AW: deutsch-türkisch als neuer Dialekt?
Thorsten, sie ist erstaunlich und mir ein grosses Vergnügen, die Wendung, die Du unserer Diskussion gegeben hast -grins.
Ach nee! Den starren Subjekt-Prädikat-Objekt-Satzbau in den Nebensätzen verdankt das Französische also dem Chinesischen, wie auch die verständnisnotwendige lautliche Differenzierung, während das Deutsche da mehr in japanischer Manier verfährt, Silben abstrakt jenseits der Lautung festsetzt und das Verb fein ans Ende setzt?
Chinesisch hat einen isolierenden Sprachbau, während das Französische eindeutige Tendenzen zum polysynthetischen aufweist. Andererseits streben
wir alle dem Chinesischen zu und möglicherweise waren wir sogar vor Jahrtausenden Chinesen -grins. Leider können wir aber nur die flektierenden Sprachen wirklich zurückverfolgen, kaum die unkontrollierbaren Sprachgefühle bzw. die Psychologie der chinesischen Sprache.
(Japanisch und Türkisch sollen übrigens in ihrer Syntax so eng verwandt sein, daß Interlinearübersetzungen zwischen beiden Sprachen möglich sind.)
Es ist äusserst schwierig, die Sprachen immer exakt einzuteilen, aber Japanisch und (Alt)Türkisch haben agglutinierenden Sprachbau, gehören der (ural-)altaischen Gruppe an, es ist also denkbar.
Um mindestens ansatzweise beim Thema zu bleiben -grins:
Wenn das Deutsche D.M.n. in japanischer Manier verfährt, das Japanische mit dem Türkischen verwandt sei, kann es nur eine Frage der Zeit sein, bis der Deutsche den Türken und umgekehrt richtig versteht
.
Im Deutschen sind (wie man aus dem Vergleich mit anderen europäischen Sprachen lernt) mindestens zwei casus überflüssig, Dativ und Genitiv könnten ohne erheblichen Bedeutungsverlust in den Akkusativ (die "Anklageform"
) überführt werden, und selbst der ist nicht nötig; die gesamte Konjugation der Verben kann wegfallen wie auch die Unterscheidung in Haupt- und Nebensätze. Höre Deinem Deutsch wie Deinen Gedanken zu, und Du wirst mir zustimmen: Um das auszudrücken, was wir eigentlich sagen möchten, bedürfen wir nicht einer so sinnentstellend umständlichen Sprache wie des Deutschen.
Freilich, aber die Schönheit oder die Nützlichkeit u.a. der Sprachform sind immer subjektive Begriffe, trotzdem wird mittels dieser Begriffe die Wertschätzung gebildet, die schliesslich dazu führt, dass 'etwas' als
besser oder
schlechter angesehen wird.
Wenn wir die Vielfalt und die Feinheiten der Bedeutungen und andererseits die Einfachheit der Mittel der ural-altaischen Sprachen betrachten, so muss uns unser Aufwand tatsächlich unverhältnismässig gross erscheinen. Deshalb sollten wir mit den Sprachbewertungen zurückhaltend umgehen. Aber möchtest Du wirklich die ganze schöne deutsche Grammatik, der Du so vortrefflich mächtig bist, 'kampflos' aufgeben?
Also sind Bildungen wie "Wir lieben billig" etc. zu begrüßen und ein etwaiger Sprachkonservatismus, wie er allerorten, auch in Frankreich herrscht, zu geißeln, nicht wahr.
Begrüsse ich genau so wenig wie Du. Ich liebe leidenschaftlich, aber ich mag es, preiswert einzukaufen. Billig ist meist auch 'billig' und nichts Wert, in der Liebe wie auch beim Einkauf. Diese Differenzierung würde ich gerne beibehalten dürfen. Und doch, gerade in dringenden Fällen oder wichtigen Teilen einer Mitteilung kommen wir trotz Sprachkonservatismus auch ohne Flexion aus, z.B. 'Marsch!' -grins.
Begütigend könnte man sagen, daß die Pidginisierung -grins breit- des Lateinischen in F so weit fortgeschritten ist, daß eine relativ simple Lautverschiebung von é zu è (etwa in "je suis ta mère", oder, was eher passieren kann, "je veux aller à Quimper") das französische Ohr vor grundsätzliche Verständnisprobleme stellt. Auf Erkennung grammatischer Strukturen kann sich der Fremdsprachler in Frankreich jedenfalls nicht stets verlassen. --- Aber welche Sprache war es denn, die das Lateinische so bereitwillig aufnahm, daß außer der Übernahme eines "Wortschatzes" und einer Handvoll grammatikalischer Verhältnisse kaum etwas übrigblieb?
Hier handelt es sich nicht um die Pidginisierung, verabschiede Dich endlich davon, mein Freund. Es ist der Unterschied zwischen dem synthetischen (Deutsch) und tendenziell polysynthetischen Sprachbau (Französisch mündlich), der dem Fremdsprachler Schwierigkeiten bereitet.
Hier liegt nun der Hauptunterschied: Deutsch ist auch in lautlichen Entstellungen noch verständlich (die Dialekte wären ja sämtlich Deformationen gegenüber der künstlichen Hochsprache); im Französischen dagegen ist die korrekte Lautwiedergabe viel wichtiger, entsprechend ist der Spielraum für Dialekte begrenzt.
Ja, als solche sicher. Es handelt sich daher eher um 'eigene' Sprachen, d.h. die Sprachwissenschaftler selber streiten untereinander darüber, ob es sich um eine Sprache oder um ein Dialekt handelt.
Das Alemannisch (Elsässerditsch) oder das Francique in Lothringen sind eher Dialekte. Das Provençal (Okzitanisch und Altokzitanisch), Baskisch, Bretonisch und Gallo etc. eher Sprachen.
Wenn ich mich irre, Jérôme, berichtige mich: ich freue mich immer, wenn Du mit mir sprechen magst und wir dieses abgefahrene Deutsch weiter treiben, vielleicht sogar über die meinerseits allfällige Ironie hinaus.
Das 'abgefahrene' Deutsch ist ungeheuer flexibel. Es ist zwar flektierend, aber auch isolierend -'Marsch!', manchmal sogar etwas polysynthetisch (einverleibend) gefärbt -nach Vorbild der nordamerikanischen Indianer, nicht etwa der Franzosen -grins.
Der Indianer reiht Wörter zusammenhängend aneinander, bis sie zum Einwort-Satz werden (Ich.es.ihm.gebe.brot.mein.sohn.), der Deutsche macht es ähnlich, z.B. -und man möge mir verzeihen, falls das Beispiel nicht genau den Gerichtspraktiken entspricht-
'Ober.appellations.gerichts.präsidenten.kandidat', es ist zwar kein richtiger Satz, aber manchmal genügt die Färbung, mit der dieser Titel ausgesprochen wird, um einen langen Satz zu ersetzen. Dieses Beispiel zeigt aber gleichzeitig auch das Wesen der reich gegliederten agglutinierenden Sprache, wie sie auch dem Türkisch eigen ist -grins.
Mich über einen solch gepflegten (Sprach-)Austausch freuend
Jérôme