In
#364 habe ich nicht nur zwei Klassen von Existenz eingeführt, sondern vier, und es stellt sich nun die Frage, unter welche Klasse Begriffe subsumiert werden können. Es dürfte weitgehend unstrittig sein, dass Begriffe keine physischen Gegenstände sind.
Manche würden es behaupten, aber okay, streichen wir die.
Aber sind sie als formale, fiktive oder psychische Gegenstände zu betrachten? Oder sind Begriffe, ideale Gegenstände, Ideen, eine eigene Kategorie zeitloser Gegenständen neben den vier anderen?
Der Universalienstreit ist noch nicht entschieden, vielleicht unentscheidbar.
Ich halte ja die Psyche für grundlegend. Alles, worüber wir uns austauschen ist ja ein psychisches Erleben, ob der Inhalt eine Dampflok, eine Primzahl oder Pegasus ist. In dem Sinne sind das alles psychische Gegenstände. Ein Gefühl ist nicht psychischer als ein Gedanke und auch ein Begriff taucht ja in unserer Psyche auf, sozusagen als bedeutsames Geräusch oder eben auch die Anschauung.
„Die Wörter bilden ein eigenes und weitgehend unabhängiges Reich innerhalb der Welt – nicht nur in dem Sinne, dass die nichtsprachlichen Tatsachen im wesentlichen dieselben sein könnten, auch wenn die spezifisch sprachlichen Tatsachen (als eine Klasse der Tatsachen über die Welt) ganz anders wären, sondern auch in dem Sinne, dass die Wörter (Geräusche, Zeichen usw.) im wesentlichen so sein könnten, wie sie sind, auch wenn die nichtsprachlichen Tatsachen ganz anders sind. Aber unsere diskursiven Praktiken, wie sie hier aufgefasst werden, sind von der übrigen Welt nicht in dieser Weise isoliert. Die nichtsprachlichen Tatsachen könnten im wesentlichen so sein, wie sie sind, auch wenn unsere diskursiven Praktiken ganz andere wären (oder es keine gäbe), denn welche Behauptungen wahr sind, hängt nicht davon ab, ob sie jemand aufstellt. Doch unsere sprachlichen Praktiken könnten nicht so sein, wie sie sind, wenn die nichtsprachlichen Tatsachen anders wären.
Denn diese Praktiken sind keine Dinge, wie Wörter als Geräusche oder Zeichen, die unabhängig von ihren Gegenständen und den von ihnen ausgedrückten Tatsachen spezifizierbar wären. Zu den diskursiven Praktiken gehört wesentlich ein Austausch mit den Gegenständen der Welt beim Wahrnehmen und Handeln. Zu den in diesen Praktiken implizit enthaltenen begrifflichen Richtigkeiten gehören empirische und praktische Dimensionen. Alle unsere Begriffe sind das, was sie sind, zum Teil wegen ihrer inferentiellen Verknüpfungen mit solchen, die nichtinferentielle Umstände und Folgen der Verwendung haben – also, mit Begriffen, deren richtiger Gebrauch nicht unabhängig von der Berücksichtigung der Tatsachen und Gegenstände spezifizierbar ist, von denen sie responsiv hervorgebracht werden oder die sie durch ihre Anwendung hervorbringen. Die normative Struktur der Autorität und Verantwortung, die Beurteilungen und Zuweisungen der Verlässlichkeit beim Wahrnehmen und Handeln aufweisen, ist kausal bedingt.“
(Robert Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. Suhrkamp 2000, S.474)
Weitgehend unabhängig wohl auch, weil ja die Begriffe irgendwie auch - ähnlich wie die Zahlen - ihre eigene Welt aufspannen, wie etwa Klangmuster oder Ähnliches, wobei nicht klar ist, inwieweit dies alles nur erfunden ist. Dunkle Vokale sind auch sprachlich oft mit dunklen Stimmungen assoziiert: Zufall, Psychosomatik, biologisches Erbe?
Vielleicht ist die Psyche die Basis, aber Begriffe sind sicher konstituierend für ein neues Stockwerk der Psyche. Wir können uns von unseren Affekten distanzieren, oft ist nicht klar, wie bedeutungsvoll dieser Schritt ist. Dann kommt irgendwann die Reflexion, in der wir unsere Gedanken drehen und wenden. (Und die Meditation distanziert sich m.E. auf eine nochmalige Abstraktionsebene.)
Man könnte sagen, dass Neuronen die Basis für die Psyche sind, aber letztlich sind es ja Theorien über Neuronen, von denen wir hier reden, auf der Basis von Begriffen. Was wir über Neuronen und ihr Verhalten wissen, findet auf der Grundlage des sprachlichen Austauschs statt, es ist aber nicht so, dass die eine Neurosprache für die gesprochene Sprache zur Verfügung hätten, die Begriffe sind also breiter angelegt und Neurotheorien über die Sprachentstehung sind sehr unscharf. Hier liegt also eine Asymmetrie vor.
Auch die Psyche ist vermutlich entstanden und der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Betrachtung ist immer der Punkt davor auf dem Zeitstrahl, aber der der Philosophie ist immer das denkende Ich (also eine entfaltete Psyche).
Wir können und müssen wohl logisch schließen, dass es Umwelt(en um uns) gibt und etwas zeitlich vor uns gab, aber eine Wahrheit scheint doch zu sein und zu bleiben, dass all unsere diskursiven Praktiken das sind, in dem wir uns bewegen und begegnen. Inklusive einer basalen Wahrnehmung, die - so argumentiert Brandom (und er sagt, dass Hegel es bereits tut) gegen Kant -, den Gegensatz zwischen Anschauung und Begriff hinfällig werden lässt.
Philosophisch scheint die Psyche basal zu sein, aber der zeitliche Anfang ist nicht der logische (falls dieser wirklich dort liegt).