AW: Heideggers "Wesen"
Hallo Jovis,
Weiß hier jemand ein wenig über Heidegger Bescheid?
Ein wenig schon.
Nun sagte neulich jemand etwas in einem Vortrag, was mich neugierig machte: Heidegger benutze die "falsche Sprache" - nicht in dem Sinne, dass er sich falsch ausdrücke, sondern dass er so sehr Neues gedacht habe, dass er dafür noch keine angemessenen Ausdrücke gefunden habe.
Ich würde nicht sagen, dass Heidegger die "falsche Sprache" benutzte, sondern eher, dass die Art und Weise, wie er die Sprache nutzte, ein nachhaltiges Problem darstellt.
Das Problem ist der Umstand - so meine Ansicht - dass man (bzw. ich) Heidegger gerade dort sprachlich nicht folgen kann, wo er zum eigentlichen Kern seiner Philosophie vorzudringen meint/scheint. Der ernsthaft an Denkinhalten anderer Menschen interessierte Heideggerleser (alle anderen brechen an solchen Stellen entweder ab, oder aber in schallendes Gelächter aus) wird mit einem Sprachduktus konfrontiert, der gerade in für gewöhnlich sinnlosen Satzkonstruktionen (Tautologien und Absurditäten) einen Zugangsweg zum Wesen der Dinge aufzeigen möchte.
Wenn es etwa heißt, dass "die Sprache spricht" oder "das Ding dingt", dann ist für Heidegger das Wesentliche bereits gesagt. Das Wesen des Dinges ist gerade der Umstand, dass das Ding uns - den Betrachter - anspricht, es geht uns eben durch sein Dingen an. Jenes Dingen können wir (die Sterblichen) nur dann erfassen, wenn wir uns vom Ge-stell (dem bloß rechnerischen, empirisch-wissenschaftlichen Welterfassen) zum Ge-viert (dem Erfassen der Zwischenspiele, der Dimensionen von Welt, resp. der vier Weltgegenden (Himmel, Erde, Sterbliche, Göttliche)) begeben. In diesem Ge-viert west sich alles gegenseitig an, ist sich zugleich nah und doch fern, alles schwingt und wirkt mit- und gegeneinander.
So heißt es etwa im 5. Freiburger Vortrag, "...Dass das Wesen der Sprache vor allem Sein und Denken [...] das in sich schwingende Spiel der Ortschaft ist, als welcher Bereich die Sage alle Dinge und Wesen einander überreicht und sie so für uns darreicht, dass wir sie allenthalben erreichen und verfehlen."
Das "in sich schwingende Spiel der Ortschaft", ein Teilsatz, der, so meine ich, ein Kernelement der Wesensvorstellung Heideggers ist. Konkret wird hier lediglich aufgezeigt, dass eben das Wesentliche nicht konkretisierbar, sondern im wesentlichsten Falle ein teilweiser Zugang möglich ist und zwar in dem Be-reich, der alle Wesen an-geht. Wer in jenen Be-reich, in jene Ortschaft der Welterfahrung - dort nämlich, wo die eigentlichen Dinge walten - nicht vorzustoßen vermag, der bleibt verfugt, schlimmstenfalls ins Ge-stell und zwar lebenslänglich.
Der letzte Satz ist leicht ironisch gemeint, ich will damit andeuten, dass sich über Heidegger die Gemüter drastisch teilen. Für die einen ist Heidegger ein Mensch, der dermaßen tief gedacht hat, dass der "Normalmensch" kaum oder garnicht in der Lage ist, die Genialität jenes Denkens nachzuvollziehen. In der Regel meinen solche vermeintlichen Heideggerversteher folgerichtig, dass all jene, die das nicht vermögen, eben gerade das Wesentliche nicht erkennen möchten oder können.
Andere - darunter auch angesehene Denker wie Popper, Adorno oder Carnap und viele mehr - sehen in Heidegger einen Sprachkünstler mit elitärem Anspruch, der es verstand, ansich hohle Phrasen semantisch aufzuladen, tatsächlich aber unverstehbar blieb.
Wie man an meinem Beitrag sicherlich erkennen konnte, bin ich Heidegger gegenüber eher kritisch eingestellt. Einerseits deshalb, weil mir die Weltsicht Heideggers nicht behagt, zu sehr sprechen hier Lebensängste, Selbstüberschätzung und Enge heraus. Da Heideggers Philosophie keinen Anspruch auf Logik oder Schlüssigkeit hegt und er selbst solche Kriterien ausdrücklich abwertet, kann man ihn auf diese Weise kaum sinnvoll angreifen; dass das viele Kritiker dennoch machen - beispielsweise der Logiker Carnap - tangiert einen Heideggerliebhaber verständlicherweise wenig.
Was mir auf jeden Fall fehlt ist die Offenheit für andere Meinungen, für Kritik und regen Diskurs. Durch Heideggers gesamtes Denken zieht sich - so meine Empfindung - eine von Ernst und Enge geprägte Grundstimmung und ein stets gleich wirkendes Wortgehabe. Das, was mir wichtig ist, kann unter der gestrengen Rute eines autoritären Überdenkers, der meint, er zeige in einem Satz gleich mehrere Wahrheiten auf, kaum zur Entfaltung kommen.
Nimmt man Heidegger aber nicht so ernst wie er sich selbst, dann kann das Lesen seiner Werke sogar Spaß machen und Denkanreize bieten. Hier spreche ich - wie im gesamten Beitrag - allein für mich.
Beste Grüße,
Philipp