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Frankreich - die Historikerdebatte

Hallo Miriam und Ziesemann,

ich bin da weniger kompetent. sowohl was Historikerdebatten angeht als auch die politische Meinungsfreiheit in den Zeitungen.
meine aktuellen politischen Informationen beziehe ich aus dem Fernseher
und ansonsten meine astronomischen Informationen aus dem web und aus Zeitschriften.

Laßt euch jetzt erst mal nicht von mir ablenken, bei Gelegenheit mische ich mich wieder ein.:)

Gruß von Claus
 
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Aus Le Monde vom 2.2.06 der die ganze Historikerdebatte in einem sehr guten Kontext stellt, möchte ich hier einiges übersetzen:

Die wiederbetrachtete Vergangenheit

In einem Moment in dem Europa in seiner Krise sich besorgt Fragen stellt über seine Zukunft, beugt sich Frankreich über ihre Vergangenheit -als ob für einen Beginn es eine Bedingung wäre sich ein gemeinsames Gedächnis zu schaffen. Die drei großen Tragödien die die Geschichte Frankreichs gezeichnet haben sind also Gegenstand einer kritischen Wiederbetrachtung, während ihre Oberhäupte sich in Salzburg um die Erinnerung Mozarts versammelt haben und dabei versuchen den europäischen Geist wieder zu beleben.
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Österreich, das Land von Mozart, aber wie es Dominique de Villepin in Salzburg betont, auch das Land von Musil, von Klimt und von Freud, ruft uns ins Gedächnis das Europa von vor "der europäischen humanitären Krise" - dabei übernimmt er den Ausdruck den Edmund Husserl benutzte in seiner berümten Rede von 1935. Aus dieser Krise konnte, laut dem deutschen Philosophen, entweder der Fall in die Barbarei, oder aber ein Neuanfang entstehen. Man muss also zu diesem Augenblick der Geschichte zurückkehren, um Europa einen guten Weg zu bereiten.

Das Gedenken ( oder sich Erinnern) muss uns erlauben das Fundament der Werte besser zu definieren, auf dem das Projekt Europa gebaut werden soll und das die Völker Europas vereinen sollte..
Doch muss man zwei Versuchungen meiden:
- die erste wäre, die gemeinsame Kultur der Europäer in ein Dogmensystem zu verwandeln, dessen Umgehen gleich den Blitz des Gesetzes verursachen würde. Das Wiederbetrachten der Vergangenheit muss auf der Basis einer widersprüchigen Diskussion stattfinden und dabei sollte man akzeptieren, dass die Gedächnisse gegensätzliche Standpunkte einnehmen, bevor ein kollektives Gedächnis sich bildet (von mir hervorgehobener Abschnitt des Artikels).

Die zweite Versuchung wäre, die Werte die das Fundament Europas ausmachen und die politische Richtung die das Vereinte Europa verfolgen muss, zu verwechseln. Die Lehren der Geschichte, so wie sie wahrgenommen werden durch das Betrachten der Vergangenheit, können ein Wegweiser für dieses Unternehmen sein.

So wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan betonte, "ist das Gedächnis ein Irrenwächter (garde-fou) für die Zukunft."

Sich die Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts in Erinnerung rufend, stellt sich Europa einige kategorische Imperative, allem voran das Einhalten der Menschenrechte. Doch es bleibt noch offen wie man sich verständigen wird um dieses Ziel zu erreichen. Dort fängt eigentlich das Recht des politischen Diskurses erst an..

THOMAS FERENCZI
(für den 3.2.06)

Entschuldigt bitte die etwas schnelle Übersetzung, muss die Wohnung bald verlassen
 
Hallo Miriam,

Miriam schrieb:
Die Grande Nation war ja immer sehr stolz und sogar etwas verliebt in ihre Geschichte.

Welche Nation eigentlich nicht? Geschichte wird eben von Menschen gemacht und auch bewertet. Ist sie aber deswegen von vornherein subjektiv? Woran misst man die Geschichtsschreibung?

Wenn sie den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, dann muss Geschichtsschreibung objektiv sein. Sie kann nicht einfach nur aufzählen, was passiert ist, sondern sie muss versuchen, die Geschehnisse in Entwicklungstendenzen einzuordnen.

Ja, schön klangen die historischen Ereignisse, nur, dass auch Vieles ausgespart wurde.

Das Aussparen oder Verdrängen von Ereignissen, die wesentlich sind für den historischen Entwicklungstrend, ist Geschichtsklitterung. Gesetze zur Deutung der Geschichte haben nichts zu suchen in einer Geschichtswissenschaft! Was würde dann die französische Geschichtsschreibung unterscheiden von derjenigen in den Diktaturen?

Ein Beispiel betrifft den Sklavenhandel, der jahrhundertelang betrieben wurde und nun als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden soll.

Ich bin kein Historiker, aber ich meine, dass man sich davor hüten muss, unsere heutigen Auffassungen von Menschenrechten auf frühere Zeiten zu übertragen.

Wer aber Tatsachen wie den Holocaust hartnäckig leugnet, den sollte die Härte eines Gesetzes treffen! Tatsachen sind nun einmal das Ausgangsmaterial jeder Wissenschaft und dürfen nicht verdreht werden!

Gruss
Hartmut
 
Hartmut schrieb:
Welche Nation eigentlich nicht? Geschichte wird eben von Menschen gemacht und auch bewertet. Ist sie aber deswegen von vornherein subjektiv? Woran misst man die Geschichtsschreibung?
Im November vorigen Jahres haben wir in einem von Miriam dankenswerterweise eröffneten Thread "Wie objektiv kann Geschichtsschreibung sein?" ausführlich darüber diskutiert. Ich bitte um Nachsicht, dass ich dies jetzt hier nicht wiederholen möchte.

Hartmut schrieb:
Das Aussparen oder Verdrängen von Ereignissen, die wesentlich sind für den historischen Entwicklungstrend, ist Geschichtsklitterung. Gesetze zur Deutung der Geschichte haben nichts zu suchen in einer Geschichtswissenschaft! Was würde dann die französische Geschichtsschreibung unterscheiden von derjenigen in den Diktaturen?
Völlig d'accord.

Ich bin kein Historiker, aber ich meine, dass man sich davor hüten muss, unsere heutigen Auffassungen von Menschenrechten auf frühere Zeiten zu übertragen.
Das macht auch kein seriöser Historiker. Der berühmte deutsche Historismus legt gerade Wert darauf, alle Vorgänge aus ihrer Zeit heraus zu verstehen, also historisch. Beispiel: Der Angriffskrieg Friedrich d. Gr. 1740 auf Österreich Schlesiens wegen ist politisch und moralisch anders zu beurteilen als der Hitlers gegen Polen 1939.

Die Deutung der Geschichte ist Sache der Geschichtsphilosophie. Hierzu das pessimistische Urteil T.W. Adorno: "Es gibt keinen Gang der Geschichte, es sei denn, den ins Verderben".
Den Dank für Deinen Beitrag habe ich auch anderweitig vermerkt. - Ziesemann
 
Ich hoffe nun sehr, dass es mir keiner übel nehmen wird, wenn dieser Thread tatsächlich mehr in Richtung Meinungsfreiheit gehen wird, als Richtung Historikerdebatte.

Erst einmal aber meinen Dank an Hartmut, an Ziesemann und an Claus, die so sachlich und kompetent das Thema hier beleuchten.

Eigentlich wurde hier schon wichtiges geschrieben zur Meinungsfreiheit aber der Kontext blieb dabei mehr oder weniger die Diskussion der Historiker in Frankreich.

Warum auf einmal der Schwenk auf Meinungsfreiheit bzw. Pressefreiheit? Weil diesbezüglich zur Zeit, und wieder in Frankreich, eine sehr kontroverse Debatte stattfindet. Der Anlass sind nun die sehr umstrittenen Karikaturen des Propheten Mohamed, ursprünglich in Dänemark erschienen, jetzt aber von "France Soir" auch gezeigt. Zwar wurde der Chefredakteut inzwischen gefeuert, aber einen Tag nach dem Erscheinen der Karikaturen, konnte man in "France Soir" lesen: "Die Schockwelle, die die islamische Welt erschüttert". Ein seltsames Doppelspiel, denn die Redaktion steht hinter den gefeuerten Journalisten.

Nun die Frage: Wie weit darf Pressefreiheit gehen? Die ganze französische Presse beschäftigt nun dieses Dilemma.

Dazu Philippe Val von der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo":

"Es geht hier nicht um eine Provokation. Hier wird nur das Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt. Und das missfällt denen, die gegen die freie Meinungsäußerung sind. Doch unsere Gesellschaft fußt auf der Pressefreiheit. Wir haben uns gegebenenfalls vor Gericht zu verantworten, nicht aber vor religiösen Gruppen."

Frankreichs Muslime sind empört und ihnen haben sich solidarisch alle Vertreter anderer Glaubensrichtungen angeschloßen.

Dazu sagt Michel Dubost, Erzbischof von Evry:
"Die Bombe zeigen und den Islam mit Terrorismus gleichsetzen. Das ist doch, als wollte man die Muslime gegen den Rest der Menschheit aufbringen."

Dem schliesst sich auch der Großrabbiner von Paris, David Messas mit den Worten an:
"denn sie fühlen sich in ihren Überzeugungen erschüttert und gedemütigt".

Die linksliberale "Libération" zeigt zwei Mohammed-Karikaturen unter dem Titel "die satanischen Zeichnungen", und spielt so auf die "Satanischen Verse" von Salman Rushdie an.
"Libération" solidarisiert sich völlig mit "France Soir", denn es geht - so dessen Standpunkt - schließlich dabei um die Pressefreiheit, ohne der die Demokratie nicht denkbar ist.
Der konservative "Figaro" ist da anderer Meinung und findet die Karikaturen und derer Veröffentlichung schlecht - denn dies sei eine Provokation und dabei eine Dummheit. Man würde das Risiko nicht scheuen, "die fünf Millionen Muslime im eigenen Land in einen Kampf der Kulturen zu ziehen."

Es stellt sich die Frage, wie ein Balanceakt zu vollbringen wäre zwischen den Respekt vor Glaubensrichtungen und der Pressefreihei. Wo setzt eine eventuelle Selbstzensur ein, wann muss man auf die Versuchung verzichten Pressefreiheit auszuüben, weil dadurch Verletzungen stattfinden könnten?

"Ich darf den Propheten nicht zeichnen", schreibt der Karikaturist von "Le Monde". Solange und sooft macht er dies, bis eine Zeichnung entsteht. Sie zeigt Mohammed, den Propheten.
 
Ja, Miriam, es ist ein schwieriger Banlanceakt zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigtsein.
Immerhin sind durch die muslimischen Reaktionen auf die Karrikatur (die schon im September in der dänischen Zeitung war, und für die sich damals kein mensch interessiert hat) dieselben erst einmal um die welt gegangen.

Der arabische Sender el dschsirah hätte wissen müssen, welche folgen seine Publikation hat.

Und alle Prominenten, die jetzt Stellung nehmen, sollten nicht mit zweierlei Maß messen:

Täglich wird das Heiligtum der Amerikaner, ihre Fahne nämlich, zum gaudium öffentlich in muslimischen Ländern verbrannt....

meint Claus
 
Ich mache einen Vorschlag:

Jedesmal, wenn Islamisten öffentlich eine amerikanische Fahne verbrennen oder bepissen,
wird in Amerika als Reaktion darauf öffentlich ein Exemplar des Koran wörtlich und gegenständlich mit Jauche übergossen.

wenn denen der Koran wirklich heilig ist, werden sie mit dem Unfug aufhören.

Habe ich eure Zustimmung?

fragt Claus
 
Ich finde es nicht gut wenn Meinungen durch das Gesetz vorgeschrieben werden.
Von mir aus soll auch jemand den Holocaust leugnen - es gibt genug Beweise
die man demjenigen vor Augen bringen kann um ihn eines Besseren zu
belehren.
In der Thematik Geschichtsschreibung hat der Gesetzgeber meiner Auffassung nach
nicht das geringste verloren. Auch wenn es in den genanten Beispielen der
Unterstützung Deutscher/Französischer Geschichte dienen soll - wie klein ist
der Schritt dahin historische Tatsachen zu eigenen Gunsten zu manipulieren.
Aus der Meinungsfreiheit und Meinungsbildung hat sich der Gesetzgeber
meiner Auffasung nach herrauszuhalten!

LG
Phoenix
 
Liebe(r?) Phoenix,

bitte um Entschuldigung, dass ich deinen schönen Nick nicht so ganz einem Geschlecht zuordnen vermag.

Du hast völlig recht mit deinem Standpunkt, nur denke ich, dass in Frankreich, anders als in Deutschland, die so genannte Suche nach der historischen Wahrheit, sehr spät eingesetzt hat.
In Deutschland konnte eine Betrachtung der geschichtlichen Ereignissen nicht früher einsetzen, dafür gibt es verschiedene Gründe, ich nenne hier nur zwei davon:
- es lebten in den fünfziger und sechziger Jahren noch sehr viele der Aktiven des zweiten Weltkrieges, noch dazu in höheren oder hohen Positionen
- es musste Zeit vergehn, um das Betrachten der Dramen rund um Holocaust, Vertreibung, etc... überhaupt auszuhalten.
Es mussten Stimmen laut werden - ich werde nur zwei nennen - wie die von Mitscherlich (Die Unfähigkeit zu Trauern), oder vorläufig weniger bekannt, die von Thomas Harlan, Sohn des berühmtesten Film-Regisseurs der Nazi-Zeit, Veit Harlan (Jud Süß). Er hat sein Leben der Aufdeckung von Verbrechen der NS-Zeit gewidmet. In Kürze wird ein Buch zur Rolle und zum Werk von Thomas Harlan erscheinen - und ich habe ihn deswegen hier als Beispiel genannt.

Doch denke ich, dass auch die Debatte in Frankreich sinnvoll ist, für mich war der Artikel aus Le Monde (mein Beitrag vom 2.2. 17:50) sehr aufschlussreich mit seinem für mich zentralem Satz, den ich hier wiederhole:

Das Wiederbetrachten der Vergangenheit muss auf der Basis einer widersprüchigen Diskussion stattfinden und dabei sollte man akzeptieren, dass die Gedächnisse gegensätzliche Standpunkte einnehmen, bevor ein kollektives Gedächnis sich bildet.

Ich denke, Phoenix, das entspricht auch ganz deinem Standpunkt.

Gruß von Miriam
 
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Jauchenkoran

Claus schrieb:
Ich mache einen Vorschlag:

Jedesmal, wenn Islamisten öffentlich eine amerikanische Fahne verbrennen oder bepissen,
wird in Amerika als Reaktion darauf öffentlich ein Exemplar des Koran wörtlich und gegenständlich mit Jauche übergossen.

wenn denen der Koran wirklich heilig ist, werden sie mit dem Unfug aufhören.

Habe ich eure Zustimmung?

fragt Claus
Du fragst, ob Du Zustimnmung erhältst? Lieber Claus, wenn ich nicht wüsste, dass man Dir widersprechen darf, hätte ich Hemmungen, so eindeutig "Nein" zu Deinem Vorschlag zu sagen. Das unterscheidet doch gerade den aufgeklärten "Westen" von orientalischen Wertvorstellungen: Die Toleranz. Wir sind doch - zurecht meine ich - ein wenig Stolz darauf, auch Andersdenkende und Konträrdenkende in unserer Gesellschaft weitgehend unbehelligt zu dulden. Wollen wir uns mit den unduldsamen Fanatikern auf eine Stufe stellen? Ich meine, wir sollten nicht.

Gruß - Ziesemann

Miriam schrieb:
Das Wiederbetrachten der Vergangenheit muss auf der Basis einer widersprüchigen Diskussion stattfinden und dabei sollte man akzeptieren, dass die Gedächnisse gegensätzliche Standpunkte einnehmen, bevor ein kollektives Gedächnis sich bildet.
Der Begriff "kollektives Gedächtnis" scheint mir der entscheidende zu sein. Während noch in den 50er Jahren in der BRD ein weitgehend kollektives Verdrängen der Verbrechen des NS-Systems vorherrschte, ist das in den letzten 30 Jahren doch der Erkenntnis gewichen: Die Demokratie mit elementaren Menschenrechten ist die zu bevorzugende Staats- und Regierungsform. Der Deutschlands "langer Weg in den Westen" ist zuende, wir sind angekommen. - Vielleicht hatte Frankreich es nicht so nötig, ihn zu gehen?
Grüße - Ziesemann
 
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