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Dialektik

AW: Dialektik

Linus schrieb:
Neige zur Gratulation für diese vortreffliche Kurzdarstellung von Adornos Dialektik. (Keine Ironie!).
Ich übe noch. Vielleicht reicht es eines Tages zur Doppelbewerbung für den Nobelpreis, gemeinsam mit Robin. Vorläufig muß der geneigte Leser sich mit knappen Bemerkungen zufrieden geben, die ihm jederzeit Anlaß geben, den Autoren ob seiner Denkverkürzung zu schelten.
Linus schrieb:
Nur weißt Du sicherlich, dass die Adorniten untereinander den großen Meister höchst unterschiedlich interpretieren und dass Theodor W. am Ende seines Lebens - praktisch konfrontiert mit den 68ern - mit seiner Dialelktik gescheitert ist!
Jaja, an gebrochenem Herzen ist er gestorben, weil die Titten irgendwelcher Studentinnen ihn an der endgültigen Formulierung seiner Ästhetischen Theorie abgehalten haben. (Keine Ironie!) Und dann hat seine Stelle des deutschen Leitphilosophen ausgerechnet ein Schüler übernommen, der die Begriffe des Subjekts und Individuums als selbstanerkennend handlungsfähig restauriert, obwohl Vati das doch alles so schön dekonstruiert hatte.
 
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AW: Dialektik

Robin schrieb:
Ich würde sagen, dass Luhmann die Dialektik ganz allgemein im Begriff der Differenz auflöst.
Nein, Auflösung, das würde ich nicht sagen. Eher, daß eine Differenz zunächst beobachtet werden muß, und der Beobachter kann sie festhalten, einebnen oder vergessen. Adorno zufolge wäre Erkenntnis das Festhalten und Weitertreiben dieser Differenz, auch wenn das Bewußtsein sich zunächst dagegen sträubt. Das kann man klar sagen: was Adorno die "Arbeit des Begriffs" nennt, ist das aktive Widerstreben des Denkens gegen die operative Schließung des Bewußtseinssystems.

Robin schrieb:
Der Unterschied ist, dass der Differenz nicht der destruktive Beigeschmack des "Widerspruchs" anhaftet. Sondern einfach davon ausgegangen wird, dass die eine Seite ohne die andere nicht möglich ist.
Wenn Du es weniger "widersprüchlich" oder "destruktiv" haben willst, bietet Adorno Dir zwischen den Zeilen sogar die Aufhebung an (was das sein soll, würde ich bei Derrida nachlesen, nicht bei Hegel), die darin besteht, daß das eine das andere ist und das andere das Ganze und das Ganze das Unwahre etc. pp. Aber anstelle der Aufhebung steht bei Adorno ja die negative Utopie, die unmögliche Möglichkeit, auf die alles Denken sich anspannen möge, sofern es nicht in der bloßen Beschreibung von Tatsachen sich erschöpfen will.

Robin schrieb:
Also statt von einer Dialektik von gut und böse zu sprechen, sagt er [Luhmann], man kann Dinge nicht als gut bezeichnen, ohne damit gleichzeitig das Böse implizit mit ins Spiel zu bringen. Als Beispiel bei der Religion: Die Christen brauchten den Teufel, weil sie mit Christus das absolut Gute ins Menschsein gebracht hatten. Also musste der Teufel erfunden werden.
Solche einfachen Gegensätze mögen in der strukturalen Anthropologie des Claude Levi-Strauss eine fundamentale Rolle gespielt haben, aber auch Levi-Strauss hatte die Gleichzeitigkeit des Gegensatzes gegenüber einer diachronen Kausalität betont.

Robin schrieb:
Wie Adorno verzichtet Luhmann bei seiner Gesellschaftstheorie auf den Fortschritt. Der Sinn gesellschaftlicher Selektion ist nicht der Forschritt.
Der Hedonist Adorno verzichtet auf gar nichts, schon gar nicht auf den Fortschritt. Der Idiosynkrat Adorno gerät dann eher mal in Wut, wenn es normative Regeln geben soll, die Verhalten bestimmen. Daher der Haß auf Kommunikation und Gesellschaft. Luhmann hat nur zutreffend (und zutreffender als alle anderen) benannt und analysiert, wogegen Adorno sich wehrte.

Der Gedanke der Autopoeisis eines selbstreferentiell operativ schließenden Gesellschaftssystems dürfte Adorno mit tiefster zynischer Zufriedenheit erfüllt haben. Das hat er doch immer gesagt. Und dann hat er sich noch einen Kirsch genehmigt und/oder etwas Mozart (oder Krenek) gespielt.

Luhmann schrieb:
"Es dürfte sich damit bestätigen, daß das Ende der Dialektik auch durch eine negative Dialektik, die als Prinzip des Fortschritts das Ende des Fortschritts verkündet, nicht aufgehalten werden kann."
An anderer Stelle schreibt Luhmann von der "Zukunftslosigkeit", die Adornos Dialektik biete. Das kann nur eine Verbeugung sein: das Ende der abendländischen metaphysischen Identitätsphilosophie hat Adorno selbst markiert. Adorno schafft ihr den Übergang zum Differenzdenken an; und wer aufmerksam den Gedanken eines Jacques Derrida oder eines Niklas Luhmann nachhorcht, wird jenseits der aufdringlich neuen Begriffswerkzeuge eine negative Dialektik vernehmen.
 
AW: Dialektik

hallo, forianer!

@scilla
ähm, na ja, ich habe nicht ganz verstanden, was deine tabellen darstellen bzw. wie sie zu handhaben sind?!?
könntest du deine gedanken nur kurz vielleicht selbst hier erklären?

@alle

ich sehe schon, dass man bei dialektik nicht um herrn adorno herumkommt. allerdings hatte ich am anfang vor allem euch nach euren ideen gefragt, nach euren meinungen. diese werden sicherlich oft deckungsgleich mit den von großen philosophen übereinstimmen, aber sind doch meist ein quäntchen noch anders.

@thorsten

du schriebst, dass adorno als beendiger der abendländischen metaphysischen identitätsphilosophie ausgewiesen wird. damit wäre ich vorsichtig. schon manche philosophen haben selbst gesagt bzw. ihnen wurde angesagt, dass sie die vollender einer etappe wären, deren philosophie nie wieder kommen könnte. nach kant dachte man nicht mehr, dass jemand sich auf philosophische gottesbeweise stürzen würde. hegel sah sich selbst als vollender der philosophie, da sich mit ihm der absolute geist selbst erkannt habe. was folgte, wissen wir! alle richtungen erleben eine renaissance, zwar nicht mehr originalgetreu, aber nah dran!
 
AW: Dialektik

Und dann hat seine Stelle des deutschen Leitphilosophen ausgerechnet ein Schüler übernommen, der die Begriffe des Subjekts und Individuums als selbstanerkennend handlungsfähig restauriert, obwohl Vati das doch alles so schön dekonstruiert hatte.
Wenn das nicht der Beweis ist, dass es keinen Fortschritt gibt :D

Nein, Auflösung, das würde ich nicht sagen. Eher, daß eine Differenz zunächst beobachtet werden muß, und der Beobachter kann sie festhalten, einebnen oder vergessen. .
Ja, ich hatte das sehr allgemein formuliert.
Wahrscheinlich ist von einem Übergang auszugehen, dass dialektische Prozesse erst in der Dingwelt verortet werden - als seien diese und jene Strömungen ganz real da. Und sich erst später durchsetzt, dass sich erst durch die Beobachtung etwas ergibt, dass widersprüchlich ist und dialektisch betrachtet werden kann.
Adorno zufolge wäre Erkenntnis das Festhalten und Weitertreiben dieser Differenz, auch wenn das Bewußtsein sich zunächst dagegen sträubt. Das kann man klar sagen: was Adorno die "Arbeit des Begriffs" nennt, ist das aktive Widerstreben des Denkens gegen die operative Schließung des Bewußtseinssystems.
Also gegen das Schließen des Bewusstseins kann man auch mit Erkenntnis nicht angehen. Aber man kann auf Beobachtungen höherer Ordnung zurückgreifen. Zum Beispiel Dialektik. Aber das kann aben auch trügerisch sein, wenn da seinerseits nicht hinterfragt wird.
 
AW: Dialektik

Ja, trotzdem, Robin.

Robin schrieb:
Wahrscheinlich ist von einem Übergang auszugehen, dass dialektische Prozesse erst in der Dingwelt verortet werden - als seien diese und jene Strömungen ganz real da. Und sich erst später durchsetzt, dass sich erst durch die Beobachtung etwas ergibt, dass widersprüchlich ist und dialektisch betrachtet werden kann.

Dass das Bewußtsein (oder das Denken) etwas konstruiert, das es in seiner Selbst-Irritation dann als Dialektik einer Differenz oder als nicht-dialektische Eigenschaft der Gegenstände verortet oder entortet, muß ja nicht bedeuten, daß das Wahrgenommene als Objekt von Wahrnehmung durch die Beobachtung erst erzeugt wird. Sprich: man kann nur etwas beobachten, was aktuell existiert.

(Ich möchte nur nochmals darauf hinweisen, dass in solchen an der Systemtheorie orientierten Überlegungen eine negative Dialektik am Werk ist, die möglicherweise den systemtheoretischen Begriff von "Beobachtung" einerseits und "Wahrnehmung" andererseits sprengen wird.)
 
AW: Dialektik

ps schrieb:
@thorsten

du schriebst, dass adorno als beendiger der abendländischen metaphysischen identitätsphilosophie ausgewiesen wird. damit wäre ich vorsichtig. schon manche philosophen haben selbst gesagt bzw. ihnen wurde angesagt, dass sie die vollender einer etappe wären, deren philosophie nie wieder kommen könnte. nach kant dachte man nicht mehr, dass jemand sich auf philosophische gottesbeweise stürzen würde. hegel sah sich selbst als vollender der philosophie, da sich mit ihm der absolute geist selbst erkannt habe. was folgte, wissen wir! alle richtungen erleben eine renaissance, zwar nicht mehr originalgetreu, aber nah dran!

Adorno hat sich durchaus selbst für den letzten klassischen Philosphen, für den Vollender und Terminator der idealistischen sokratischen Dialektik (oder Sophistik) gehalten. Der Übergang zum Denken der Differenz bedeutet keine Abkehr von der Metaphysik, sondern deren Reformulierung nach dem Durchgang durch die dialektische Negation (Adorno) oder Dekonstruktion (Derrida), was im Effekt dasselbe und im Verfahren ähnlich ist.

Und inwieweit die Systemtheorie Luhmanns eine positive (oder ironische?) Wiederauflage des ontologischen Strukturalismus bzw. des Idealismus ist (bei Luhmann konstruktivistisch verblendet, so wie Scheinwerfer zwecks besserer Leuchtkraft verblendet werden), den Adorno und Derrida ja gerade zu dekonstruieren versuchten, bleibt auch noch zu erörtern. Insofern bedarf es keiner "Renaissance" der klassischen Metaphysik. Sie ist ja immer noch da.
 
AW: Dialektik

Dass das Bewußtsein (oder das Denken) etwas konstruiert, das es in seiner Selbst-Irritation dann als Dialektik einer Differenz oder als nicht-dialektische Eigenschaft der Gegenstände verortet oder entortet, muß ja nicht bedeuten, daß das Wahrgenommene als Objekt von Wahrnehmung durch die Beobachtung erst erzeugt wird. Sprich: man kann nur etwas beobachten, was aktuell existiert.

Gesellschaftliche Strömungen, weltanschauliche Gegensätze, geschichtliche Entwicklungen lassen sich aber nicht ohne weiteres in ein ontologisches Weltbild integrieren, in dem Sinne: Wir sehen einen Baum und reden darüber. Die UNtersuchung von geschichtlichen Ereignissen ist nicht nur von der Frage abhängig, was beobachtet wird, sondern auch wer es beobachtet und interpretiert hat.
Ich finde, dass man selbst bei heutigen Beobachtungen im Sinne von : Wir Leben in einer Zeit der...Es zeigt sich eine Tendenz zum... man ganz leicht ins Zweifeln kommt, wenn man nur seinen Beobachterstandpunkt ein wenig verschiebt.
Ein gutes Beispiel ist doch Adorno, der seine Analyse gesellschaftlicher Zuständen immer von einem recht idiosynkratischen Standpunkt aus geführt hat.
Wäre Adorno auch noch enthusiasmiert, wenn man ihm sagte: Auch deine (negative) Dialektik fällt in sich zusammen, wenn man nur einen ein bisschen anderen Standpunkt einnimmt (vielleicht von der anderen Seite der Differenz aus operiert).
 
AW: Dialektik

hallo, forianer!

was ich als philosophielaie nun noch nicht ganz verstehe, ist die tatsache, dass wenn man adornos negative dialektik als ewiges differenzieren auffasst, dann muss es ja auch eine positive dialektik geben, die widerum besagt, dass die differenzen zusammengefasst werden. bei endlicher denkensweise ergibt sich ja daraus wieder eine dialektik, die weder positiv noch negativ ist, es wird sozusagen eine dialektik der dialektik vorgenommen. diese könnte man doch dann ganz gut mit prozessgesetzen in verbindung bringen, oder?
 
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AW: Dialektik

hallo, forianer!

was ich als philosophielaie nun noch nicht ganz verstehe, ist die tatsache, dass wenn man adornos negative dialektik als ewiges differenzieren auffasst, dann muss es ja auch eine positive dialektik geben, die widerum besagt, dass die differenzen zusammengefasst werden. bei endlicher denkensweise ergibt sich ja daraus wieder eine dialektik, die weder positiv noch negativ ist, es wird sozusagen eine dialektik der dialektik vorgenommen. diese könnte man doch dann ganz gut mit prozessgesetzen in verbindung bringen, oder?
Oder die Form der Dialektik ganz aufgeben. Denn nach deinen Worten scheint es ja klar zu werden, dass es eine Frage der Wahrnehmung, der Interpretation wird. Und das ist eine sehr instabile Basis.
Aber ein guter Gedanke.

Prozessgedanken, aber was für ein Prozess?
Luhmann schlägt hier Evolution vor.
 
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