden.

Kunst gehört zu den Vorfindlichkeiten, denen wir Wahrheit zubilligen.

Es scheint also so zu sein, dass hier Lüge als Wahrheit empfunden wird.Und das im breiten gesellschaftlichen Konsens.

Marianne
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
... ist das "Gegenstück" zur Lüge nicht eher die Aufrichtigkeit? Oder Ehrlichkeit, wie Gregor schreibt? Und viel weniger die Wahrheit? Wie stehts mit dem Begriff Authentizität als "Gegenstück"-Kandidat?

Wenn ein Kreationist sagt, die Erde ist 7000 Jahre alt, lügt er dann, obwohl er doch sicherlich aufrichtig ist? Wer aus Unwissenheit die Unwahrheit sagt, ist doch kein Lügner. Es sind doch nicht all unsere Aussage Lügen nur weil sie ungesicherte Hypothesen sind, oder?

Wie sieht es aus mit Schmeicheleien? Das sind doch auch keine Lügen, oder? Auch wenn sie "unwahr" sein sollten?

Ich kann hier noch eine Geschichte beitragen, die mir in diesem Sommer passierte: Ich war in einer Buchhandlung, um ein wenig zu stöbern. Zufällig traf ich Aja, eine gute Bekannte. Sie hatte sich bereits für vier(!) Romane entschieden. Fette Beute. Wir schlenderten gemeinsam zur Kasse. Im Spaß fragte ich sie, ob sie nicht wisse, dass die meisten Romane einfach nur erfunden sind - alles Lüge. Aja hat Humor, deswegen spielte sie gleich mit: „Oh, mein Gott, wirklich??“ gab sie sich entsetzt. „Ja, ja!“ gab ich zurück, „frag doch die Verkäufer!“ Mittlerweile hatten wir die Kasse erreicht. Aja hatte gefallen an dem Spiel gefunden und wendete sich jetzt direkt an die Kassiererin: „Der Herr hier sagt, dass alles, was in Romanen steht nur erfunden sei – nichts davon stimmt! Alles Lüge! Hat der Herr tatsächlich Recht? Stimmt das, was er da sagt?“ Die Kassiererin blieb „gelassen“: „Ich bin keine Buchhändlerin. Da müssen sie meine Kollegin fragen.“ ...
 
Ich denke, beim Nichtlügen kommt es nicht so sehr darauf an, die Wahrheit zu sagen, sondern darauf, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln/reden.

Wenn der Kreationist sagt, die Erde ist 7000 Jahre alt, verrät er mir nichts über die Erde, sondern über sich. Er gibt mir etwas, an das ich glauben kann: seine Authentizität.

Lügt aber jemand, und entpuppt sich seine Aussage als Lüge, muß ich den Glauben in diese Person verlieren.

Womit wir dann beim Sprichwort wären. :)
 
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Wolf Singer zum Thema Lüge

Auf der Webseite von Angela Merkel findet man folgende Antworten von Singer zum Thema Lüge:

1. Welche Lüge haben Sie zuletzt verziehen?
Die Notlüge, die dem anderen erlaubt, sein Gesicht zu wahren.

2. "Wer lügt, ist frei, weil er nicht an der Wirklichkeit klebt." - Was fällt Ihnen zu diesem Satz ein?
Die Wirklichkeit muss erkannt, erklärt und ausgehalten werden.
 
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