AW: Die hohe Bindekraft des Negativen
Hallo Robin!
Zu deinem Thema fällt mir ein Witz ein.
Die Mutter eines Dreijährigen, der noch nie ein Wort gesprochen hatte, serviert die Suppe.
"Pfui, die ist ja versalzen!" ruft der Dreijährige.
Die Mutter ist fassungslos:"Du kannst ja sprechen! Wieso hast du denn bisher kein Wort gesagt?"
Der Kleine: "Bis jetzt war immer alles in Ordnung!"
Wozu brauchen wir Kommunikation? Wenn die Handlungen, die gesetzt werden, nicht das gewünschte Ergebnis erbringen. Alles andere geht auch ohne Sprache.
Grundsätzlich sehe ich in unserer mitteleuropäischen Kultur eine starke Ausrichtung auf Kritik. Dauernd gibt es etwas besser zu machen, zu verändern, noch effizienter zu gestalten, usw. Die Motivation, etwas zu verbessern, stammt doch aus der zugrunde liegenden Sichtweise, dass das, was schon ist, nicht gut genug ist.
Das wird uns schon in der Schule eingetrichtert, sogar schon vorher, weil ja auch unsere Eltern schon nicht genug erziehen, beibringen, Talente fördern und zu Leistungen anspornen können.
Alles ein Ausdruck dafür, dass das nicht genug ist, was von selbst bei der kindlichen Entdeckung und Erforschung der Welt gelernt wird.
Es ist also hauptsächlich eine antrainierte Gewohnheit, nach den Dingen Ausschau zu halten, die verbesserungswürdig sind.
Robin schrieb:
-Ist es so, dass die Dynamik der negativen Kommunikation uns zwingt, die Welt negativer zu sehen, als sie ist? Könnt ihr das z.B. bei euch feststellen? Wenn z.B. die Nachrichten aus 10 Minuten Libanon+Irak bestehen und das dann die Realität sein soll...bleibt das ohne Folgen, selbst wenn man sich für "aufgeklärt" hält?
Diese Frage konnte ich früher eindeutig mit JA beantworten. Nun aber nicht mehr. Gerade hier im DF habe ich sehr viel über Kommunikation gelernt. Der Wahrheitsgehalt von Nachrichten ist für mich nicht mehr absolut. Ich konnte immer wieder erkennen, dass es sehr stark auf den jeweiligen Standpunkt ankommt, wie etwas betrachtet wird und ob es als gut oder schlecht, richtig oder falsch eingestuft wird.
Die Schwierigkeit, sich selbst ein Bild zu machen, liegt allerdings darin, dass es kaum möglich ist, die reinen Fakten zu erfahren, weil jegliche Berichterstattung vom Reporter „gefärbt“ ist.
Ich frage mich halt immer: “Was hat das eigentlich mit mir zu tun?“, wenn mich ein Bericht aufregt. Da kommen oft sehr interessante Eigenschaften von mir zu Tage.
- Worin liegt der Nachteil positiver Kommunikation gegenüber negativer? Es geht nicht um den Gegensatz von In Ordnung/Katastrophe Sondern warum es schwieriger ist, den Nachbarn zum Wein einzuladen statt sich bei ihm zu beschweren? Warum findet man mit dem Kollegen am Arbeitsplatz schneller ein Meckerthema als ein Freuthema?
Zu deiner konkreten Frage, warum es leichter ist, sich zu beschweren, als den Nachbarn zum Wein einzuladen: Das kommt eher auf das gesellschaftliche Umfeld an. Ich wohne in einem Dorf, wo ich mindestens die Hälfte der Einwohner von Geburt an kenne. Hier ist es eindeutig leichter, meinen Nachbarn auf ein Glas Wein einzuladen, als mich bei ihm zu beschweren.
Meine Schlussfolgerung daraus: Ist die Nähe (Nachbar in der Stadt, den ich nicht kenne) eine erzwungene, ohne dass ich die Menschen kenne, die so nah bei mir leben, dann will ich nicht durch meine Handlungen noch mehr Nähe erzeugen. Das würde meine Privatsphäre zu sehr bedrohen, weil ich nicht einschätzen kann, welche gesellschaftlichen Spielregeln für den „Nachbarn“ in Bezug auf Wein-Einladungen gelten.
Wenn ich in der Gemeinschaft eines Dorfes lebe, dann kenne ich die geltenden Spielregeln, auch die der Nachbarn. Da kann ich gut einschätzen, was mein Nachbar mit einer Einladung zum Wein für Erwartungen verbindet.
Positive Kommunikation wird aber auch schnell fad. Es sollte dabei ja um einen Austausch von angenehmen und freudigen Erfahrungen gehen, wenn es aber nur ein Gespräch über diese Erfahrungen geht, dann kommen die angenehmen Gefühle aus zweiter Hand. Die Freude schmeckt schal. „Geteilte Freude ist doppelte Freude“ gilt nur für das gleichzeitige Erleben dieser Freude.
Und Übereinstimmung von Meinungen ist einfach und kurz festzustellen. Was brauche ich lang und breit erklären, dass mir das, was du sagst, eh gut gefällt, ich dir zustimme und dich ganz toll finde? Du kennst ja den Inhalt meiner Meinung schon. Nur wenn ich etwas anders sehe, muss ich dir erklären, was ich meine, warum ich es meine, wo das herkommt und wo es hinführen kann, usw. usw.
- Warum dürfen Nachrichten pessimistisch oder "kritisch" eingefärbt sein, gilt aber Euphorie als "unseriös"? Hängt das auch mit dem Ideal des ewig "kritischen" Geistes zusammen? Eine gerunzelte Stirn ist neutral, aber ein Grinsen ist schon Anbiederung?
Das hängt mMn mit dem Thema „Kritik bzw. Verbesserung“ (siehe weiter oben) zusammen. Und mit dem Stellenwert des Humors bei Themen, die ja „ernsthaft“ behandelt werden müssen.
Eine lustige Zwischenbemerkung wird leicht als Beweis dafür genommen, dass der Scherzbold keiner ernsthaften Überlegung fähig ist. Auch das wird durch unser Bildungssystem stark geprägt.
Eine ganz persönliche Bemerkung zum Schluss: Ich habe in den Zeiten meiner Depression und in vielen Gesprächen mit Menschen, die ihr Leben nur als Last erlebt haben, gelernt, auch die schönen und positiven Seiten meines Lebens anzuschauen. Die gewöhnliche Sichtweise, vor lauter ungelösten Problemen nicht mehr wahrzunehmen, wie viel Schönes und Angenehmes in diesem Leben einfach da ist, vermittelt leider vielen Menschen den Eindruck, das Leben bestünde nur aus Schwierigkeiten: die armen Kinder, die heutzutage in die Welt gesetzt werden hätten keine Überlebenschancen und unsere Erde geht sowieso demnächst zu Grunde. Wie gut es uns jetzt in diesem Moment gerade geht, wird dabei nicht bemerkt.
Die positive Sicht bringt ins Gleichgewicht, was vorher nur schwarz gesehen werden konnte.
Ups, das ist ziemlich lang geworden, obwohl mir noch einiges dazu einfallen würde. Naja, was soll´s.
herzlich
lilith