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Lieblingsgedichtssammlung

AW: Lieblingsgedichtssammlung

AN EIN STARTENDES FLUGZEUG

Da stehst du in nächster Nähe
vor mir, stumm, starr, dumm und grau
Torkle davon, du listige Krähe,
töff töff und surr und dann davon in das Blau.

Weiß ich doch, daß du ganz genau weißt,
was du zu tun hast, damit du fliegst.

Wenn du so leicht in den Lüften kreist,
ein wenig wippst und ein wenig dich wiegst,
fehlt nur noch, daß du trillerst und singst
wie ein Vogel im erdfernen Glück.
Ach dann scheint uns: Am liebsten gingst
du gar nicht wieder zum Boden zurück.

Um Gottes willen, du Loser, entrinn nicht
der Erde, die doch menschlich dich schuf.
Überstürz dich auch nicht und besinn dich
auf unser Vertrauen und auf deinen Beruf.


Joachim Ringelnatz
Schön, solche Wort am frühen Morgen. :blume1:
Gruß Mongi
 
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AW: Lieblingsgedichtssammlung

Mein Kletterbaum

Du warst mir Burg und grünes Paradies
in dir war Wunder, Freiheit, frühes Glück,
du warst mir Gondel, Festung und Verlies,
nur mühsam fand ich mich aus dir zurück.
In deiner Krone grünlich goldnem Schein
war heut ich Robinson und morgen Flieger,
ich konnt Entdecker und Indianer sein,
mit zahmen Affen lebt ich, schoß auf Tiger...

Du spieltest immer mit, in bunten Stunden
hab´ich in dir die ganze Welt gefunden.-

Kurt Oskar Buchner
Aus dem Manuskript
 
AW: Lieblingsgedichtssammlung

Der Tod der Geliebten

Er wusste nur vom Tod, was alle wissen:
dass er uns nimmt und in das Stumme stößt.
Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen,
nein, leis aus seinen Augen ausgelöst,
hinüberglitt zu unbekannten Schatten,
und als er fühlte, dass sie drüben nun
wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten
und ihre Weise wohlzutun:
Da wurden ihm die Toten so bekannt,
als wäre er durch sie mit einem jeden
ganz nah verwandt; er ließ die andern reden
und glaubte nicht und nannte jenes Land
das gutgelegene, das immersüße -
Und tastete es ab für ihre Füße.

Rainer Maria Rilke​
 
AW: Lieblingsgedichtssammlung


Die Blumen im Eden

In den Bäumen vor dem Paradiese
Sitzen tausend blinde Seelchen harrend,
Bis das große Petrusthor sich knarrend
Öffnet zu der blumenreichen Wiese.

Sie sind blind, weil sie dereinst auf Erden
Vielzuviel gesucht in Näh'n und Fernen,
Und sie müssen hier einfältig werden,
Und sie sollen hier erst staunen lernen.

Denn die Blumen, die im Eden prangen,
Die sie jetzt mit seligen Augen schauen,
Sind die gleichen gelben, roten, blauen,
Denen sie einst blind vorbeigegangen.


Hugo Salus
http://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Salus
 
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Abend

Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt;

und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt;

und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
dein Leben, bang und riesenhaft und reifend,
so daß es, bald begrenzt und bald begreifend,
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.

Rainer Maria Rilke
 
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.........
Aber erweckten sie uns, die unendlich Toten, ein Gleichnis,
siehe,sie zeigten vielleicht auf die Kätzchen der leeren
Hasel, die hängenden,oder
meinten den Regen,der fällt auf dunkles Erdreich im Frühjahr.-

Und wir, die an steigendes Glück
denken, empfänden die Rührung,
die uns beinah bestürzt
wenn ein Glückliches fällt.

Rilke
Aus: Die Zehnte Elegie
 
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Wollen

Bei dir sein wollen
Mitten aus dem was man tut
weg sein wollen
bei dir verschwunden sein

Nichts als bei dir
näher als Hand in Hand
enger als Mund an Mund
bei dir sein wollen

In dir zärtlich zu dir sein
dich küssen von außen
und dich streicheln von innen
so und so und auch anders

Und dich einatmen wollen
immer nur einatmen wollen
tiefer tiefer
und ohne Ausatmen trinken

Aber zwischendurch Abstand suchen
um dich sehen zu können
aus ein zwei Handbreit Entfernung
und dann dich weiter küssen

Erich Fried

 
AW: Lieblingsgedichtssammlung

Kindersand

Das schönste für Kinder ist Sand,
Ihn gibt´s immer reichlich
Er rinnt unvergleichlich
Zärtlich durch die Hand.

Weil man seine Nase behällt,
Wenn mann auf ihn fällt,
Ist er so weich
Kinderfinger fühlen,
Wenn sie in ihm Wühlen,
Nichts und das Himmelreich.

Denn kein Kind lacht
Über gemahlene Macht.

Joachim Ringelnatz
 
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AW: Lieblingsgedichtssammlung

Es welkt der Mensch...

Es welkt der Mensch wie Kopfsalat,
Im Schatten sind fast dreißig Grad,
Der Grips versagt im Hirne,
Und Schweiß läuft von der Birne.

Was man an Feuchtigkeit verliert,
Wird immer gleich neu einfiltriert,
Die Hektoliter winken,
Nur trinken, Mensch, nur trinken!

Vermindert ist des Daseins Lust,
Der Seufzer quillt aus heißer Brust,
Ein Kuß kann nur erhitzen,
Man liebt nicht, um zu schwitzen.

So manches Mädel rund und nett
Springt jetzt ins kühle Wasserbett,
Ich sitz' mit trüber Miene
Vor meiner Schreibmaschine.

Die Kanne steht gleich neben mir,
Ein Vers, vier Zeilen, zehn Schluck Bier,
Am Schluß, ich will nicht unken,
Bin ich vor Gram betrunken.


Peter Boll

:mad:.:katze3:
 
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