Ich sehe meine Schwiegereltern, die oft auf ihre 'Datsche' fahren und dort liebevoll ihre Wachsbohnen und Zucchinis heranziehen. Früher, in DDR-Zeiten, war das Saatgut besser, sagt die Mutti, da konnte man die Kerne vom selbstgezogenen Gemüse trocknen, im nächsten Jahr einbuddeln und es wuchs. Das Saatgut, das man heute kaufen kann, wächst nicht besonders.
Die Halorenkugeln schmecken noch genauso wie früher, sagen die Leute aus dem Bekanntenkreis.
In DDR-Zeiten hatte man noch Respekt vor der Arbeit anderer, niemandem wäre es eingefallen, mutwillig Laternenpfähle zu beschädigen oder das Auto des Nachbarn mit Graffiti zu besprühen, sagen unsere Nachbarn.
In DDR-Zeiten durfte unsere Mitarbeiterin nicht ihr Wunschstudium machen, weil sie und ihre Eltern Mitglieder einer Kirche sind, sagt sie. Sie sagt auch, daß sie als junges Mädchen unbedenklich auch spät Abends noch ausgehen konnte, da gab es keine Vergewaltiger und Kinderschänder.
In der DDR gab es viele Sachen nicht, aber alle hatten Arbeit, Wohnung und ausreichend zu essen, der Grundbedarf war jedem sicher. Vor allem Kinderbetreuung war jederzeit sicher, neben Kinderkrippen und Hort gab es auch regelmäßige Arbeitsgruppen, in denen die Kinder ihren Interessensgebieten entsprechend gefördert und angeleitet wurden.
"Ihr im Westen" konntet euch immer alles kaufen, bei euch gab es keine Reisebeschränkungen und wenn ihr umziehen wolltet, mußtet ihr niemanden um Erlaubnis fragen - sagen die Leute hier.
"Ihr Wessis" habt unsere Betriebe abgewickelt, platt gemacht oder sie in eure Konzerne einverleibt, damit euer Profit steigt und wir als Kunden nur noch eure Produkte kaufen können. Selbst unser geliebter Bautzener Senf gehört mittlerweile Develey. Nach anfänglichem Durchprobieren - wir wollten wissen, wie eure bunten, schönen Produkte schmecken - waren fast alle unsere gewohnten Produkte vom Markt verschwunden und tauchten erst lange später und oft geschmacksverändert wieder auf.
"Unsere Arbeitsplätze habt ihr zerstört, hier ist kaum noch Infrastruktur und die nachwachsende Jugend kann ihre paar Hartz-Pfennige frustriert versaufen oder den Rechtsradikalen nachwerfen in der Hoffnung, daß irgendwann nicht mehr an jeder Ecke Fidschis Obst über und geschmuggelte Zigaretten unter der Theke verkaufen, während die nicht abgewanderten Deutschen zu teilweise erbärmlichen Bedingungen weit unter ihrer Qualifikation und auch weit unter der offiziellen Armutsgrenze sehen können, wie sie gegen polnische Scheinselbständige konkurrieren können."
Ok, das war der "Ossi-Teil".
Ich Wessi sehe hier aber auch: Jammerlappen, die ihre tragische DDR-Vergangenheit beklagend und die heute über großzügige Datschen am Müggelsee inkl. eigenem Boot verfügen. Auf die Füße gefallene Stasi-Kader in Behörden und Ämtern. Resigniert-rebellische Jugendliche, deren ganzer Stolz im Besitz großer Hunden und möglichst vieler Kinder zu bestehen scheint.
Ich Wessi, der ich immer überall hinreisen durfte, konnte mir Urlaubsreisen in ferne Länder kaum leisten, weil ich zwar gut verdiente, weit mehr als die Hälfte meines Einkommens allerdings für eine erschwingliche Wohnung 80 km entfernt von meinem Arbeitsplatz plus der Fahrtkosten für den täglichen Arbeitsweg weggeben konnte.
Ich Wessi hatte auch die Freiheit, mir alles zu kaufen, was ich wollte - vorausgesetzt, ich hätte nicht neben dem Schulbesuch auf dem zweiten Bildungsweg nicht noch nächtelang für wenig Geld jobben müssen, um die "gleichen Bildungschancen für alle" auch in der Praxis finanzierbar zu machen. So blieb's oft genug bei der plattgedrückten Nase an Schaufensterscheiben.
Wir im Westen durften immer wählen und mußten keine Repressalien befürchten, weil wir die DDR-übliche Wahlfarce nicht mitmachen mußten. Daß ein ehemals grüner Schily zum reaktionär-radikalen Freiheitsbeschneider werden konnte - jo mei, Pech halt, muß man halt nächstens was anderes "frei wählen".
All das könnte man endlos weiterschwadronieren, im Westen, im Osten, alle fühlen sich belogen und benachteiligt und überhaupt war früher alles besser. Nur: wem nützt das?
Ist die DDR tot?
Nä. Ist sie nicht. Sie hat sich von der BRD auflecken lassen und verursacht ihr jetzt gelegentliches Bauchgrummeln und noch gelegentlicher ein unsanftes Ruhekissen. Meistens aber sitzen die beiden Schwestern gemeinsam am Stammtisch und beklagen ihr Schicksal - denn waschechte Deutsche sind'se halt beide, ne?