AW: Die Atomlüge
Ich finde es schade, dass zwei User, die in dieser speziellen Sache "viel drauf haben" und interessante Informationen liefern, sich durch unnötige Gehässigkeiten gegenseitig zerfledern, redbaron! Eine anregende Debatte über gegensätzliche Standpunkte ist damit von vornherein kaum möglich.
Es ist dadurch auch für euch wahrscheinlich schwer zu erkennen, dass ihr in wesentlichen politischen Fragen gar nicht so weit auseinander liegt, wie ich vermute. Dein höchst interessanter Link vom Spiegelinterview ist ein gutes Beispiel dafür, redbaron!
Die Atomfrage, die Machtgier (z.B. der Banken), das Zuwanderungsproblem, die Politikverdrossenheit, das und noch mehr lässt sich da einordnen. Ich selber habe dafür ein bisschen länger zum Lesen gebraucht, weil ich etliche Sätze zweimal lesen musste, um den tieferen Sinn zu begreifen. Zwei Stellen haben es mir besonders angetan, wer momentan nicht die Geduld für diese Tiefe hat, kann ja das Fettgedruckte überspringen:
Teil 2, SPIEGEL: Ist Demokratie ohne Moral nicht lebensfähig?
Negt: Demokratie im Sinne einer funktionierenden Zivilgesellschaft ist mehr als eine Machttechnik. Sie beruht auf der Selbstbestimmung autonomiefähiger Bürger. Deshalb verstößt jede Behinderung oder Einschränkung dieser Autonomie und Selbstbestimmung gegen ihre moralische Leitnorm. Politik im demokratischen Prozess ist ein Stück Sinnverwirklichung des Menschen als eines gesellschaftlichen Wesens.
SPIEGEL: Wenn dagegen die Politikverdrossenheit zunimmt ...
Negt: ... gehen der so vernachlässigten und vergessenen Demokratie die echten Demokraten aus. Eine vergleichbare Entwicklung hat zum Untergang der Weimarer Republik geführt. Es kommt zu einer unmerklichen, aber folgenreichen Wirklichkeitsspaltung: Die subjektiven Orientierungen des Menschen und das öffentliche System der staatlichen Institutionen driften auseinander. Am Ende steht eine gebrochene Gesellschaftsordnung, in der, wie Sie zu Recht sagen, das offizielle Institutionengefüge völlig intakt und funktionsfähig erscheint - die Wahlen werden nicht gefälscht, die Korruption ist nicht endemisch, die Machtteilung wird respektiert, Recht wird gesprochen. Aber im Inneren dieser Gesellschaft brodelt es, mit Ausbrüchen ist zu rechnen, in der Abwendung vom System entstehen politische Schwarzmarktphantasien - das Einfallstor für Populisten jeder Art.
TEIL 4, SPIEGEL: Im Spannungsfeld von Handeln und Denken, von Machtrealität und normativer Utopie zieht der Philosoph unweigerlich den Kürzeren?
Negt: Ludwig Marcuse hat in seiner wunderbaren Studie "Der Philosoph und der Diktator" über Platon geschrieben: "Das Erbauliche an seinem Leben ist nicht, was er erreicht hat, sondern was er versucht hat. Das Traurige an unserer Zeit ist aber nicht, was sie nicht erreicht, sondern was sie nicht versucht. Im Versuchen aber liegt der echte Idealismus."
SPIEGEL: Sie sind seit mehr als 40 Jahren mit Forschung, Lehre und ganz besonders auch mit Gewerkschaftsschulung und Erwachsenenbildung beschäftigt. Wie würden Sie nach all diesen Erfahrungen heute Ihre Gemütsverfassung beschreiben? Pessimistisch oder doch eher optimistisch?
Negt: Da antworte ich so ähnlich wie Antonio Gramsci in seinen "Briefen aus dem Kerker": Was Theorie und Analyse betrifft, bin ich Pessimist, denn der Intellektuelle, der politische zumal, hat die Aufgabe, auch die schlechteste Möglichkeit miteinzukalkulieren. Als praktischer Mensch bin ich Optimist, denn es gibt kein System ohne Risse. Diese gesellschaftlichen Risse zu suchen und an ihnen praktisch einzusetzen, das Unlegitimierte sichtbar zu machen und alternative Entwürfe zu entwickeln, das ist mein Credo und mein Programm.
SPIEGEL: Die linke Perspektive ist nicht die marxsche Revolution, sondern mit Max Weber das Bohren von harten Brettern?
Negt: Die Zeit der Barrikaden ist vorbei, Revolution ist ein Prozess, der nicht abschließbar ist. Was bloße Reform ist und was revolutionäre Veränderung, ist so einfach nicht zu unterscheiden. Ich verbinde den Revolutionsbegriff mit Strukturreformen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ohne kleine Schritte, ohne Veränderung im Alltag, ob in der Schule oder in der Familie, gibt es gar keine nachhaltige Entwicklung. Jeder ist aufgefordert, Risse und Widersprüche wahrzunehmen und sie auf ihre Veränderungsmöglichkeiten hin zu untersuchen, um sich dann für Alternativen stark zu machen. Das verstehe ich als Beitrag zur Verbesserung der Welt.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,710880,00.html
Ich bin sehr daran interessiert, was passiert, wenn etwa im härtesten Winter (vergleichbar Frühjahr 2010) alle 17 deutschen KKW abschalten würden ...
es wäre wahrscheinlich heilsam für die Öko-Heinis!
Vorerst danke, Hartmut, dass du fast schon unverdrossen dein Expertenwissen als Physiker einbringst, das sollte auch mal gesagt sein.
Die "Öko-Heinis" interpretiere ich auch gar nicht als persönliche Beleidigung sondern eher als schon jahre- oder jahrzehntelang aufgestauten Frust gegenüber Alternativdenker.
Aber nicht nur ich habe hier schon versucht, durch mehrere Beispiele zu belegen, dass dieses Problem viel umfassender ist und alle Seiten einschließt, von konservativ bis links intellektuell, von Physikexperten bis zu den Journalisten.
Freilich können wir Laien nicht alle Fakten berücksichtigen und nachfragen, das tun aber eben die Journalisten. Sie beschäftigen sich sehr wohl mit den Fakten, der Unterschied liegt meist nur in der Interpretation, welche Folgen zu erwarten oder zu befürchten sind. Und diese Interpretationen der Skeptiker sind großteils beängstigend
schlüssig und
nachvollziehbar.
Als ein weiteres Beispiel will ich nur noch auf sehens- und lesenswerte ZDF-Dokumentationen hinweisen, wo zwei Journalisten auch ein ganzes Jahr recherchiert und Fakten gesammelt haben:
„Die Frontal21-Dokumentation präsentiert historische Akten und Zeitzeugen. Sie zeigen, dass die Standortauswahl in den 70er Jahren allein politischen Motiven folgte. Exklusiv bestätigt der damals zuständige Geologe, der 83-jährige Professor Gerd Lüttig: "Ich habe Gorleben nie als geeignet vorgeschlagen."
Aus: Der große Bluff, mit zwei längeren Videos dazu:
http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/20/0,1872,8078996,00.html
Oder: Die Atomstromlüge über verschwiegene Kosten und getäuschte Verbraucher:
http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/2/0,1872,7380194,00.html
Gruß
Hannes Andreas