Waldboden
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Das Zitat lautet folgendermaßen: "Um alle Zeit einen sichern Kompaß, zur Orientierung im Leben, bei der Hand zu haben, und um dasselbe, ohne je irre zu werden, stets im richtigen Licht zu erblicken, ist nichts tauglicher, als dass man sich angewöhne, diese Welt zu betrachten als einen Ort der Buße, also gleichsam als eine Strafanstalt, a penal colony."Ich spreche in diesem Thread durchweg Schopenhauers Sprache, weil sie hier am besten reinpasst, da er die Welt wörtlich als Strafkolonie bezeichnet hat.
Ich finde dass es hier garnicht um eine Perspektive geht, sondern um eine Beschreibung von Tatsachen, denn wenn man mit offenen und aufmerksamen Augen durch die Welt geht, wird man an fast jeder Ecke irgendwas Schlimmes vorfinden.
Aber zurück zum Thema: Man macht es sich zu einfach damit eine Frage zu formulieren wie "Ist die Erde ein Strafgefangenlanger?" und diese dann, dem Zitat nach, mit Ja beantwortet. Es stimmt zwar schon, aber es stimmt auch nicht immer und vor allem nicht ausschließlich.
Erstens, sagt Schopenhauer mit dieser Aussage überhaupt nichts neues -- schon das Christentum und vedische Religionen lehrten dies seit Jahrtausenden -- zweitens, macht jeder einzelne von uns im Laufe des Lebens Erfahrungen, die einem zeigen, dass die Welt aus sehr viel Leid besteht und man selbst davon nicht ausgenommen ist - und drittens hinterlässt die alleinige Annahme die Welt nur als Strafgefangenlager anzusehen, eine sehr unangenehme Passivität, die überhaupt nicht zur Überwindung des Übels beiträgt.
Letzteres ist mir schon ein Dorn im Auge, denn Schopenhauer pflegte diesbezüglich nichtmal eine Beispielhaftigkeit - sein Leben war alles andere als asketisch und willensverneinend.
Die Verneinung des Willens zum Leben trägt bloß zur Formulierung einer Mitleidsethik bei, nicht aber zur Selbstüberwindung und zur Ausgestaltung freudvoller Ereignisse, die das Leben trotz vieler Leiderfahrungen immer noch lebenswert machen. Das wäre mit mehr Mühe, Mut und Einfallsreichtum verbunden. Nietzsche hat das richtig erkannt, denn eigentlich liegt es in unserer Aufgabe durch Kunst, Können, Wissen, Erhabenheit usw. etwas höheres aus dieser Welt -- aus uns zu machen und ihr zu hinterlassen - als die vielen Baustellen und Schwächen die wir in ihr vorfinden, beizubehalten.
Übrigens meinte auch ähnliches Schopenhauer, nur ging diese Ansicht bei ihm leider etwas unter oder kam zu kurz oder wurde durch Insistieren auf Willensverneinung verdeckt.
Nietzsche behauptete das Schopenhauer der "Wille zur Macht" abhanden gekommen ist und das eine kultivierte Triebgestaltung sehr essentiell ist, für ein gelungenes Leben, zur Erreichung eines höheren Geistes, zur Selbstüberwindung. Erst wenn der Mensch die Fähigkeit erlernt sich vom Trübsal der Welt zu erheben, sie mit den Mitteln der Freude, des Humors, lernt zu bekämpfen oder zumindest erträglicher zu machen - dann hat er das Leid der Welt auch tatsächlich überwunden und es wird ihm nichts anhaben können - der Schlüssel liegt also nicht in der Askese und in der Verneinung allein, sondern trotz widriger Umstände immer und immer wieder Ja zu sagen. Dafür sollte man einen Menschen bewundern, dass er den Mut hat sich selbst befreien zu wollen - so verstehe ich auch den Willen zur Macht als Selbstbestimmungsdrang, also im Bestreben sein eigener Herr zu werden - ein durchaus anarchistischer Ansatz.
Das interessante ist ja, das es mir vorkommt als hätte Schopenhauer Nietzsches Philosophie gelebt, aber eine andere Theorie dazu gelehrt. Es ist trotzdem sein großes Verdienst, denn er hat zumindest religiös, mystische Lehren in eine philosophisch-wissenschaftliche Sprache übersetzt.
Übrigens findet sich bei Nietzsche, eine ähnliche Philosophie wie bei Epikur, in der eine Philosophie der Freude und Lebensbejahung angestrebt wird. Man kann ja den Menschen die Lust am Leben nicht streitig machen. Das haben viele Religionen immer wieder versucht - mit welchem Erfolg? Das man lauter minderwertige Geschöpfe gestaltete, die sich für fast alles im Leben schuldig fühlen und opfern würden, aber dennoch im Hinterkammerl ihr Unwesen trieben.