von Hans-Werner Deppe
Auszug aus dem Buch "Marias Botschaft an die Welt"
Die Legendenbildung um Maria geht dagegen hauptsächlich auf das apokryphe „Protevangelium des Jakobus“ zurück - eine Fälschung aus der Mitte des 2. Jahrhunderts -, das die Namen der Eltern Marias mit Anna und Joachim angibt und von ihrer „Jungfräulichkeit während der Geburt“ spricht. Über Tod oder Grab Marias war in der Frühzeit der Christenheit nichts bekannt, wie ein antiker Schreiber es beklagt - geschweige denn über eine etwaige Himmelfahrt von ihr. Die heute gängige Vorstellung, Maria habe zuletzt in Ephesus gelebt und sei dort verschieden, entspringt in erster Linie den Visionen von zwei Frauen aus dem 19. Jh. (!), Rosalie Put und Anna Katharina Emmerick.
Im 3. und vor allem 4. Jahrhundert beginnt in den verfolgungsfreien Zeiten in der Kirche allmählich eine gewisse Verehrung der Märtyrer und auch Marias aufzukeimen, insbesondere in der esoterisch beeinflussten Ostkirche. Origenes, ein früher, aber äußerst umstrittener Theologe, hatte Maria in einer seiner Schriften als theotokos, Gottesgebärerin, bezeichnet, was von einigen Christen enthusiastisch aufgegriffen wurde. Doch ansonsten sind Aussagen über Maria in den theologischen Schriften dieser Zeit immer noch äußerst dürftig. Auch gegen Ende des 4. / Anfang des 5. Jhs. gab es noch keine Marienfeste, offiziell keine an Maria gerichteten Gebete oder Lieder und keine Dogmen über ihre möglicherweise erhabene Stellung. Aber nach der letzten Beendigung der Christenverfolgung (313 n.Chr.) und der Erhebung des Christentums zur römischen Staatsreligion (391 n.Chr.) hatte sich unter der breiten Masse der wachsenden Kirche ein starker Wunsch nach der Verehrung Marias breit gemacht, da die zum Christentum konvertierten Heiden gewohnt waren, weiblichen Göttergestalten zu huldigen. Einige Theologen, wie z.B. Ambrosius, Hieronymus und Augustinus widmeten sich ihr ausführlicher und beschreiben sie als „immerwährende Jungfrau“. Allerdings üben sie noch eine gewisse Zurückhaltung in der Bezeichnung Marias als „Gottesmutter“, weil sie sich um die Gefahr der Verwechslung oder Gleichsetzung Marias mit der Magna Mater, der Großen Muttergöttin der verschiedenen Heidenkulte bewusst sind. Denn, so schreibt ein bekannter Kirchenhistoriker, „mit der Marienverehrung drang ein Ersatz für die überwundene Verehrung der antiken Muttergottheiten in das Christentum ein“.