I
Die Aussagen der Männer über die Weiblichkeit leiden an dem Nachteil, daß sie nur eine Kenntnis aus zweiter Hand zur Grundlage haben und keine Unterstützung durch die Selbstbeobachtung erfahren. Frauen von überlegener Urteilskraft können aus ihrer eigenen Psyche Tatsachenmaterial schöpfen, sie können sich selbst als Vergleich, als Beweis, als Bürgschaft benützen. Dieses subjektive Verfahren verleiht ihren Aussagen besonderes Gewicht. Wie »das Weib« sich im Bewußtsein solcher Frauen spiegelt, ist als Beitrag zur Psychologie des Weibes auf alle Fälle maßgebend. Freilich nur theoretisch genommen. Einen praktischen Wert, etwa als Richtschnur und Erziehungskanon, haben diese Aussagen schon deshalb nicht, weil die Vertreterinnen der spezifischen Weiblichkeit unter sich nicht einig sind, was man eigentlich darunter zu verstehen hat.
Versucht man die Anschauungen zweier hervorragender und feiner Beobachterinnen, wie Lou Andreas-Salomé und Laura Marholm in diesem Punkte zu vergleichen, so wird man auf völlig entgegengesetzte Eigenheiten als Grundwesen des Weibes stoßen, obwohl beide bei ihrer Auffassung der weiblichen Psyche von physiologischen Voraussetzungen, also von scheinbar zuverlässigen und untrüglichen Grundlagen ausgehen.
Während Laura Marholm einer sehr verbreiteten Auffassung folgend, das Weib als ein Wesen darstellt, das in sich kein Zentrum, keinen eigenen Inhalt hat, das nicht für sich bestehen kann, faßt Lou Andreas-Salomé das Weib auf, in dessen ursprünglichem Sein schon Selbstgenügsamkeit und Selbstherrlichkeit enthalten sind, und das im Vergleich zum männlichen Wesen »wie ein Stück uralter, im ältesten Sinn vornehmster Aristokratie auf eigenem Schloß und Heimatsbesitz« erscheint. Das Marholmsche Weib hat seinen Schwerpunkt nicht in sich, es ist mit seiner ganzen geistigen Existenz auf den Mann angewiesen: »Des Weibes Inhalt ist der Mann«. Noch mehr: es empfängt außer seinem Inhalt auch seine Form von ihm: »Das, was das Weib über sich geschrieben liest, ist Richtschnur für das Weib, zu werden, wie der Mann es sich denkt. Es ist des Weibes Natur, sich in eine Form zu prägen und nach einer Form zu verlangen, in die es sich prägen kann«.
Das Salomésche Weib, Repräsentantin einer gleichfalls sehr verbreiteten Auffassung, will hingegen »mit allen möglichen geistigen Entwicklungsbestrebungen im Grunde nur sich selbst zu breiterer, reicherer Seinsentfaltung bringen«; es besitzt »jene Sattheit der schöpferischen Wiederholung von sich selbst, des Zusammenhaltens aller Kräfte innerhalb der eigenen Produktion, wie es für alles Weibliche charakteristisch ist«; es bildet eine Welt für sich, gemäß der Eigenart der weiblichen Eizelle, die »einen Kreis um sich geschlossen hält, über den sie nicht hinausgreift. Aber eben deshalb liegt auch im Weiblichen schon so elementar und primitiv angedeutet die intaktere Harmonie, die sichere Rundung, die in sich ruhende vorläufige Vollendung und Lückenlosigkeit«.
Durch die Abhängigkeit und Unselbständigkeit, die mit dem Empfangen von außen zusammenhängt, wird das Marholmsche Weib charakterisiert; es kann daher auch »mit der Konvenienz nicht brechen, denn diese ist seine einzige Stütze«. Und die Konvenienz ist nicht bloß außer ihm, sie ist auch in ihm. Sie ist zugleich »seine intimste weibliche Scham, sie ist die Richtschnur seines Empfindens«. Das Salomésche Weib aber »hat eine viel tiefer verborgene Verachtung vor dem traditionell Geltenden als der Mann ... Nicht das weiblichste Weib ist es, das am meisten des Hauses, der Sitte, des festgezogenen Kreises bedarf, um sich als Weib zu fühlen, vielmehr ist es sein schöpferisches Vermögen, all dieses aus sich selbst aufzurichten. So paradox es klingt, so kann man doch sagen: das Haus, die Sitte, die Schranke müssen viel mehr für den Mann da sein«. Bloß der Umstand, daß über dem Weibe so viele äußerliche Nötigungen regieren, erzeugt den Anschein des Gegenteils. Und ausdrücklich verwahrt sich Lou Andreas-Salomé gegen das verbreitete Mißverständnis, die beiden Geschlechter als bloße Hälften aufzufassen, wie »es in der populären Redewendung vom Weiblichen als dem passiv empfangenden Gefäß und dem männlichen als dem aktiv schöpferischen Inhalt« geschieht.