Ziesemann schrieb:
Ziesemann, der nicht mehr antworten wird, wenn auf dem eingangs zitierten Niveau weiter geschwätzt wird.
Jo - dann mußt du's halt bleiben lassen, Herr Ziesemann - ich schwatze lieber als mich wie ein Thermometer anzuhören, das nichts von "gefühlten Temperaturen" wissen will.
Wenn die Frage lautet, ob die "DDR tot sei", dann kann sich das auf viele Bereiche ziehen. Sicher auch auf die von dir dankenswerterweise aufgezählten Fakten - ich sehe sie größtenteils genauso wie der verschnupfte Herr Ziesemann.
Aber als eine im Osten Berlins lebende Wessi mit angeheirateter Ossi-Verwandtschaft und Ossi-Angestellten sehe ich mich immer wieder mit der erwähnten (N)Ostalgie, Frustration bis hin zu massiver Ablehnung (alles Schlechte kommt vom Westen, und wenn etwas schlecht ist, KANN ja nur ein Wessi bzw. eine Wessi-Firma dahinter stecken) konfrontiert und versuche, mir ein Bild zu machen, das zumindest versteht, was die jeweils "andere Seite" so verbittert.
Ich behaupte: die DDR ist nicht "tot" und wird es auf absehbare Zeit auch nicht sein - KANN auch nicht sein, denn sie bildet in den Köpfen der Leute hier den verklärten Gegenpol zum Frust und zum Katzenjammer, der seit der Wende von den meisten hier Besitz ergriffen hat.
Unrechtsstaat hin oder her (sehe ich übrigens auch so - nur mein Blick auf die "Rechtmäßigkeit" unserer guten alten BRD hat sich mittlerweile gründlich verändert): darüber denken diejenigen Leute, die in der DDR gelebt haben, heute nicht mehr allzu intensiv nach - nicht mal meine Schwiegermutter, die seinerzeit auf jeder Leipziger Demo mitmarschiert ist, weil sie mehr Gestaltungsfreiheit IM BESTEHENDEN STAAT DDR wollte, wie so viele andere auch. Es geht um verinnerlichte Werte.
Hartmut schreibt:
Die Frage ist, ob man das von vornherein erwarten musste oder ob es eines Experiments bedurfte. Ich habe (unfreiwillig) an einem solchen historischen Experiment teilgenommen. Nun wissen wir, wie es nicht geht. Aber ob es dereinst nicht doch gehen könnte, das ist nicht erwiesen.
Ich glaube, daß es in der Tat solcher "historischer Experimente" bedurfte - die Entwicklung hätte wirtschaftlich vielleicht absehbar sein können, das kann ich nicht beurteilen. Wie es sich auf die Menschen auswirkt, war vermutlich nicht absehbar.
Mal sehen, ob ich's schlüssig erklären kann. Ich sehe zum einen das Bedürfnis nach Konkurrenz und das Bedürfnis, sich vom Mitmenschen in irgendeiner Form abzuheben - durch schönere Kleider, ein größeres Haus, ein schnelleres Auto, all so'n Kram eben. Ich halte das für eine ziemlich starke Triebfeder, die den Menschen auch dazu bringt, sich zu bemühen - um besonders gute Arbeitsergebnisse zum Beispiel. Wenn ich in einem System lebe, in dem ich von vornherein bereits weiß, daß ich niemals ein eigenständiges, unabhängiges,
eigenes Unternehmen leiten werde, weil das nicht vorgesehen ist - dann wird es wenig Motivation geben. "Jeder gilt gleich" kann meiner Ansicht nach einfach nicht funktionieren, weil das voraussetzen würde, daß alle zumindest in der groben Richtung das Gleiche wollen.
Das ist das eine. Das andere, schwerwiegendere, empfinde ich verstärkt auch angeregt durch diese Diskussion hier. Nämlich:
wir alle sind in unsere "Systeme" hineingewachsen und damit auch mit bestimmten Wertvorstellungen erzogen worden. Da mag der Herr Ziesemann ruhig selbstgerecht gegen nostalgische Verklärung des Unrechtsstaates DDR wettern, wie er will - es ändert nichts am Empfinden der Menschen hier. Sie sind durchaus mit sehr vielen Idealen erzogen worden und haben diese verinnerlicht. Daß man zusammenhalten muß zum Beispiel. Daß die Arbeit jedes Einzelnen - und damit auch jeder hergestellte Gegenstand - Respekt verdient, weil er aus der Arbeit eines Menschen resultiert (hat mich ziemlich überrascht, als ich das erste Mal davon gehört habe). Daß man einander hilft. Daß man nicht oberschlau daherreden muß, um sich als Akademiker erkennbar zu machen. Sehr viele Tugenden, tatsächlich - Tugenden, die "im Westen" schon lange irgendwo verstaubt in den Kellern gelandet sind.
Das alles soll auf einmal nichts mehr wert sein? Weil "die aus dem Westen" daherkommen und URTEILEN über 40 Jahre Leben, an denen sie selbst nicht teilgenommen haben?
Wie anmaßend! Und wie überaus dumm! Damit hat man den Menschen, die man gönnerhaft-rührselig mit der Rechten ans deutsche Herz drücken wollte, zugleich mit der Linken dermaßen die Fresse poliert, daß ein Zueinanderfinden auf Jahre hinweg kaum noch möglich scheint.