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Frankreich: Kopftuchverbot - was haltet ihr davon?

Ja, Gysi, stimmt schon, ich bin ein Weichspüler :autsch: ;)
Ich habe aber manchmal das Gefühl, dass uns alle so viel nicht trennt - ich meine, wir sind doch auf die ein oder andere Weise Liberale, oder? Wir sind alle mehr oder weniger Demokraten, oder? Mindestens drei von uns haben etwas gegen Religionen, wir lassen doch aber Toleranz walten, mindestens im Sinne des Grundgesetzes, oder?

Es gibt jetzt übrigens ein neues Urteil, dass bestätigt, dass das baden-württembergische Gesetz grundrechtskonform sei. Das hat allerdings einen Hasenfuß, denn das Gesetz gewährt sozusagen ein Ausnahmerecht für Nonnentrachtträgerinnen - für die man sicher ähnliches sagen könnte wie über Kopftuchträgerinnen. Mir haben als Kind diese Nonnen ziemlich Angst gemacht, sie wirkten streng, muffig und finster. Hätte ich bestimmt damals nicht als Lehrerin gewollt; von der Stimmung in bayrischen Klassenzimmern will ich gar nicht reden. Ist es nicht einfach ein generell guter Weg, wenn das Schulzimmer ein Dogmen- und symbolfreier Raum ist, der im wahrsten Sinne des Wortes hell, offen und auch im weitesten Sinne sinnlich ist?
 
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Hallo Robin !

Ich bin ein relativ Neuer im Forum, 55, single, hetero, in Wien lebend !

Eine Frage zu Deinem

...
von der Stimmung in bayrischen Klassenzimmern will ich gar nicht reden. Ist es nicht einfach ein generell guter Weg, wenn das Schulzimmer ein Dogmen- und symbolfreier Raum ist, der im wahrsten Sinne des Wortes hell, offen und auch im weitesten Sinne sinnlich ist ?

Habt Ihr denn in Bayern Religion als Pflichtfach ? Bei uns in Österreich gab es das schon in 1950-er Jahren nicht mehr. Wer ohne religiöses Bekenntnis war, war eben ohne religiöses Bekenntnis, musste am Religionsunterricht nicht teilnehmen und ich kann mich gar nicht erinnern, dass einer von Ihnen vom Rest der Klasse gehänselt wurde.

Meine Meinung über das Kopftuchverbot in Frankreich habe ich an anderer Stelle schon deponiert. Kurz:
Ich finde es kindisch, intolerant, hypersensibel und unnötig (richtig überzeugt werden wohl die Franzosen selbst auch nicht sein, sonst hätten sie es nicht auf ein Jahr befristet).

Deiner Philosophie, dass die meisten von uns zumindest liberal und tolerant sein wollen, stimme ich zu. Es ist leider nur so, dass sich das Können zum Wollen nicht immer dazugesellt. Ich sehe mich im Augenblick politisch links der Mitte - also sozial-liberal - und fühle mich in recht guter Gesellschaft.
 
Hallo Gysi !

Dein

Was wollen wir: Erkenntnis oder Religion?

Bist Du mir böse, wenn ich von beidem etwas will ?

Ich glaube, dass sich die meisten Menschen mit beidem auseinandersetzen. Der eine studiert alles und liest Dutzende Bücher über jedes Thema und muss irgendwann - wie Faust in Goethe - erkennen, dass er nicht alles wissen (im Sinne von sinnlicher Wahrnehmung, wie es wohl meistens definiert wird) kann und sagt dann irgendwann: "Weiß Gott" oder von mir aus auch "Weiß der Teufel". In solchen Augenblicken ist doch wochl auch der sinnlichste Naturwissenschaftler ein bisschen religiös, isn't he ?

Der andere wieder ist ein tief gläubiger Mensch (z.B. durch elterliche Erziehung, viel Umgang mit Klerus in der eigenen Jugend etc.) und sehnt sich danach - da er als gläubiger Mensch natürlich früher oder später auch zweifelt, egal woran er glaubt - dass er doch eine "sinnliche" Bestätigung seines Glaubens bekommt, eben sinnlich in Form von Hören, Sehen, Riechen und/oder fühlen.

Das ganze soll nicht heißen, dass ich generell gegen Entscheidungsstärke bin.
 
Robin schrieb:
Mir haben als Kind diese Nonnen ziemlich Angst gemacht, sie wirkten streng, muffig und finster. Hätte ich bestimmt damals nicht als Lehrerin gewollt; von der Stimmung in bayrischen Klassenzimmern will ich gar nicht reden. Ist es nicht einfach ein generell guter Weg, wenn das Schulzimmer ein Dogmen- und symbolfreier Raum ist, der im wahrsten Sinne des Wortes hell, offen und auch im weitesten Sinne sinnlich ist?
Ein sehr gutes Argument! Aus der kinderpschologischen Perspektive sollten wir das alle mal betrachten!

Toleranz: Ich bin Religionen gegenüber ziemilich intolerant. Religionen sind der Boden unserer Kultur(en). Und Religionen sind nach meiner Überzeugung nicht wahrhaftig. Und das Dogmensystem passt nicht in unsere wissensbejahende Welt. Darum bin ich generell gegen Religion. Die Leute sollen an Gott glauben, wenn sie wollen, ich bin natürlich nicht für das atheistische Diktat! Aber man muss den Kindern beibringen, dass der Glaube nicht mit Überzeugung, sondern mit Zweifel gepaart ist. Und die Hölle für Nichtgläubige muss aus der Bibel rausgeschmissen werden! Noch im 4. Jahrhundert fummelten die Leute mit Neukanonisierungen an der Bibel herum. Warum geht das nicht heute, nachdem die Welt und das Wissen von ihr sich so einschneidend verändert haben?
Der Rachegott der Offenbarung sollte in den Schulen nicht gelehrt werden dürfen! Es sollten sowieso keine Geschichten mit zweifelhaftem Wahrheitsgehalt als absolut wahr - mit dem Segen eines eigentlich laizistischen Staates! - an unsere Kinder angebracht werden! Mit der Höllenandrohung für Nichtgläubige ist das nicht weniger als geistige Vergewaltigung! Ich bin also gegen christlichen Religionsunterricht.
Nun hat der Koran in Sachen religionsdogmatisierter Rachegelüste noch einen Zacken dazu gelegt: Da schwingt nicht nur ein Rachegott sein endzeitliches Flammenschwert, da wird der Gläubige höchst persönlich zu Gewalttaten im Namen Allahs aufgerufen. Das muss diskutiert werden!

Gysi
 
Zeilinger schrieb:
Bist Du mir böse, wenn ich von beidem etwas will ?
Wollen kannst du immer beides. Aber Erkenntnis verdrängt Religion. "Gott" ist eine Phantasiefigur, die nur im Nebel der Unkenntnis existiert. :)

Gysi
 
November- oder Bühnennebel?

Erstaunlich, welche Nebeltöpfe mavaho auf die religiöse Bühne stellt, und dann auch noch auf mich zeigt und "Haltet den Dieb" schreit:
Dennoch vorerst der englisch "autorisierte" Text der Al-Azhar Universität:

004.013 Those are limits set by Allah: those who obey Allah and His Messenger will be admitted to Gardens with rivers flowing beneath, to abide therein (for ever) and that will be the supreme achievement.
04.014 But those who disobey Allah and His Messenger and transgress His limits will be admitted to a Fire, to abide therein: And they shall have a humiliating punishment.
004.015 If any of your women are guilty of lewdness, Take the evidence of four (Reliable) witnesses from amongst you against them; and if they testify, confine them to houses until death do claim them, or Allah ordain for them some (other) way.
004.016 If two men among you are guilty of lewdness, punish them both. If they repent and amend, Leave them alone; for Allah is Oft-returning, Most Merciful.
004.017 Allah accept the repentance of those who do evil in ignorance and repent soon afterwards; to them will Allah turn in mercy: For Allah is full of knowledge and wisdom.
Al-Qur'an, 004.013-017 (An-Nisa [Women])

Text Copied from DivineIslam's Qur'an Viewer software v2.8. - und nun der von der selben Universität authorisierte deutsche Text, der aber lautet::

004.013 Das sind die Gebote und Verbote Gottes. Diejenigen, die Gott und seinem Geasandten gehorchen, belohnt Gott mit Paradiesgärten, unterhalb derer Flüsse fließen. darin verweilen sie ewig. Das ist gewiss das höchste Glück.
004.014 Wer sich Gott und seinem Gesandten widersetzt, den führt Gott in das Höllenfeuer, in dem er ewig bleiben wird. Ihn erwartet eine schmähliche, qualvolle Strafe.
004.015 Begehen unverheiratete Frauen eine schändliche Tat, so müsst ihr sie nach Beweisführung durch 4 Zeugen so lange in ihren Häusern behalten, bis sie sterben oder Gott ihnen einen weg ins gute Leben eröffnet (indem sie Reue zeigen und heiraten).
004.016 Wenn ein unverheirateter Mann und eine unverheiratete Frau eine schändliche Tat begangen haben, dann bestraft sie (nach der Beweisführung von vier Zeugen). Wenn sie nach der Strafe bereuen, dann lasst ab von ihnen! Gott ist unendlich verzeihend und barmherzig.
004.017 Gewiss nimmt Gott die Reue derer an, die durch Unwissenheit oder aus Leichtsinn böse Taten begehen, sich jedoch beeilen, bevor der Tod sie abberuft, ihre Taten bereuen. Gott nimmt ihre Reue an, weiß er doch alles, und ist er doch der Weise schlechthin.

Es steht hier also nirgendwo etwas, woraus man ableiten könnte, dass diese Frauen zu töten wären, wie mavaho es so gerne glauben machen möchte. Aber vielleicht verwechselt er das mit der doch so viel menschenfreundlicheren Bibel, wo diese dann zu steinigen gewesen wären, oder an die katholische Ehe, "bis dass der Tod sie scheide" und der daraus folgenden "Scheidung auf Italienisch."

Jetzt ist aber der Koran nicht anders als die Bibel und wird von der überwiegenden Mehrheit der Muslime auch nicht anders gesehen. Besonders verwunderlich, ist mavahos Getue auch insoferne, wo der arabische Ausdruck des inkriminierten Tatbestandes eigentlich sehr genau unserem Begriff der "Unzucht" in allen seinen Facetten entspricht. Da aber haben sich die abendländischen Demokratien noch lange nicht geeinigt, wie sie dagegen vorgehen oder doch nicht vorgehen wollen! Nicht einmal die einfachen homoerotischen Beziehungen sind einstweilen "allgemein" gelöst, ich denke nur an die unmenschliche und absolut betont religiöse Sicht unserer derzeitigen österreichischen Regierung. Wie sagte einst mein Onkel selig: "Man zeigt nicht mit nackertem Finger auf angezogene Leut!"

diethelm, alias Averoes.
P.S.: Diese beiden Koranübersetzungen http://www.divineislam.com können von jedem, der sich für die Quellen (und somit Wahrheit) interessiert, vom Netz herunter geladen werden und somit kann jeder jede Aussage auf ihren Zusammenhang und ihre Wahrheit überprüfen. abgesehen davon, ich habe Jahre lang als Dolmetscher und Übersetzer (Französisch - Deutsch, Englisch passiv) gearbeitet und weiß um die Problematik von Übersetzungen. Ich habe auch mit Arabisten in Wien diskutiert, sie würden der englischen Übersetzung den Vorzug geben. Englisch hat in der Al-Azhar Universität auch eine weitaus längere und fundiertere Tradition als Deutsch. Wie holprig das Deutsch ist, davon kann sich ja jeder selber ein Bild machen. - Aber, wenn man jemanden "töten" will, ist es ziemlich egal, wie schlecht/falsch die Übersetzung ist, so sie es nur erlaubt!
 
angemessen?

Wir haben in Frankreich und auf der österreichisch - deutschen Seite relativ unterschiedliche Situationen. Frankreich ist, wie Jérôme schon versucht hat klar zu machen, verfassungsrechtlich ein absolut laizistischer Staat (übrigens ähnlich wie die Türkei!), der einzig die Freiheit seiner Bürger gewährleisten will. Religionsfreiheit ist dadurch in die absolute Privatsphäre verdrängt, sodass im "öffentlich - rechtlichen" Raum jedes demonstrativ religiöse Symbol absolut nichts verloren hat. Dieser französischen Verfassung hat, solange sie gültig ist, jeder Franzose und jeder Ausländer, der sich in Frankreich aufhält, selbstverständlich Rechnung zu tragen.
Nun, so primitiv einfach waren und sind die Dinge leider nicht, und ich kenne Frankreich wirklich. Natürlich gab es in den Klassenräumen keine religiösen Symbole an den Wänden! Aber hat es sich sehr wohl eingeschlichen, dass christliche LehrerInnen wie SchülerInnen in diesen öffentlich - rechtlichen Räumen ihre Kreuzerln um den Hals trugen und sie wurden und blieben nicht immer schamhaft unterm Hemd versteckt. So ein "Kreuzerl" kennen halt die Musliminnen nicht, leider, denn da wäre es ganz einfach, man könnte es ebenso "übersehen" ähnlich wie bei den französischen ChristInnen zuvor. Nur, die französischen KatholikInnen sind genau so kämpferisch, wie die bayrischen, oder eben wie die fundamentalistischen Muslime. Die französische Regierung hat die verfassungsmäßig einzig richtige Entscheidung getroffen, die Frage ist nur, wie sie diese im Sinne eines "gleichen Rechtes für alle" auch durchsetzen kann, denn sie trifft nicht nur Muslime, auch Christen! Ich verstehe das "Bauchweh" der französischen Regierung sehr wohl und fürchte, dass ein eventuelles Scheitern nicht unbedingt an den Muslimen liegen wird.
Deutschland und Österreich garantieren verfassungsmäßig die freie Religionsausübung im gesamten Lebensraum. Da ist die Situation doch ein wenig anders. Da ist das Tragen eines individuell religiösen Symbols im öffentlich - rechtlichen Raum sehr wohl erlaubt, solange der Träger nicht eine staatliche Funktion ausübt. Die Konsequenz: jede Privatperson darf tragen, was es will, solange es damit niemanden gefährdet, der Repräsentant des Staates hat sich religiös "neutral" zu verhalten! Auch hier ist die Rechtsprechung verfassungsmäßig völlig eindeutig und klar und richtig, aber auch hier liegt das Problem aus rein rechtlicher Sicht wieder weniger an den Muslimen, sondern an den Christen und besonders an den bayrischen Katholiken, die nicht im Traum daran denken, trotz Verfassungsgerichtsentscheid, die Kreuze aus den öffentlich-rechtlichen Räumen konsequent zu entfernen. Ich bezweifle da die "Neutralität" der Schulen, nicht in Bezug auf das Grundgesetz, sondern in Bezug auf dessen konsequente Einhaltung!

lg, diethelm
 
>Gisbert Zalich

Dein

Nun hat der Koran in Sachen religionsdogmatisierter Rachegelüste noch einen Zacken dazu gelegt: Da schwingt nicht nur ein Rachegott sein endzeitliches Flammenschwert, da wird der Gläubige höchst persönlich zu Gewalttaten im Namen Allahs aufgerufen. Das muss diskutiert werden !

Das sollte auch bekämpft werden, nicht nur diskutiert ! Es wird aber nicht gehen, in dem man Frauen das Kopftuchtragen verbietet, höchstens dadurch, dass man die - tatsächlichen und potentiellen - Selbstmordattentäter davon überzeugt, dass sie durch ein Selbstmordatttentat einen Scheißdreck in den Himmel kommen, sondern sicher in die Hölle.
 
Zeilinger schrieb:
Das sollte auch bekämpft werden, nicht nur diskutiert ! Es wird aber nicht gehen, in dem man Frauen das Kopftuchtragen verbietet, höchstens dadurch, dass man die - tatsächlichen und potentiellen - Selbstmordattentäter davon überzeugt, dass sie durch ein Selbstmordatttentat einen Scheißdreck in den Himmel kommen, sondern sicher in die Hölle.
Ja, das stimmt! Diskussionen - Argumente - sind aber die entscheidenden Kampfinstrumente, oder nicht?
Was das Kopftuchtragen betrifft: Man muss unterscheiden zwischen Beamten, die unseren laizistischen Staat repräsentieren (auch Lehrer) und eine entsprechende Vorbildfunktion haben - und den "Privaten". Private sollten tun und lassen können, was sie wollen. Magenschmerzen bereiten mir - offen gestanden - aber auch die. Wir müssen schon unsere Auffassung, dass der Koran mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, offenlegen - dann kommt es auch zu der nötigen Diskussion! Wenn die Muslime uns unsere Befürchtungen dann glaubhaft nehmen können - o.k.!

Gysi
 
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Gisbert Zalich schrieb:
Wir müssen schon unsere Auffassung, dass der Koran mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, offenlegen !

Gysi

Also das ist genau das, wo ich nicht mitkomme. Im Grundgesetz ist ja gerade die Religionsfreiheit garantiert! Das sowohl in Bibel wie auch Koran eine Menge Blödsinn steht wissen wir - aber dass sie grundgesetzwidrig seien, steht genau im Gegensatz zum Grundgesetz. Sowohl Bibel als auch Koran wurden zu Zeiten geschrieben, als es noch keine modernen Verfassungen gab, und daher interpretieren sie nur Fundamentalisten oder fundamentalistische Religionskritiker wortgetreu!
Man muss diese Ambivalenz zwischen Moderne und Archaik, Glauben und Demokratie aushalten können und damit operieren - blindes Bekämpfen, blindes Apologetentum führt nicht weiter!
 
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