@Ellemaus: Nun Heidegger hat sich ähnlich wie Husserl um strenge Wissenschaftlichkeit bemüht und
Sein und Zeit sollte eine strenge wissenschaftliche Abhandlung sein wie dies bei seinem philosophischem Vorbild Aristoteles der Fall. Aristoteles wird mehrfach in SuZ genannt, nicht nur in §29 dieses Werkes. Aber was in §29 besonders von Interesse ist, dass Heidegger hier auch mal die aristotelische
Rhetorik nennt und auf diese kurz Bezug nimmt. Ich gebe hier das für mich entscheidende Zitat wieder Heideggers (S.138):
"Es ist kein Zufall, daß die erste überlieferte systematische ausgeführte Interpretation der Affekte nicht im Rahmen der >Psychologie> abgehandelt ist. Aristoteles untersucht die pathé im zweiten Buch seiner
Rhetorik. Diese muß- entgegen der traditionellen Orientierung des Begriffes der Rhetorik an so etwas wie einem >Lehrfach> - als die erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des Miteinanderseins aufgefaßt werden. Die Öffentlichkeit als die Seinsart des Man hat nicht nur ihre Gestimmtheit , sie braucht Stimmung und>macht> sie für sich. In sie hinein und aus ihr heraus spricht der Redner. Er bedarf des Verständnisses der Möglichkeiten der Stimmung , um sie in der rechten Weise zu wecken und zu lecken. "
Hier gibt er eben Überlegungen wieder bezüglich der Rolle der Affekte für den sprechenden Menschen, dem sprechenden "Dasein" , um mit Heidegger zu sprechen (Heidegger spricht weniger vom Menschen, sondern mehr vom "Dasein" in SuZ, das Dasein ist aber im Grunde der Mensch). Der Redner ist dasjenige "Dasein", welche aus seiner "Stimmung", seiner "Befindlichkeit " spricht. D.h. der sprechende Mensch als Redner spricht nie ohne Emotionen , sondern ist emotional "gestimmt" und spricht so in das Publikum, was auch emotional gestimmt ist, hinein. Es ist quasi eine Wechselwirkung zwischen den Affekten des Redners und dem des Publikums. Wenn z.B. der Redner wütend ist über etwas, kann er seinen ganzen Wut-Affekt auf das Publikum übertragen und dieses ebenfalls in Wut bringen . Es gibt unzählige Beispiele in der Geschichte der Rhetorik, wo es einem Redner gelungen ist das Publikum/die Menge durch seine Affekte emotional aufzustacheln, es also in "Stimmung" zu bringen, um mit Heidegger zu reden. Aristoteles behandelt dies in seiner
Rhetorik und Heidegger drückt diesen Sachverhalt in einem neuerem philosophischen Vokabular aus.
"SuZ" ist keine leichte Lesekost, sondern muss immer wieder gelesen werden, um es nach und nach besser zu verstehen. Die strenge wissenschaftliche Terminologie die hier am Werke ist, erschwert es , dass Werk gleich auf anhieb zu verstehen. Es ist ähnlich wie Die Phänomenologie des Geistes von Hegel, auch sehr schwere Kost und auch nicht gleich beim ersten Mal zu verstehen. Ich selbe habe auch Zeit gebraucht, um ein Verständnis dieser beiden philosophischen Werke zu entwickeln, die durch ihre eigentümliche Begrifflichkeit auffallen. Mittlerweile verstehe ich SuZ aber besser als am Anfang, wo ich eben auch Verständnisschwierigkeiten hatte und wo ich auch von Heideggers Sprache nicht gerade begeistert war. Während Nietzsche beispielweise in der Hinsicht viel einfacher zu lesen war als Heidegger, und keine so strenge Terminologie besaß wie Heidegger (oder Hegel). Ich kann verstehen , dass deine "Stimmung" bei der Lektüre dieses Werkes nicht unbedingt die Beste ist. Diese Terminologie kann nämlich sehr abschreckend sein, für den oder diejenigen, die damit erstmals in Berührung kommen und strenge Wissenschaftlichkeit nicht gewohnt. Aber ich würde dem gern hinzufügen, dass auch Husserl der Philosophie als "strenge Wissenschaft" betreiben wollte und der Kollege/Lehrer von Heidegger war , auch nicht gerade eine einfache Sprache hat.
Es gibt also Philosophen, die leichter zu lesen und es gibt eben Philosophen die eine schwierigere Sprache habe, welche manche Leser gleich abschrecken kann wie bei Hegel oder Heidegger. Man braucht eben Zeit um sich in diese Terminologie eingearbeitet zu haben und diese zu verstehen. Wenn man diese besser versteht (nach mehrmaligen Lesen und mit Hilfe von Sekundärliteratur), kann man aber Heidegger oder Hegel besser inhaltlich folgen wie ich finde. Das ist jedenfalls meine persönliche Erfahrung mit Heidegger (oder Hegel usw.). Ich weiß nicht, ob ich dir damit bei deinem Verstehen/Lesen von Heidegger weiterhelfen konnte, aber ich habe dir meine Erfahrung mal geschildert. Mittlerweile ist meine "Stimmung" eher neutral bis sachlich bei der Heigegger-Lektüre und nicht (mehr) affektgeladen. Ich selbst sehe mich aber nicht als Heideggerianer und bin eher kritisch in einigen Punkten ihm gegenüber. Dennoch ist seine Interpretation der antiken Philosophie für mich fruchtbar und nach wie vor lesenswert. Konnte ich dir damit vielleicht etwas weiterhelfen? Ich kann nur sagen, dass ich deine Reaktion bezüglich Heidegger teilweise nachvollziehen kann . Für mich ist er aber ein bedeutender (deutscher) Philosoph des 20. Jahrhunderts.