Sollten wir nicht langsam anfangen, zu überlegen, was du und ich können oder nicht können und dann zählen wir uns hoch auf die Menschen, die auf der Erde leben?
Eine einfache scheinbar zielführende Überlegung "Jeder Einzelne kann etwas tun, und wenn alle das tun, was sie tun sollen, profitieren wir alle, also werden auch alle vernunftsbegabten Menschen das tun, was nötig ist." - nur so spielts das eben nicht.
Denn, deine Überlegung kommt aus der Supervision heraus - die Handelnden Menschen aber leben nicht in dieser Supervision, sondern in der realen Welt.
Also, der begangene Fehler ist genau jener, den du mit der Zeile
"Wir reden die ganze Zeit über den Menschen und laufen langsam Gefahr, zu vergessen, dass wir auch welche sind."
ansprechen wolltest, nur eben von der anderen Seite.
Es ist der gleiche Fehler, den beispielsweise gläubige Christen "begehen". In der Kirche bei der Predigt stimmen sie dem Pfarrer zu, wenn er von Nächstenliebe spricht und das Paradies auf Erden verspricht, wenn nur alle voller Nächstenliebe wären und wie Jesus lebten. In der Supervision muss man dem auch zustimmen, ist ja inhaltlich richtig.
Verlassen sie aber die Kirche und leben ihr reales Leben, leben sie es trotz Zustimmung in der Supervision dann doch nicht.
Das aber nicht unbedingt, weil sie so bigott wären, sondern weil die Situation und Perspektive eines "Spielers" eine andere ist als die der Supervision.
Das ist eine Grunderkenntnis aus der Spieletheorie. Ein denkbar simples Beispiel dafür ist das Gefangenendilemma.
Zwei (schuldige) Verdächtige werden getrennt verhört. Die Polizei hat keine stichhaltigen Beweise, ist aber dennoch sicher, dass sie die Richtigen haben - nur ohne Geständnis müssen sie sie laufen lassen. Also bieten sie jedem Einzelnen folgenden Deal an:
Wenn nur einer gesteht, dass sie beide das Verbrechen begangen haben, bekommt jener eine geringe Strafe, der andere aber eine hohe Strafe.
Wenn beide gestehen, bekommen beide eine mittlere Strafe.
Also sehen sich beide für sich folgenden Möglichkeiten ausgesetzt:
1. er gesteht nicht, der andere gesteht auch nicht ---> er geht frei
2. er gesteht nicht, der andere gesteht ---> er bekommt eine hohe Strafe
3. er gesteht, der andere auch ---> er bekommt eine mittlere Strafe
4. er gesteht, der andere nicht ---> er bekommt eine geringe Strafe
Aus der Supervision heraus ergibt sich eine Lösung. Beide gestehen nicht und sie gehen frei.
Aber, für die Verdächtigen ergibt sich diese Lösung nicht. Denn sie wissen nicht, was der jeweils andere tut.
Für sie gibt es keine eindeutige Lösung, denn ob ihre Entscheidung für sie vorteilhaft ist oder nicht, können sie
aus ihrer Situation heraus nicht abschätzen. Er kann nur mutmaßen, was der andere Verdächtige machen wird
und hoffen, dass seine Einschätzung richtig war.
Und so ist es auch bei globalen Bestrebungen. Der Einzelne kann etwas tun oder auch nicht. Ob es ihm letzten Endes einen Vorteil bringt oder einen Nachteil, kann er nicht wissen. Er kann nur nach dem gehen, was ihm die Erfahrung gelehrt hat
Ich könnte beispielsweise ohne weiteres auf überflüssige Autofahrten verzichten, mit Tempo 130 auf der Autobahn hätte ich auch kein Problem, denn ich bin schon durch ganz Europa gefahren und nirgendwo hat mich das Tempolimit sonderlich gestört. Im Gegenteil, es hat die Autofahrt weniger stressig gemacht, Ich wäre auch bereit, öfter mit dem Zug zu fahren, denn das wäre viel bequemer und mit weniger Straßenstress verbunden.
Gut, der geringere Stress etc mag zwar schon richtig sein, hat aber bezüglich Klimawandel keine Relevanz.
Aber blicken wir doch einmal auf die Konsequenzen. Der Ansatz ist sehr einfach: du fährst langsame (oder mit dem Zug), verbrauchst weniger Sprit, und die Umwelt freut sich.
Nur, das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn, den Sprit den du nicht verfährst bleibt ja nicht ungenutzt, sondern wird eben von jemand anderem verfahren. Wenn das Erdöl zur Neige geht, hält niemand inne und sagt "Halt, das ist der Liter, den Anideos 2022 eingespart hat, den dürfen wir jetzt nicht mehr verheizen !". Und es ist auch nicht gesagt, dass jener Liter dann genauso umweltschonend wie in einem modernen Auto aus dem Jahre 2022 verheizt wird. Es kann ja auch ein altes Auto in Rumänien sein oder ein Tuk-Tuk in Indien - und das versaut die Umwelt mehr als dein Auto. Also kann deine Einsparung für die Umwelt durchaus nachteilig sein - wir wissen es nicht. Und doch tun die Ideologen so, als ob es eindeutig umweltschonend wäre, wenn der einzelne Deutsche hier und jetzt Sprit sparen würde.
Ich könnte weniger Fleisch essen, die Temperatur im Winter im Wohnzimmer und in der Küche reduzieren. Die Schlafräume und nicht genutzte Räume werden ohnehin nicht beheitzt.
Ich könnte viel mehr aufzählen, was keine Minderung meiner Lebensqualität und der meiner Frau bedeuten würde, aber etwas mehr Disziplin von uns beiden einfordern würde.
Ich gehe also erstmal von mir aus und versuche hochzurechnen.
Du rechnest hoch, nachdem du heruntergerechnet hast und dabei den Fehler begangen hast, den das Gefangenendilemma zu Tage führt.
Es gilt für alle Menschen in ihrer Gesamtheit:
Wenn alle Menschen umweltfreundlich handeln, wird der Klimawandel drastisch reduziert und alle profitieren.
Wenn alle Menschen nicht umweltfreundliche handeln, wird der Klimawandel dramatisch und alle leiden.
Das heißt aber nicht, dass diese Wahrheit auch für den Einzelnen gilt. Denn dort gilt eben NICHT, dass das Ziel erreicht wird, wenn der Einzelne umweltfreundlich handelt und auch NICHT, dass das Ziel nicht erreicht wird, wenn der Einzelne nicht umweltfreundlich handelt.
Ob das Ziel erreicht wird, hängt vielmehr davon ab, was die 8 Milliarden anderen Menschen machen, und nicht was man selbst macht.
Man selbst kann aber nur entscheiden, was man selbst tut - und nicht, was die anderen 8 Milliarden Menschen tun.
So kann man das Gefangendilemma mit der Klimawandelfrage entsprechenden Möglichkeiten formulieren:
1. man selbst übt Verzicht, die anderen aber nicht ---> dramatischer Klimawandel
2. man selbst übt Verzicht, die anderen auch ---> milder Klimawandel
3. man selbst übt keinen Verzicht, die anderen auch nicht ---> dramatischer Klimawandel
4. man selbst übt keinen Verzicht, die anderen aber schon ---> milder Klimawandel
Man sieht, der optimale Ausgang für den Einzelnen wäre bei 4. Man trägt selbst nichts bei, profitiert aber von der globalen Anstrengung.
Der worst case wäre bei 1. Man verzichtet, trägt also seine Kosten, hat aber trotzdem nichts davon.
Bei der Reihung der Präferenzen (meist erwünscht zuerst) ergibt sich 4,2,3,1. Also egal, was der Rest der Welt macht, man selbst
hat immer einen relativen Vorteil, wenn man selbst keinen Verzicht übt. Und siehe, da, die Menschheit handelt nach dieser Logik.
Es ist zwar nicht neu, dass der Mensch zu seinem Vorteil handelt, aber manche wollen es einfach nicht wahr haben und leugnen das trotz unzähligen Beweisen.