Jacques
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Jacques kann es nicht lassen. Er lugt aus einer Falte des schweren und muffigen Vorhangs hervor, der mit der Vorstellung von Gerhard ächzend zuzufallen drohte. Der Glanz, der Gerhards heroische und tapfere Vorstellung(en) einbrachte und sich zumindest in Jacques’ Tränen spiegelte, lässt ihn – um zumindest ein Abglanz der zuversichtlichen und gänzlich antidepressiven Stimmung des Publikums zu erhaschen – noch ein paar Worte an ein imaginäres Publikum sprechen (das dennoch aus ein paar Jugendlichen besteht, die sich – wegen des Herbstes auf einer Droge namens Alkohol – im Saal geirrt haben und sich in diesem wunderbaren Multiplex eigentlich einen grauhaarigen Tom Cruise anschauen wollten und keinen rosahaarigen Clown namens Jacques):
Hmmm… hier riecht es so verbrannt… Wurde ein neuer Papst gewählt? Hat jemand aus Kummer sein Bügeleisen zulange auf meinen rosaroten Lieblingspulli stehen lassen? Wenigstens habe ich noch die gestrickte Perücke auf. Da alle schwarz oder rosa bis rot sehen, fällt sie nicht so auf. Es wäre kein Spass…
Mit gewohnt clowneskem Gestus, der alles andere als komisch ist, fährt Jacques, der Narr, nachdenklich fort:
Ich, ein möglicher Nicht-EU-Bürger?
Wenn das rauskommt, wie gross wird die Empörung dann sein, die meine Voten beim Otto-Normalverbraucher, beim kleinen Mann, beim deutschen Steuerzahler, auslösen? Werde ich mich jemals noch vor Publikum zeigen können? Werde ich mich jemals noch vor die Leute trauen, ohne dass Misstrauen, welches mir entgegengebracht werden muss, in meinem Rücken, auf meiner rosaroten Woll-Perücke, zu spüren? Wird schliesslich Ghaddafi mir Vertrauen schenken? Werde ich die Steuerzahler davon überzeugen können, dass Narren auch nur Menschen sind, auch wenn sie zu denen gehören, die durch die geschickt geknüpften Maschen einer jeden rechtschaffenen betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung heillos durchfallen?
Einer der besoffenen Jugendlichen lallt etwas unverständliches, es könnten Fakten sein, ein anderer rülpst mit einer Windstärke, die teure Windräder – ein Feindbild eines jeden modernen Don Quichotte – in Gang halten könnten und schläft mit unangenehmen Schnarch-Geräuschen ein.
Mit einem ‚Ach’, liebe Freunde, möchte ich noch hinzufügen, dass es mir gelungen ist, mein IQ von 129,999 mit einer siebenstelligen Zahl, die ich geerbt habe (es handelt sich um das Erbe des „adeligen Geistes“, deswegen kann ich Céline beruhigen: ich habe ihn noch, den „adeligen Geist“, mich hat er nicht verlassen!), zu multiplizieren und na ja, so habe ich zumindest meine Depression von vorgestern überwinden können. Denn ich leide nicht mehr an der Welt wie früher, als auch ich noch meine Kindheit in einer Genossenschaftswohnung (mit Klingelbrett und Kajütenbett) in der Chemiestadt Basel verbrachte, wo die Schlote der grossen Schweizer Pharmakonzerne noch heute rotweiss in den Himmel ragen (in der Schweiz ist alles viel kleiner und niedlicher [ausser der Konservatismus und die angehäuften Kapitalmengen – und die Berge], so wirklich heruntergekommen war unsere Wohngegend – auch wenn sie zu den betrüblicheren der Stadt gehört – nie). Nicht nur das Hafenbecken 2, die Luft des Dreiländerecks, Züge, betrunkene Hafenarbeiter, kreischende Möwen und gurrende Tauben dekorierten meinen pittoresken Schulweg, nein, auch italienische, spanische und türkische MitschülerInnen begleiteten mich gerne, während ihre Mütter dreckige Boden putzten und ihre Väter in den Fabriken arbeiteten. In der Retrospektive und in meinem jetzigen, glücklichen Zustand durch die regelmässige Einnahme von Arete muss ich sagen: Wahnsinn. Welcher Gefahr ich in meiner Jugend tagtäglich ausgesetzt war? Selbst die strapazierte Miene meines innerschweizerischen Grossvaters, der die Schweiz gegen jegliche Gefahren wohl mit Armbrust und Apfelschuss verteidigen würde, wenn er die fremd klingenden Namen meiner Freunde vernahm, konnte mich vor diesem Leichtsinn damals nicht bewahren. Hätte ich doch nur auf ihn gehört, anstatt wie ein Affe…
Drei Punkte. Ich lobe sie mir.
Als Jacques innehält, erwachen die blauen Jugendlichen wie aus Trance und meinen – immer noch im Rausch – Tom Cruise hätte sich in einen rosa Elefanten verwandelt. Sie starren Jacques mit grossen Augen und offenen Mündern an.
Ich kenne die Gefahren! Ich kenne den Nutzen und sämtliche Kosten. Gestern habe ich in der Schweizer Nachrichtensendung 10 vor 10 vernommen, dass immer mehr Deutsche unsere schöne Insel Schweiz bevölkern. Ostdeutsche drücken auf Baustellen die Löhne und in Zürichs Krankenhäusern hört man kaum mehr irgendwo unseren schönen Dialekt. Ich bin froh, dass ich den Weichzeichner endlich aus der Hand legen konnte und sage: zieht einen dicken Strich! Lasst uns den Rütli-Schwur erneut schwören, schützt uns vor Kommunisten und Antidemokraten! Schnitt… Stopp! Aus, Fertig. Diese Rolle liegt mir zu gut… sie ist sehr bequem.
Ach, Freunde! Abermals ein ‚ach’. Kennt ihr Charlie Chaplin? Ach, mein Publikum… Trotz den betrüblichen Schwarz-Weiss-Tönen, schaut euch den Film an, der da heisst, „The Great Dictator“ und ahnt, dass selbst wir Narren – ich gebe es zu – in allem Scherz den Ernst nie verloren haben.
Die Jugendlichen blicken betreten umher. Einer – ein kommender Anhänger rechtspopulistischer Parteien, die ihn mit ihren Fakten bald überzeugt haben werden – kotzt auf den vorderen Sitz.
Hmmm… hier riecht es so verbrannt… Wurde ein neuer Papst gewählt? Hat jemand aus Kummer sein Bügeleisen zulange auf meinen rosaroten Lieblingspulli stehen lassen? Wenigstens habe ich noch die gestrickte Perücke auf. Da alle schwarz oder rosa bis rot sehen, fällt sie nicht so auf. Es wäre kein Spass…
Mit gewohnt clowneskem Gestus, der alles andere als komisch ist, fährt Jacques, der Narr, nachdenklich fort:
Ich, ein möglicher Nicht-EU-Bürger?
Wenn das rauskommt, wie gross wird die Empörung dann sein, die meine Voten beim Otto-Normalverbraucher, beim kleinen Mann, beim deutschen Steuerzahler, auslösen? Werde ich mich jemals noch vor Publikum zeigen können? Werde ich mich jemals noch vor die Leute trauen, ohne dass Misstrauen, welches mir entgegengebracht werden muss, in meinem Rücken, auf meiner rosaroten Woll-Perücke, zu spüren? Wird schliesslich Ghaddafi mir Vertrauen schenken? Werde ich die Steuerzahler davon überzeugen können, dass Narren auch nur Menschen sind, auch wenn sie zu denen gehören, die durch die geschickt geknüpften Maschen einer jeden rechtschaffenen betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung heillos durchfallen?
Einer der besoffenen Jugendlichen lallt etwas unverständliches, es könnten Fakten sein, ein anderer rülpst mit einer Windstärke, die teure Windräder – ein Feindbild eines jeden modernen Don Quichotte – in Gang halten könnten und schläft mit unangenehmen Schnarch-Geräuschen ein.
Mit einem ‚Ach’, liebe Freunde, möchte ich noch hinzufügen, dass es mir gelungen ist, mein IQ von 129,999 mit einer siebenstelligen Zahl, die ich geerbt habe (es handelt sich um das Erbe des „adeligen Geistes“, deswegen kann ich Céline beruhigen: ich habe ihn noch, den „adeligen Geist“, mich hat er nicht verlassen!), zu multiplizieren und na ja, so habe ich zumindest meine Depression von vorgestern überwinden können. Denn ich leide nicht mehr an der Welt wie früher, als auch ich noch meine Kindheit in einer Genossenschaftswohnung (mit Klingelbrett und Kajütenbett) in der Chemiestadt Basel verbrachte, wo die Schlote der grossen Schweizer Pharmakonzerne noch heute rotweiss in den Himmel ragen (in der Schweiz ist alles viel kleiner und niedlicher [ausser der Konservatismus und die angehäuften Kapitalmengen – und die Berge], so wirklich heruntergekommen war unsere Wohngegend – auch wenn sie zu den betrüblicheren der Stadt gehört – nie). Nicht nur das Hafenbecken 2, die Luft des Dreiländerecks, Züge, betrunkene Hafenarbeiter, kreischende Möwen und gurrende Tauben dekorierten meinen pittoresken Schulweg, nein, auch italienische, spanische und türkische MitschülerInnen begleiteten mich gerne, während ihre Mütter dreckige Boden putzten und ihre Väter in den Fabriken arbeiteten. In der Retrospektive und in meinem jetzigen, glücklichen Zustand durch die regelmässige Einnahme von Arete muss ich sagen: Wahnsinn. Welcher Gefahr ich in meiner Jugend tagtäglich ausgesetzt war? Selbst die strapazierte Miene meines innerschweizerischen Grossvaters, der die Schweiz gegen jegliche Gefahren wohl mit Armbrust und Apfelschuss verteidigen würde, wenn er die fremd klingenden Namen meiner Freunde vernahm, konnte mich vor diesem Leichtsinn damals nicht bewahren. Hätte ich doch nur auf ihn gehört, anstatt wie ein Affe…
Drei Punkte. Ich lobe sie mir.
Als Jacques innehält, erwachen die blauen Jugendlichen wie aus Trance und meinen – immer noch im Rausch – Tom Cruise hätte sich in einen rosa Elefanten verwandelt. Sie starren Jacques mit grossen Augen und offenen Mündern an.
Ich kenne die Gefahren! Ich kenne den Nutzen und sämtliche Kosten. Gestern habe ich in der Schweizer Nachrichtensendung 10 vor 10 vernommen, dass immer mehr Deutsche unsere schöne Insel Schweiz bevölkern. Ostdeutsche drücken auf Baustellen die Löhne und in Zürichs Krankenhäusern hört man kaum mehr irgendwo unseren schönen Dialekt. Ich bin froh, dass ich den Weichzeichner endlich aus der Hand legen konnte und sage: zieht einen dicken Strich! Lasst uns den Rütli-Schwur erneut schwören, schützt uns vor Kommunisten und Antidemokraten! Schnitt… Stopp! Aus, Fertig. Diese Rolle liegt mir zu gut… sie ist sehr bequem.
Ach, Freunde! Abermals ein ‚ach’. Kennt ihr Charlie Chaplin? Ach, mein Publikum… Trotz den betrüblichen Schwarz-Weiss-Tönen, schaut euch den Film an, der da heisst, „The Great Dictator“ und ahnt, dass selbst wir Narren – ich gebe es zu – in allem Scherz den Ernst nie verloren haben.
Die Jugendlichen blicken betreten umher. Einer – ein kommender Anhänger rechtspopulistischer Parteien, die ihn mit ihren Fakten bald überzeugt haben werden – kotzt auf den vorderen Sitz.