"Der Linguist" spricht einmal ohne scharf *loool*
Sunnyboy schrieb:
Da ist es kontraproduktiv, jetzt noch einen neuen Dialekt künstlich zu kreieren.
Ich mag Künstliches, wenn auch nicht die von Feridan Zaimoglu kreierte "Kanak Sprak" - aber die Vermischung des Türkischen mit dem Deutschen (nicht andersherum), über die wir hier reden, ist auf der blanken rohen Strasse entstanden.
----krawattezurechtrück----
Einem weiteren Streit entgegenkommend könnte man präzisierend vermuten, daß es sich bei der zu beobachtenden Vermischung des Deutschen und des Türkischen, von der nur ein sehr geringer Teil der deutschen Sprachgemeinschaft betroffen sein dürfte, nicht um eine Dialektbildung, sondern um eine beginnende
Kreolisierung handelt.
"Dialekte" sind regionale sprachliche Abweichungen einer Stammform (was die "Stammform" sei, bleibt schwer genug auszumachen; das Hochdeutsche in seiner seit Grimm's Wörterbuch gültigen, immer noch aktuellen Form ist in jedem Falle ein Kunstprodukt, die deutschen Dialekte sind ja wesentlich älter.)
"Kreolen" sind neue, durch Vermischung entstandene Sprachen in ihrem Anfangsstadium, bevor man Vokabular und Grammatik innerhalb der Kreole eindeutig gegen die Stammformen abgrenzen kann. (So ist das moderne Französisch angeblich aus einem mundartlich kreolisierten Latein entstanden.)
Das "Ey-Alter"-Deutsch erfüllt beide Kriterien sicherlich nicht. Jenes schnell zwischen Deutsch und Türkisch wechselnde Sprechen, das hier virtuos deutsche Wörter - ja ganze Satzteile - ins Türkische integriert und dort (wenn auch seltener) mühelos in lupenreinem Hochdeutsch zwischen sauberer deutscher Schulgrammatik und einem durch die türkische Grammatik inspiriertem Satzbau wechselt - bewußt und mit expressiver Absicht, dann selbstverständlich inclusive sehr vorsichtigem Gebrauch türkischer Vokabeln - jenes Sprechen könnte durchaus der Beginn einer Kreole sein. Wie auch die Wiedergabe fremdsprachigen Satzbaus mit deutschem Vokabular.
Überwiegend aber werden deutsche Sprachelemente ins Türkische eingebunden, nicht umgekehrt.
Da diese Kreole jedoch bislang nur bei vereinzelten Gruppen auftritt, muß man hier - mit Jérôme - richtig von einem "Soziolekt" sprechen. Die Gefahr, die davon für die Gesamtgesellschaft ausgeht, ist eher sehr gering. Am Ende gilt die Beherrschung der jeweiligen Amtssprache, niemand wird sich für sprachliche Hybridformen besonders einsetzen. Oder?
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Jérôme schrieb:
Der Untergang -grins ist für mich, wenn der Einheimische, auch einer, der sonst den gepflegten elaborierten Code verwendet, an der Döner-Bude 'Einmal ohne scharf' bestellt. Was ist es, Resignation, Anpassung, Anpassung aus Resignation...?
Das können im Zweifelsfalle auch sinnvolle Modifikationen des Deutschen sein, das ja bekanntlich - und ich versuche ständig, in meinen Worten dafür gutes Beispiel zu sein - vor grammatischer Überkompliziertheit strotzt. Mit einem der wundervollsten Sätze geht die Fernsehwerbung voran:
"Wir lieben billig und hassen teuer."
Innerhalb eines vornehmeren Deutsch müßte man vermuten, daß der Gentleman der käuflichen Dame noch ihr drittes £ abhandelt, so wie er sich andererseits jeden Streit vor Gericht von Herzen gerne etwas mehr kosten läßt. Warum aber richtiger sagen: "Wir lieben das Billige und hassen das Teure", wenn knapper man das neue deutsche Vorteilsdenken nicht ironisieren kann?
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Kurz gesagt, es ist natürlich hübsch und en vogue, wenn Kulturen ihre Reinheit pflegen - und die eigene Sprache ist nun einmal der Kern jeder "Kultur". Trotz einiger interessanter und erstaunlicher Phänomene wie dem hier besprochenen ist die "deutsche Kultur" jedoch eher weniger vom Untergang bedroht als andere Kulturen und wird auch dann überleben, wenn die weitere Kreolisierung des hierzulande gesprochenen Türkisch durch das Deutsche daran scheitert, daß aus der Türkei selbst politischer Einspruch erhoben wird.
Liebe Grüße
Thorsten