Es wird ja immer behauptet, es sei menschenverachtend, zu sagen: Das geht uns nichts an. Aber wie viele desaströse Fehlschläge braucht es denn noch, bis wir begreifen, dass unser Ansatz vielleicht grundfalsch ist. Und wenn dann, wie so oft, gewisse Bilder gezeigt werden, verknüpft mit der Frage: Können wir das einfach so passieren lassen? Dann muss man auch mal die Konsequenz haben, zu sagen: Ja, das können wir, zwar nicht einfach so, denn es fällt uns durch unser christlich geprägtes Menschenbild schwer, aber man muss vielleicht die Stärke entwickeln, hier mal zu sagen: Diese Kulturen haben einen ganz anderen historischen und kulturellen Background als wir und wir sollten es ihnen zugestehen, sich autonom zu entwickeln, ohne unsere Entwicklungs-Hilfe.
Wenn es um unsere eigenen Hinterwäldler geht, da sagen wir: Die sind rückständig, wir müssen die Region entwickeln. Geht es um die Hinterwäldler anderer Länder, da ist dann immer gleich "die Identität" gefährdet.
Wie Du bereits schrubst: Es ist surreal, mit einem Smartphone einen frühmittelalterlichen "Strafvollzug" aufzuzeichnen. Die Taliban lehnen alles "westliche" ab, aber wenn es zu ihrem eigenen Vorteil dient, Waffen, Autos, Smartphones, Computer und Internet für die Propaganda: Dann ist ihnen das hochwillkommen - jedenfalls solange es ihnen selbst und ihren Zielen dient, denn allen anderen werden sie das streng verbieten.
Afghanistan hat außerhalb Afrikas mit 5,2 Kindern / Mutter die höchste Vermehrungsrate außerhalb Afrikas. Das Land besteht zu einem großen Teil aus zerklüfteten Bergregionen und die Ressourcen sind begrenzt. Mit mittelalterlichen Ideen und Methoden wird man die wachsende Bevölkerung bereits in naher Zukunft nicht mehr ernähren können.
Die strenge Orientierung an Koran, Hadithen und Scharia als "göttliche Ordnung" wird mitnichten alles zum Guten wenden. Denn mehr als alle anderen Religionen zementiert der Islam das gesamte gesellschaftliche Leben in einem mittelalterlichen System.
Die Welt verändert sich, auch in Afghanistan. Das mag Reaktionären und Fanatikern nicht passen, es ändert aber nichts daran. Die Taliban werden schon bald feststellen, dass sie die Versorgung der Bevölkerung nicht gewährleisten können und auch in Afghanistan steht der Winter vor der Tür.
Aus eigener Kraft werden die Taliban keine Entwicklung schaffen. Stattdessen wird es eine Rückentwicklung geben. Und wenn die Zeiten für alle härter werden, dann wird man Sündenböcke brauchen, die man zu den Schuldigen der Misere machen kann, ob nun aus der eigenen Bevölkerung oder aus der anderer Länder.
Tradition, das ist so ein Begriff, den man immer nur dann einbringt, wenn einem nichts anderes mehr einfällt. "Das ist hier so Brauch", das wird dann argumentiert - als ob damit schon alles gesagt wäre, nicht mehr als ein Totschlagsargument!
Manche Städte und Regionen Afghanistans waren einmal viel höher entwickelt - bevor die Russen kamen. Manchmal machen im Internet Fotos aus Kabul aus den 70ern die Runde ... nix Verschleierung, sogar im Minirock laufen sie da rum.
Den Taliban ist es im Grunde egal, ob sich ihr Land entwickelt oder nicht. Hauptsache alles ist in ihrer "göttlichen" Ordnung. Schon vor 20 Jahren konnte man dann sehen, was dabei heraus kam. Da kann jemand seine Frau nicht zum Arzt bringen, denn der ist ein Mann und darf sie nicht untersuchen. Ärztinnen gibt es aber keine, denn Frauen dürfen nicht lernen, studieren, ja nicht einmal arbeiten. Da lässt man die Frau dann lieber sterben, dafür kommt dann ihre Seele auch in den Himmel.