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Dialektik

AW: Dialektik

Robin schrieb:
Ich finde, dass man selbst bei heutigen Beobachtungen im Sinne von : Wir Leben in einer Zeit der...Es zeigt sich eine Tendenz zum... man ganz leicht ins Zweifeln kommt, wenn man nur seinen Beobachterstandpunkt ein wenig verschiebt.
Ein gutes Beispiel ist doch Adorno, der seine Analyse gesellschaftlicher Zuständen immer von einem recht idiosynkratischen Standpunkt aus geführt hat.
Ich weiß, Du störst Dich bei Adornos "Ontologie des falschen Zustands" an der scharfzüngigen Polemik, mit er seine Betrachtungen gerne vorgetragen hat. Wenn jemand sich von seiner Schwarzmalerei provoziert fühlt, hat Teddie sein Ziel ja erreicht. Dafür hält er dann auch seine Dialektik gerne mal an, erbarmungslos der Bewegung des Gedankens gegenüber. Aber Luhmann? Elend, Ausbeutung, Unterdrückung, und trotzdem, im großen und ganzen ist es wunderbar? Wir nehmen einen anderen Standpunkt ein, und schwupps, isses weg? Dann gehören alle beide auf den Kölner Karneval (Köln liegt doch so ungefähr in der Mitte zwischen Frankfurt und Bielefeld, nicht?)
Robin schrieb:
Wäre Adorno auch noch enthusiasmiert, wenn man ihm sagte: Auch deine (negative) Dialektik fällt in sich zusammen, wenn man nur einen ein bisschen anderen Standpunkt einnimmt (vielleicht von der anderen Seite der Differenz aus operiert).
Sie fällt auch und gerade dann nicht in sich zusammen, sondern nähme das produktiv in sich auf, dazu ist sie ja eine Dialektik ;)
Robin schrieb:
Oder die Form der Dialektik ganz aufgeben. Denn nach deinen Worten scheint es ja klar zu werden, dass es eine Frage der Wahrnehmung, der Interpretation wird. Und das ist eine sehr instabile Basis.
Oder die Form der Systemtheorie ganz aufgeben. Denn nach deinen Worten scheint es ja klar zu werden, dass es eine Frage der Wahrnehmung, der Interpretation wird. Zumal es die Systeme, wie immer deutlicher zu erkennen wird, ja außerhalb der Theorie auch gar nicht zu geben scheint? Das ist nun gehupft wie gesprungen, Robin. Entweder man erkennt den diversen Theorien von vornherein ein gewisses Recht zu, oder man bleibt in der Denunziation stecken. Oder der Besserwisserei.

ps schrieb:
was ich als philosophielaie nun noch nicht ganz verstehe, ist die tatsache, dass wenn man adornos negative dialektik als ewiges differenzieren auffasst, dann muss es ja auch eine positive dialektik geben, die widerum besagt, dass die differenzen zusammengefasst werden. bei endlicher denkensweise ergibt sich ja daraus wieder eine dialektik, die weder positiv noch negativ ist, es wird sozusagen eine dialektik der dialektik vorgenommen. diese könnte man doch dann ganz gut mit prozessgesetzen in verbindung bringen, oder?
Das kann man schon sagen, daß es der kritischen Theorie insgesamt eher darum ging, Zustände als Gewordenes aufzudröseln. Aber daraus Gesetze der Prozesse (oder der Evolution) ganz allgemein verbindlich abzuleiten, hätte man als unkritisch abgelehnt. Schon aus historischer Erfahrung. Und weil man Zukunft nicht vorhersehen kann. Für die müssten solche Gesetze dann ja auch gelten.
 
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AW: Dialektik

Und überhaupt *auf den Tisch hau, kaffeeverschütt* (die Decke muß sowieso dringend mal wieder in die Reinigung).

Das Ende der Dialektik. Das Ende der Differenz. Das Ende der Schrift. Auch immer wieder gern genommen, denn das gibt es im Sonderangebot: Das Ende der Philosophie. Ein Schnäppchen! Das Ende des Endes.

Wir sollten dieses Cowboy-und-Indianer-Spiel um Adorno und Luhmann allmählich mal aufgeben, Robin. Diese Sau haben wir so oft durchs Dorf getrieben, die ist schon ganz abgemagert.

Luhmann selbst schreibt, und das passt gut zu unserer Debatte:
"Wenn wir diesen Überlegungen folgen [die zu den Begriffen "Unterscheidung/Form/Beobachter" führen], so trennen wir uns von zwei anderen möglichen Ausgangspunkten einer theoretischen Ästhetik: der Dialektik und der Semiotik. Das soll nicht heißen, daß Blicke in andersartig konstruierte Theorien unergiebig wären, aber man muß die Differenz im Auge behalten. (...) Wir halten die positiv/negativ-Unterscheidung für eine sehr spezifische Form, deren Einführung besonderer Vorkehrungen bedarf." (Die Kunst der Gesellschaft, S.64 f.)

Einverstanden (abgesehen davon, daß Luhmann an der Stelle von einem sehr trivialen Begriff von Semiotik ausgeht, aber das soll uns ein andermal interessieren). Zunächst einmal ist die "Negative Dialektik" ein Buch von 1966, die unvollendete "Ästhetische Theorie" eines von 1969 (in der letzteren werden auch (allerdings ohne Autoren zu nennen) die damaligen französischen Diskussionen um die Schrift aufgenommen, mithin ja wohl die Überlegungen von Barthes und Derrida rezipiert - und als gültig in die Konzeption integriert.)
In der "Negativen Dialektik" geht es vor allem um die Auflösung der idealistischen Identität von Subjekt und Objekt, von Begriff und Sache; andererseits ist die idealistische Dialektik die Anstrengung, die Besonderheiten in den Sachen vollständig herauszuhalten. Sie sollen in der Allgemeinheit der Idee aufgehen, verschwinden - so wird auch Denken selber noch mit den abgeschafften Sachen identisch. Dem hält Adorno nun entgegen: Kein Sein ohne Seiendes. Das Etwas bleibt im Begriff immer enthalten, kein Begreifen ohne Begreifen eines Etwas. Deswegen kann man dennoch das Verhältnis nicht einfach umkehren und das nichtbegriffliche Etwas als Erstes setzen. Aufgekündigt wird jedoch mit der Allgemeinheit der Identität von Begriff und Idee jegliche Identität, und damit der Totalitätsanspruch der Philosophie. Der Begriff kristallisiert sich im Besonderen.

Das vielzitierte "Ende der Dialektik", zumindest der idealistischen, hat Adorno damit selbst vollzogen und für Theoretiker wie Luhmann eher mit den Boden bereitet. Und das weiß Luhmann auch. Die Negatitvität war ein Projekt, das nach heutiger Lektüre auch bei Adorno nicht vorbehaltlos umgesetzt wird. Aber man kann etwas beobachten: die Nichtidentität von Begriff und Begriffenem ist schon die Differenz von (Bewußtseins-) System und Umwelt, insoweit "Umwelt" ebensowenig abstrakt gesetzt werden kann wie "Sache". Ähnliches gilt für die Begriffe von "Autonomie der Kunst" versus "Autopoiesis des Kunstsystems". Die Autonomie der Kunst bedeutet, daß sie nichts anderem als ihrem eigenen, im einzelnen Werk je aufs neue sich manifestierendem Formgesetz folge (dazu Adorno: Vers une musique informelle, 1956, und Eco, Opera aperta, 1962). Auf letzteren sich zu berufen, zögert Luhmann nicht lange. Der Gedanke der "Autonomie der Kunst" bedeutet jedoch, daß das Werk sich selbst gestaltet. Zu recht fragt Luhmann, wie diese Version von Ästhetik unter dem Begriff der Negativität mit der gesellschaftskritischen Version zusammenzubringen sei. Aber das versucht Adorno gar nicht erst. Nur in der Beobachtung kann es so aussehen, als ob die autonome Kunst sich auf die ebenso autonom sich verwirklichende Gesellschaft beziehen würde. Sie hält, so Adorno, der Gesellschaft einen Spiegel vor - aber einen, in dem ganz andere Dinge zu betrachten sind als Gesellschaft. Das Gesellschaftskritische wäre demnach ein Teilaspekt des Scheincharakters der Kunst.

Fazit fürs erste: es ist Adorno kaum zu verübeln, wenn er weitgehend mit den Begriffen und Kategorien der klassischen Philosophie operierte, um zu einem anderen Verstehen zu gelangen - und hierin liegt auch die Zukunftsperspektive der Spätphilosophie Adornos. Sowenig wie Luhmann zu verübeln ist, daß es vor ihm schon andere gab, die an diesem Projekt gearbeitet haben. Es wäre jedoch fruchtbarer, Kontinuitäten und Diskontinuitäten auszumachen, als von "veraltet", "überholt" und "gescheitert" zu sprechen. Gescheitert wäre vielmehr Luhmann, wenn sich am Ende doch noch herausstellen sollte, dass die ihm zufolge ja real existierenden Systeme bloß Ideen sind, die als Identische in ihren Begriffen aufgehen. Dann nämlich bliebe er weit hinter der Negativen Dialektik zurück.

:morgen: Thorsten
 
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