AW: Freier Wille oder nicht?
Zitat von Benjamin
Bei mir ist es ganz anders! Ich möchte ja an den Freien Willen glauben. Oder sagen wir so: Mein Bauch glaubt ja auch daran. Aber mein Kopf sagt immer wieder, dass so etwas nicht möglich ist.
Lieber wäre mir, ich würde eine Erklärung finden, wie denn dieser Freie Wille aussehen soll. Dann könnt ich auch mit meinem Kopf voll zu stimmen. Aber ich finde keine. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr verhärtet sich meine Ansicht, dass es keinen Freien Willen geben kann.
Ach, auf einer pragmatischen Ebene ist das gar nicht so schwer zu definieren, finde ich: ein Mensch ist in dem Maße frei, in dem es ihm gelingt, sich von biologischen, sozialen, ökonomischen und anderen Determinationen zu emanzipieren. Ein paar Beispiele:
Wenn ich genetisch zum Dicksein determiniert bin, weil meine Verwandten großteils dick sind und ich ein dickes Kind bin, "erlaubt" mir mein freier Wille, durch den Besuch eines Fitnessstudios und eine gesunde Ernährung (etc) weniger dick als all meine Vorfahren, womöglich sogar gar nicht dick zu sein;
wenn ich als Kind geschlagen wurde und somit stark determiniert bin, ebenfalls ein gewalttätiger Mensch zu werden, "erlaubt" mir mein freier Wille, durch welche Psychotherapie auch immer (o.ä.) gegen diesen Drang zur Gewalttätigkeit anzukämpfen;
wenn ich in ein bildungsfeindliches Milieu hineingeboren wurde und somit determiniert bin, bestimmte Berufe nicht ergreifen zu können, "erlaubt" es mein freier Wille, durch den Zweiten Bildungsweg eben doch meine Chancen auf einen sogenannten sozialen Aufstieg zu verbessern;
wenn ich durch den Konsum von großen Flüssigkeitsmengen determiniert bin, häufig urinieren zu müssen, "erlaubt" mir mein freier Wille, anstatt einfach an Ort und Stelle, zum Beispiel zwischen zwei geparkten Autos, mein Geschäft zu verrichten, mich entweder zusammenzureißen oder durch einen Umweg eine öffentliche Toilette zu finden.
Natürlich sind wir Menschen manchmal gänzlich unfrei, z.B. um das letzte Beispiel aufzugreifen, durch Inkontinenz - wir haben also oft, wie man so sagt, keine Wahl. Auch bei den anderen genannten Beispielen kann die Determiniertheit sicherlich so stark sein, dass es nahezu unmöglich ist, dem von außen (oder innen) vorgegebenen Druck standzuhalten.
Ich frage mich bei deinen (für mich durchaus interessanten) Ausführungen übrigens, inwieweit sich da nicht zwangsläufig Nihilismus/Faschismus oder Metaphysik durch die Hintertür einschleichen. Denn wenn ich (zunächst unter Ausschluss jeder Metaphysik) davon ausgehe, dass alles, was auf Erden geschieht, auf der Basis einer begrenzten Menge von Materie geschieht, die zudem strengen Naturgesetzen wie der Gravitation oder der Lungenatmung von Säugetieren unterliegt, dann können wir uns all DIESEN "Vorgaben" der Natur selbstverständlich NIE entziehen - folgt daraus also ein biologistisches Weltbild? Und im kosmischen Zusammenhang ist die Frage nach einem sogenannten freien Willen sowieso lächerlich, weil die paar tausend Jahre, die unserer Spezies auf diesem Planeten geschenkt sind (ohne jetzt zu negativ klingen zu wollen), im Kontext der Entstehung und Vernichtung ganzer Galaxien völlig irrelevant sind. Oder, um nun die extreme Gegenposition einzunehmen, wir sind nun mal, dank "intelligent design", das Beste, was der ganze Kosmos weit und breit hervorgebracht hat, und sollten da ganz ganz stolz drauf sein. Auch wenn diese beiden Interpretationen (von dir) nicht intendiert sind, drängen sie sich vielen Menschen wohl zwangsläufig auf (wie man vielen Beiträgen im "Denkforum" ja entnehmen kann)...