Ja der Frühling treibt schon lustige Blüten, aber man weiß auch, dass viele Menschen zu dieser Jahreszeit geradezu überfordert von all den Säften und der guten Laune sind. Ich musste mir zum Beispiel neulich auf MTV Teile der Echo-Preisverleihung anschauen und sah mit schmerzenden Augen, dass eine mir sehr gut bekannte Kommilitonin nicht weniger als drei Auszeichnungen dieses vielleicht bedeutensten deutschen Musikpreises einheimste. Deprimiert verkündete ich der Herzogin, ich werde mich jetzt ins Bett legen und erst wieder aufstehen, wenn ich berühmt bin. Okay, antwortete sie, wissend, wo der Hase läuft.
Unsere Kommunikation die nächsten drei Tage beschränkte sich darauf, dass sie mich ab und zu mit dem Wedel dezent abstaubte. Am dritten Tag aber bekam sie einen Maulanfall. Sie habe sowieso schon so viel zu putzen, maulte sie, und jetzt müsse sie auch noch immer mich abstauben, das ginge so nicht. Ich solle gefälligst etwas unternehmen. Okay, sagte ich und klopfte mir ein paar Spinnen aus den Hemdfalten.
Ich beschloss, in die Hauptstadt zu fahren und ein paar CDs anzutesten (aber nicht diejenige meiner Kommilitonin, det könnta glooben). Nach Hindemith stand mir der Sinn. Dies Anliegen ließ mich beim Infostand des Kulturkaufhauses Dussmann in der Friedrichstraße vor Anker gehen. Ich suche "Wir bauen eine Stadt" von Paul Hindemith, ob es dieses Werk in dem edlen Hause gäbe. Der gescheiterte Musiker hinterm Tresen teilte mir mit, dieses Werk gäbe es genau in einer Einspielung und es stünde da drüben.
Wow, dachte ich, das ist ein Schritt nach vorne. Ich bin zwar nicht berühmt, aber die Einspielung, die ich suche, gibt es nur einmal, das ist doch was. Ich würde mir ein T-Shirt drucken mit dem Aufdruck: Ich kaufte ein nur einmal eingespieltes Werk. Ja! Ich stolzierte hinüber zum Regal und schnappte mir die mit einem hübschen Druck von Paul Klee gezierte Platte und nahm bei der Gelegenheit auch noch Klavierwerke des Komponisten mit zum Probehören. Ja, ich musste Probehören. Zwar war die CD nicht teuer und ich brauchte sie unbedingt, ich musste sie aber trotzdem probehören, das ist schwer zu erklären, das ist so wie Duschen direkt vorm Saunagang, selbst wenn man noch gar nicht dreckig ist. Ich ging also zum Probehörstand, ließ beide CDs mal anlaufen, stellte die Klavierwerke zurück und spazierte zur Kasse mit meinem kleebedruckten Einzelwerk. Dort angekommen klappte ich die CD nochmals versicherungshalber auf, aber hoppla, die Hülle war leer. "Die Hülle ist leer", sagte ich nicht sehr intelligent zur Kassiererin. Tja, dann müssen sie wohl noch mal runter, antwortete nicht auf den Mund gefallen die Dame.
Ich stieg also nochmal hinab in den Tempel der Klassik und steuerte den Probehörstandstand an, wo ich meine CD vermutete. An meinem Platz hatte sich inzwischen eine hochaufgeschossene Musikwissenschaftsstudentin breit gemacht, die lauter bestimmt sehr langweilige und auf keinen Fall nur einmal eingespielte Werke durchnudelte. Um sie herum standen weitere Jünger und Jüngerinnen der so genannten ernsten Musik unter Köpfhörern, jeder abgeschlossen in seiner Welt. Ich wollte der Studentin gerade auf die Schulter tippen, als rechts neben ihr das Baby einer weiteren Musikwissenschaftsstudentin von der unbemerkt aus dem Kinderwagen zu fallen drohte, was meine Studentin in hektische Bewegung versetzte, denn nichts ist stärker als der weibliche Instinkt, kleine Kinder zu retten, gerade im Frühling. Ich konnte nur erschrocken nach hinten springen und musste einen weiteren Antippversuch starten, denn anders konnte ich mich nicht bemerklich machen. Wie zu erwarten wusste die Hochaufgeschossene aber von nichts und da erst machte es Klick in meinem verstaubten Hirn: Ich musste den einen Hindemith zum anderen Hindemith mit in die CD gebettet haben (oder die CD war von selbst reingesprungen - nur einmal eingespielte CDs sollen ja manchmal unter Einsamkeitsschüben leiden - gerade im Frühling). Ich tigerte also wieder zum Buchstaben H wie Hindemith, fand die Klavierwerke, darin meine CD, ich legte sie zurück, wo sie hingehörte und machte mich erneut auf den Weg zur Kasse, näherte mich mit meiner "Ich Trottel"-Grimasse, wie es Jonathan Franzen ausgedrückt hätte. Die Verkäuferin hatte mich aber natürlich längst wieder vergessen und vollzog den Warentausch routiniert und wortlos.
Kaum hatte ich den Kassentresen verlassen, versperrte mir ein seltsamer Typ den Weg, einen komischen, grünen Ausweis in meinem Blickfeld wedelnd. Er wolle sich die CD, die ich da vorhin eingesteckt hätte gerne mal genauer anschauen. Ich hatte ihn mit seinen Jeans, seinem blaukarierten Hemd, seiner speckigen Allzweckweste, dem zerknautschten Gesicht und der der Vokuhila-Frisur fast für einen Penner gehalten, nun dämmerte es mir: Es war der Kaufhausdedektiv! Der Typ musste meine CD-Rückführungsaktion beobachtet haben und es für den plumpesten Diebstahl seiner Schnüfflerkarriere gehalten haben. "Sie irren sich", sagte ich. Das wollte ich immer schon mal sagen: "Sie irren sich, ich bin unschuldig" Krimifans haben den Satz schon tausend Mal gelesen und fiebern dem Tag entgegen, an dem sie das auch mal sagen dürfen. "Sie irren sich, ich hatte nur aus Versehen zwei Cds in eine Hülle getan,nachdem ich beide probegehört hatte und zunächst angenommen hatte, ich hätte eine CD im Rekorder gelassen, was sich aber dank dieser Frau, die das Baby vorm Runterfallen gerettet hat, als Irrtum herausstellte, worauf ich dann die Lage wie einst Philip Marlowe rekonstruieren konnte und zusammenführen, was zusammengehört."
Als ich zwei Minuten später mit bewiesener Unschuld in die Frühlingssonne trat, beschloss ich, die Episode als Fortschritt zu sehen. Ich war zwar nicht von MTV gefilmt worden, aber immerhin von Kaufhauskamers erfasst worden. Und ich hatte ein nur einmal eingespieltes Werk erstanden. Immerhin. Der Frühling kann kommen.