AW: die Burka in Europa
D
Wenn man jetzt eine Schuldfrage erhebt, ist es meine persönliche Ansicht, dass es verlogen ist zu behaupten, dass multikulturelle, also multirechtliche (-stellt eigentlich dasselbe dar) Codexe in einem gemeinsamen Staat (als Leitkultur, was immer das sein soll) möglich sind, - und das tut eben in dem Ausmaß der christlich- (pseudo-) demokratische Westen und nicht der Islam, das ist der Unterschied dabei und stellt auch diese Unvereinbarkeit dar.
K. M.
o doch, die islamische welt ist im prinzip viel untoleranter gegenüber dem westen,als vice versa.
schon die banale sache mit den touristinnen, die sich dort in der öffentlicheit verschleiern müssen...
"Intolerante Tradition eines starken Staates"
Orhan Pamuk in einem neuen Interview über die politische Kultur der Türkei und die Annäherung an Europa.
"Die Türkei ist noch nicht reif für die Europäische Union" - das sagt Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk in einer am Samstag (20.15 Uhr, 3sat) ausgestrahlten 3sat-ORF-Doku im Rahmen der Reihe Inter-City spezial.
"Mein Istanbul" heißt die Dokumentation, in der Pamuk durch seine Heimatstadt führt und auch Schauplätze seines jüngsten Romans "Das Museum der Unschuld" zeigt. Im Gespräch mit Günter Schilhan äußert sich Pamuk, anders als in Interviews der letzten Zeit, wieder politischer: "Die Probleme der Türkei haben nicht, wie man im Inland und im Ausland gerne annimmt, ihre Ursache im Islam, sondern in der Intoleranz, der Grausamkeit und der intoleranten Tradition eines starken Staates."
"Zukunft der Türkei liegt in Europa"
Pamuk gibt sich aber auch überzeugt, dass die Zukunft der Türkei in Europa liegt: "Ich bin überzeugt davon, dass die Zukunft der Türkei in der EU liegt. Damit meine ich nicht, dass die türkische Kultur Teil der europäischen werden sollte. Aber in diesem politischen System, in dieser wirtschaftlichen Union der EU, sollte die Türkei Mitglied sein.
Das bedeutet, dass wir eine echte Demokratie brauchen, den Respekt vor den Menschenrechten und den Rechten von Minderheiten, und dass sowohl ich als auch alle anderen Schriftsteller und Journalisten in diesem Land ihre Meinung frei äußern können."
Frage: Hat das Zusammenspiel von islamischen Traditionen und westlichen Einflüssen in der Türkei eine neue Kultur geschaffen, oder haben die Türken das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören?
Pamuk: Wenn man die Landkarte betrachtet, ist es offensichtlich, dass die Türkei am Rande Europas liegt, ein Großteil in Asien, ein kleiner in Europa. Die politischen und kulturellen Konflikte ergeben sich mehr oder weniger aus dieser Situation. Wir haben natürlich tief verwurzelte islamische Traditionen. Der Islam ist nicht nur eine Religion, sondern auch eine Lebenseinstellung und beinhaltet auch ein politisches System. Aber Osmanen und Türken hatten auch immer schon den Drang nach Westen. Dieser Konflikt behindert nach wie vor das politische und kulturelle Leben hier stark.
Ich bedaure es sehr, dass es nach der Gründung der modernen türkischen Republik der Staatsführung nicht gelang, eine Kultur zu entwickeln, die die gesamte Nation vereint. Leider sehen wir von außen wie eine gespaltene Nation aus, deren eine Hälfte in Richtung Tradition und Islam blickt, und deren andere Hälfte in Richtung Europa und Westen. Aber diese Sichtweise ist irreführend. Ich vertrete den Standpunkt, dass diese zwei Herzen in der Brust jedes einzelnen Türken schlagen. Wir sind keine zweigeteilte Nation, sondern eine Nation voller Widersprüche.
Ich werfe der politischen Führung dieses Landes, dem ich mich zugehörig fühle und dessen Spitze ich kritisch gegenüberstehe, vor, dass sie keine Kultur der Gemeinsamkeit entwickelt hat, aus der etwas Neues entstehen kann. Das Schreiben von Romanen, die Literatur und die Kunst im Allgemeinen sollten der Versuch sein, dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Frage: Sie wurden westlich erzogen?
Pamuk: Ja. Ich stamme aus einer Familie, die sich für eine westlich orientierte hielt. Meine Großmutter zum Beispiel war Geschichtslehrerin. Sie kannte ihre Religion genau, brachte mir alles darüber bei, aber wurde später zu einer glühenden Anhängerin der westlichen Reformen Kemal Atatürks. Andererseits konnte sie aber auch Späße über die Religion machen.
Frage: Sind Sie religiös?
Pamuk: Ich bin kein religiöser Mensch. Doch diese Frage ist in der Türkei von großer Bedeutung. Die politischen Probleme der Türkei haben nicht, wie man im Inland und im Ausland gerne annimmt, ihre Ursache im Islam, sondern in der Intoleranz, der Grausamkeit und in der intoleranten Tradition eines starken Staates. Das darf man nicht notwendigerweise dem Islam zuschreiben. Wir haben dieselben Probleme wie Europa vor 70, 80 Jahren. Es ist ein Fehler, die Unterdrückung, die Grausamkeiten, die Intoleranz in der Türkei mit dem Islam in Verbindung zu bringen.
Frage: Ist die Türkei reif für die EU, und ist die EU reif für die Türkei?
Pamuk: Derzeit ist die Türkei noch nicht reif für die Europäische Union. Zum Beispiel der Paragraf 301 des Strafgesetzbuches, die Intoleranz gegenüber Schriftstellern, eine Haltung der Unterdrückung von Minderheiten, all das spricht nicht gerade für ein Land, das eine baldige Aufnahme in der Europäischen Union erreichen will. Ich bin aber nicht pessimistisch.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Türkei stark in Richtung freie Meinungsäußerung bewegt, der Respekt gegenüber Minderheiten wurde größer, aber es gibt auch starke Widerstände von nationalistischer Seite gegenüber den Verhandlungen mit der EU. Die politische Struktur des Landes ist von der Auseinandersetzung zwischen EU-Befürwortern und EU-Gegnern gekennzeichnet. Es spricht niemand klar aus, aber dahinter steht ein Kampf, einerseits für eine offenere Gesellschaft, freie Meinungsäußerung und volle Demokratie und andererseits für eine traditionelle, autoritäre, intolerante Gesellschaft. Es ist ein Kampf zwischen diesen beiden Strömungen.
Frage: Werden durch diese Auseinandersetzungen die Standpunkte beider Seiten immer extremer?
Pamuk: Es ist eine komplizierte Sache. Nicht alle politischen Islamisten und Gruppen, die man mit Christdemokraten in Europa vergleichen könnte, sind notwendigerweise gegen die EU. Und nicht alle säkularen Parteien setzen sich für Demokratie und Menschenrechte ein. Man kann nicht einfach sagen, die Islamisten sind die Bösen, und die Westlichen sind die Guten.
Frage: Sehen Sie die Zukunft der Türkei in der EU?
Pamuk: Natürlich. Ich bin überzeugt davon, dass die Zukunft der Türkei in der Europäischen Union liegt. Damit meine ich nicht, dass die türkische Kultur Teil der europäischen werden sollte. Aber in diesem politischen und wirtschaftlichen System der EU sollte die Türkei Mitglied sein.
Das bedeutet, dass wir eine echte Demokratie brauchen, den Respekt vor den Menschenrechten und den Rechten von Minderheiten, und dass sowohl ich als auch alle anderen Schriftsteller und Journalisten in diesem Land ihre Meinung frei äußern können. Ich betrachte die EU eher politisch als kulturell oder philosophisch, obwohl ich an die europäische Kultur in vielerlei Hinsicht glaube.
Frage: Hat die EU eine offene Haltung gegenüber der Türkei?
Pamuk: Man kann die EU genauso wenig als eine Einheit betrachten wie die Türkei. Es gibt Personen, Gruppen, Parteien in Europa, die die Zukunft der Türkei in der EU sehen wollen, und es gibt Konservative und Nationalisten, die das nicht wollen. Dieselbe Situation gibt es auch in der Türkei. Wir haben politische Islamisten, extreme Nationalisten und autoritäre Politiker, die gegen die EU sind und alle möglichen Tricks anwenden, um die Verhandlungen mit der EU zu stoppen. Auf der anderen Seite gibt es auch Gruppen und Parteien, die den Weg der Türkei im die EU verteidigen.
Frage: Welche Reaktionen erhalten Sie, wenn Sie ihr Land kritisieren?
Pamuk: Ich erhalte alle möglichen Reaktionen: von Todesdrohungen und Gerichtsverfahren über hasserfüllte Blicke von ignoranten Rechten auf der Straße bis zu Schulterklopfen und ehrlich gemeinter Freude. Ich erhalte alle Reaktionen, die ein Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, erhalten kann. Und es ist mehr, als mir recht ist. Ich stehe viel zu sehr im Mittelpunkt des politischen Interesses.
Aber das ist einerseits auf meine internationale Reputation zurückzuführen, und andererseits auf die repressive, intolerante Kultur in diesem Land. Auch die Medien werden vom Boulevard bestimmt. Innerhalb von fünf Minuten kann man gegen mich eine Kampagne organisieren und dem armen Menschen auf der Straße einreden, dass ich ein Bösewicht bin.
Frage: Werden Sie aufgrund der Todesdrohungen Ihrem Land den Rücken kehren?
Pamuk: Seit dem Nobelpreis lebe ich ständig mit Leibwächtern, die mir die Regierung zur Verfügung stellt. Das ist vielleicht der Preis, den man bezahlen muss, erstens wenn man in diesem Teil der Welt berühmt ist, zweitens für die harte Politik hier und drittens ganz einfach für Eifersucht und Missgunst. Es gibt hier kaum Leute, die als Intellektuelle internationalen Erfolg haben. Ich bin in gewisser Weise eine Kuriosität hier. Jeder will mich beeinflussen. Schon deswegen brauche ich Schutz.
Aber ich will nichts übertreiben. Es geht nicht nur mir so. Auch viele Journalisten, Leute, die offen und ehrlich ihre Meinung sagen, brauchen hier Schutz. Aber das gibt es nicht nur in der Türkei. Wenn ich Europa betrachte, sehe ich wichtige italienische, niederländische, französische Intellektuelle, die auch Schutz benötigen.
Ich akzeptiere meine Situation als eine Art Strafe für meinen Ruhm. Ich habe mich daran gewöhnt und beklage mich nicht mehr so oft darüber, wie noch vor einem Jahr. Meine Leibwächter sind inzwischen echte Freunde geworden.
TV-Hinweis
"Inter-City spezial": "Orhan Pamuk - Mein Istanbul", Samstag, 20.15 Uhr, 3sat. Wiederholung am 1./2.11., 2.00 Uhr, 3sat.
Link:
* 3sat: "Inter-City spezial"