Das und nur das geht aus den Ausführungen Nancys hervor und wurde von mir inzwischen mehrfach kritisiert, worauf du leider bisher nicht eingegangen bist: In Heideggers Denken sei seine (bzw. "die") Ethik schon enthalten und mitgedacht. Diese Behauptung mag aus Sicht eines Heideggerianers eingängig und wohlklingend anmuten, aber aus der Perspektive eines kritischen Denkens wird hier eine Fraglichkeit (Heideggers "Ethik"-Konzept) durch eine andere (Heideggers "Denken") erklärt bzw. begründet und umgekehrt. Du musst schon verstehen, dass das einen Kritiker nicht wirklich begeistern und schon gleich nicht überzeugen kann.
Nun ich zitiere nochmal eine Stelle aus Nancys Aufsatz dazu, worin die Frage der Fundamentalethik/Fundamentalontolige erläutert wird von diesen:
und S.129: "In diesem Sinne <bezeichnete sich> bereits das Denken vor Sein und Zeit <als Fundamentalontologie " (Brief über den Humanismus).
Es wird also nicht nur klar, dass das Denken des Seins eine Ethik impliziert, sondern auf viel radikalere Weise auch, dass es sich selbst als eine Ethik impliziert. <Ursprüngliche Ethik> ist der geeignetere Name für die <Fundamentalontologie>.Die Ethik ist eigentlich das, was an der Fundamentalontologie fundamental ist. Man kann die zweite Bezeichnung aber nicht einfach durch die erste ersetzen, ohne dabei folgendes aus den Augen zu verlieren, was wesentlich ist:
Das ethos ist dem Sein weder äußerlich noch ihm übergestülpt, es fügt sich dem Sein weder hinzu noch überkommt es das Sein; es gibt ihm auch keine von außen kommende Regeln. Sondern das Sein ist - weil es nichts Seiendes ist, eben das , was das Existierende ek-sistiert, das was es dem Sinn machen aussetzt. Das Sein ist das eksistierende Verhalten des Daseins. Das ist auch der Grund , warum Heidegger jeder Benennung , die eine von einer "ersten Philosophie" abgeleitete < Moralphilosophie> evozieren würde,
den Ausdruck >Denken des Seins> vorzieht, wobei er erklärt, dass
dieses <weder Ethik noch Ontologie >, weder theoretisch noch praktisch sei (Brief über den Humanismus, 48)"
vor allem ist dieser Satz auch dabei wichtig: "
Die Ethik ist eigentlich das, was an der Fundamentalontologie fundamental ist"
und dies erläutert ja Nancy wie folgt: "
Das ethos ist dem Sein weder äußerlich noch ihm übergestülpt, es fügt sich dem Sein weder hinzu noch überkommt es das Sein; es gibt ihm auch keine von außen kommende Regeln. Sondern das Sein ist - weil es nichts Seiendes ist, eben das , was das Existierende ek-sistiert, das was es dem Sinn machen aussetzt. Das Sein ist das eksistierende Verhalten des Daseins"
dazu Heidegger nochmal:
"Soll nun gemäß der Grundbedeutung des Wortes ήθος der Name Ethik dies sagen, daß sie den Aufenthalt des Menschen bedenkt, dann ist dasjenige Denken, das die Wahrheit des Seins als das anfängliche Element des Menschen als eines eksistierenden denkt, in sich schon die ursprüngliche Ethik. Dieses Denken ist aber dann auch nicht erst Ethik, weil es Ontologie ist"
Ich denke mal sollte diese Stellen parallel am besten lesen, um zu sehen wie Nancy hier argumentiert/arbeitet. Dieser ist im übrigen kein "Heideggerianer", denn dann wäre er ja unkritisch gegenüber Heidegger selbst, was man bei diesem Denker gewiss nicht sagen kann meiner Meinung nach.
Naja kurz gesagt: Nancy erläutert schon , warum man hier von einer "Fundamentalethik" sprechen kann (siehe das Zitat). Ich muss allerdings auch nochmal betonen, dass ich aus Platzgründen hier nicht den ganzen Aufsatz zitieren kann. Meines Erachtens sind aber nicht unwesentliche Passagen dieses Aufsatzes zitiert worden, die dann auch durch Heideggers Zitate zudem noch ergänzt worden sind. Und damit besteht eigentlich schon die Möglichkeit eines (genaueren) Verstehens, man kann sich also schon selbst ein Bild machen, durch die vergleichende Lektüre (im Sinne von , was sagt Heidegger, was sagt Nancy usw.). Nur ein kurzes Wort zu mir: ich selbst betrachte mich natürlich nicht als "Heideggerianer", sondern der mit und Heidegger kritisch denkt. Auch Trawny ist für mich kein "Heideggerianer". Menschen , die sich für Heidegger interessieren oder sich mit diesem mehr beschäftigen, sind nicht automatisch gleich "Heideggerianer". Und Heidegger selbst hatte keine Interesse an solchen, wie Gadamer betont:
" Das ist auch der Grund, warum es keine <Heideggerianer> gibt. Heidegger hat es selbst mehrfach gesagt und ich glaube er hatte nicht unrecht: Die Arbeiten derjenigen, die Heidegger nachahmen, haben keinen philosophischen Wert. Gewiss kann man Perspektiven entwickeln, die in Gegensatz, in Ähnlichkeit oder konträr zu den Richtungen von Heideggers Denken laufen, aber man kann nicht in der Form einer Nachahmung vorgehen; und genauso wenig in derjenigen einer Orthodoxie" (Kolloquium von Heidelberg, Passagen Verlag, 2016, S.37)
Ich denke das Gadamer damit recht hatte. Es geht also nicht um einen "Heideggerianismus" hier.
Nun ich habe jedenfalls jetzt versucht Nancys These von der "Fundamentalethik" bei Heidegger transparenter durch Unterfütterung weiterer Zitate transparenter zu machen , um zu sehen, wie Nancy zu dieser Feststellung. Diese Kritik habe ich natürlich zur Kenntnis genommen und man muss sehen wie weit man dieser "gerecht" werden kann. Nancy selbst bezieht sich ja hier auf Heideggers Text (Brief über den Humanismus) selbst und interpretiert/liest diesen. Wenn man sich an Heideggers Wortlaut sozusagen hält, stellt man eben fest. dass das was Heidegger "Ethik" nennt , eben an seine Konzeption des Denken des Seins gebunden wird , wie man ja nachlesen kann . Ein Kritiker kann natürlich diese philosophische Konstruktion für fragwürdig halten , aber so ist es erstmal in Heideggers Denken selbst zu finden, wie man feststellen muss. Wie weit das wiederum überzeugend für einen Leser ist, stellt sich dann als eine nächste Frage. Das Heidegger hier "Ethik" auf seine Art und Weise denkt, kann befremdlich wirken, wenn man von einem anderen Ethikverständnis (dem "gängigen") ausgeht. Und aus dieser Sicht , mag natürlich Heideggers Ethik -Verständnis befremden. Man kann also Verständnis für Heideggers Denken der Ethik entwickeln oder man kann dies als Kritiker (der von einem anderen Ethikverständnis ausgeht) ablehnen. Aber damit stehen sich im Grunde zwei philosophische Lager gegenüber (wobei das eine nicht zwingend das gewisser "Heideggerianer" sein muss).
Diese sogen. "ursprüngliche Ethik" ist jedoch nicht minder substanzlos wie Heideggers Denken selbst: Es kreist nur um sich und blendet die Wirklichkeit kurzerhand aus, ohne sich näher auf sie einzulassen; das finde ich nicht mal hauptsächlich problematisch - schlimm ist allerdings, dass diese großspurige Ausblendung das Wesensmerkmal des gesamten philosophischen Konstruktes ist. Diese plumpe Ablehnung und Abwertung jeglicher humanitären Errungenschaft (den Wissenschaften schlechthin) ist das Gerüst, auf dem Heidegger aufbaut. Ohne die fortwährende Verunglimpfung der Rationalität (was das auch immer sein sollte, hier bleibt Heidegger stets erschreckend oberflächlich und nichtssagend, da er Selbstverständlichkeiten und Vorurteile bedient und nutzt, anstatt sie philosophisch anständig sowie seriös zu problematisieren und hinterfragen) würde Heideggers Geschreibe alsogleich in sich zusammenfallen wie ein schlecht gebautes Kartenhaus.
Die Frage der angeblichen "Substanzlosigkeit" von Heideggers Denken ist auch eine Frage der subjektiven Betrachtungsweise auf Heidegger und von welchem Ethik-Verständnis man dabei ausgeht. Das was als philosophische Disziplin "Ethik" genannt wurde in der Schule Platons, sieht Heidegger philosophiegeschichtlich als problematisch (aber natürlich muss man diese Sichtweise Heideggers nicht teilen hier).
Zur Erinnerung Heidegger nochmal selbst:
"Sollten freilich sowohl «die Ontologie» als auch die «Ethik» samt allem Denken aus
Disciplinen hinfällig und dadurch unser Denken
disziplinierter werden, wie steht es dann mit der Frage nach der Beziehung zwischen den
beiden genannten Disciplinen der Philosophie? Die «Ethik» kommt mit der «Logik» und der «Physik» zum ersten Mal in
der Schule Piatons auf. Diese Disciplinen entstehen zu der Zeit, die das Denken zur «Philosophie» die Philosophie aber zur επιστήμη (Wissenschaft) und die Wissenschaft selbst
zu einer Sache der Schule und des Schulbetriebs werden läßt.
Im Durchgang durch die so verstandene Philosophie entsteht die Wissenschaft, vergeht das Denken. Die Denker vor dieser Zeit kennen weder eine «Logik»; noch eine «Ethik», noch die «Physik». Dennoch ist ihr Denken weder unlogisch, noch unmoralisch. Die φύσις aber dachten sie in einer Tiefe und Weite, die alle spätere «Physik» nie mehr zu erreichen vermochte.
Die Tragödien des Sophokles bergen, falls überhaupt ein solcher Vergleich erlaubt ist, in ihrem Sagen das ήθος anfänglicher als die Vorlesungen des Aristoteles über «Ethik». Ein Spruch des Heraklit, der nur aus drei Wortern besteht, sagt so Einfaches, daß aus ihm das Wesen des Ethos unmittelbar ans Licht kommt"
Nun hieran wird ja deutlich wie Heidegger kritisch über Ethik als Disziplin nachgedacht hat.
Heidegger hat ja auch gesagt in einer Vorlesung, dass die Wissenschaft nicht denkt.
Man muss halt sehen, dass Heidegger hier seine eigene philosophische Sichtweise entwickelt, die man ablehnen kann oder auch nicht. Heidegger hat eben aufgrund seines eignen philosophischen Ansatzes (eben seiner "Philosophie") einen kritischen Blick auf "Ethik" , , "Rationalität", "Wissenschaft" und andere Themen entwickelt. Man kann hier natürlich Heideggers Denken /seine "Philosophie" dafür kritisieren, dass sie jegliche "humanitäre Errungenschaft" (wie die Wissenschaft) ablehnt, aber ich glaube es ist auch eine Frage der Betrachtungsweise. Wenn Heidegger sagt, die Wissenschaft denkt nicht, muss man mit dem natürlich nicht philosophisch konform gehen. Heidegger meint dies so , dass die Wissenschaft nicht in der Dimension der Philosophie denkt.
Er erläutert dies ja hier nochmal:
Ich glaube allerdings , dass Bild vom "Kartenhaus" (welche hier Heideggers Philosophie sein), was in sich zusammenfällt, zwar ein "schönes" Bild ist, aber dennoch sachlich unangemessen /unzutreffend ist.
Nun du siehst, ich bin schon auf das von dir kritisch Geschriebene eingegangen und habe es ja nicht ignoriert. Ob und inwieweit ich dieser "ganzen" Kritik an Heidegger hier "gerecht" werden konnte, lasse ich aber mal offen.
Sobald man erkennt, dass Heidegger fortwährend gegen Strohmänner kämpft und sein vorgeblich geniales intellektuelles Tun somit nicht tief und weise ist, sondern vielmehr auf eigentümliche Weise dumm-dreist und borniert daher kommt, wirkt seine "Philosophie" nur noch lächerlich und albern.
Naja ich denke mal , dass hier eher deine persönliche Sichtweise auf Heidegger zutragen kommt und daher auch die Werturteile wie "lächerlich" oder "albern" oder "dumm-dreist" damit verständlich. Ich sehe das ja etwas anders, wenn du erlaubst (und als sog. "Heideggerianer" betrachte ich mich jedenfalls nicht). Ich denke schon, dass Heideggers "Philosophie" /"Denken" genial ist in seiner Weise, aber eben auch seine problematische Seite hat (bzw. auch gewisse "Fehler" hat).
Fassen wir mal zusammen: Heideggers "Ethik" ist in seinen Texten versteckt und wenn wir nicht fähig sind, diese zu sehen, sind wir selbst daran schuld und nicht Heidegger. Nebenbei: Nancy gibt selbst zu, dass er das lediglich behauptet.
Nun Nancy sagt es ja (siehe Zitat oben), dass Heideggers Denken eine Ethik impliziert und erläutert ja diesen Punkt auch.
Zur Erinnerung:
"Die einzige Form nämlich die hier angebracht ist, muss Folgendes zum Thema haben: Heideggers Denken selbst hat sich durch und durch als eine
Fundamentalethik entworfen.
Es ist mir im Übrigen kaum daran gelegen, Heidegger einer erschöpfenden Untersuchung zu unterziehen, auch nicht daran, festzustellen, ob und inwiefern Heidegger selbst der <Autor> oder >Verfechter> einer ethischen Lehre ist oder nicht ist. Ich kümmere mich nicht um <Heidegger selbst> (eine Formel, deren ebenso vielfache wie unmögliche zu vereinheitlichende Erwartungen und Implikationen man endlos entfalten könnte: Handelt es sich um ein Werk? Eine Person? Wo soll man anfangen und wo aufhören?) Mir geht es vielmehr um einen entscheidenden Hinweis, der, wie ich behaupte , in seinem Text selbst zu finden ist, und es wird unsere (ja unsere, nicht seine) Aufgabe sein , zu analysieren, wie gehaltvoll er ist, aber auch seine Grenze nachzuzeichnen oder die notwendigen Korrekturen oder Ergänzungen anzubringen. Denn hier wie auch sonst lautet die allererste Bestimmung eines Denkens, und insbesondere eines Denkens in Bezug auf <Ethik": Mittels ebendieses Denken selbst zu denken, gleichzeitig aber auch mit dem oder ausgehend vom Anderen zu denken."
Und Nancy bezieht sich dann ja vor allem auf den Brief über den Humanismus , dessen genaue Analyse ich hier aber aber aus Platzgründen nicht zitiert habe.
Ich würde nicht sagen, dass diese Ethik "versteckt" ist, sondern dass diese selbst von Heidegger in seinem Sinne offen auch thematisiert wird (was Heidegger unter einer "ursprünglichen Ethik" versteht, erläutert er ja dann in seinem Sinn> dies kann man überzeugend finden oder nicht.
Der Titel seines Aufsatzes lautet im übrigen: Heideggers <ursprüngliche Ethik>
Ich finde, dass ein Philosoph uns etwas zu sagen haben sollte und nicht wir durch sein Geschreibe ihm etwas beibringen müssen.
Nun ich bin schon der Meinung, dass Heidegger uns immer noch etwas philosophisch zu "sagen" hat, worauf man sich (kritisch) einlassen kann oder nicht. Man kann das von ihm gesagt eben versuchen kritisch weiter zu denken (mit und gegen Heidegger weiter denken eben).
Das ist doch - sorry für die klaren Worte - absoluter Quatsch. Der sogen. "Brief über den Humanismus" ist eine Absage an die Humanität als solche. Menschliches Handeln wird hier entmenscht und in Heideggers Seinsgespinste verlegt. Wenn man diesem Geschreibe etwas entnehmen kann, dann ist das die klare Botschaft, dass der Mensch und sein Selbstverständnis von Humanität sowie Handeln etc. von einem höheren Geschick bestimmt sind, von dem her sich die eigentlichen Bestimmungen erst zutragen.
Mal eine diesbezüglich wohl mehr als eindeutige Textstelle aus dem Hum.Brief:
Der Mensch ist vielmehr vom Sein selbst in die Wahrheit des Seins "geworfen", daß er, dergestalt ek-sistierend, die Wahrheit des Seins hüte, damit im Lichte des Seins das Seiende als das Seiende, das es ist, erscheine. Ob es und wie es erscheint, ob und wie der Gott und die Götter, die Geschichte und die Natur in die Lichtung des Seins hereinkommen, an- und abwesen, entscheidet nicht der Mensch. Die Ankunft des Seienden beruht im Geschick des Seins. (Martin Heidegger, "Humanismus", S. 19)
So weit, so typisch nichtssagend und wie immer dreht sich alles nur um Sein und Seiendes in Heideggerscher Spielart als Schwarz/Weiß-Denken in Reinform.
Fatal jedoch - gerade im Hinblick auf die Aussagen in den "Schwarzen Heften" - ist dann etwa folgender Passus:
Insofern das Denken sich in seine Aufgabe bescheidet, gibt es im Augenblick des jetzigen Weltgeschickes dem Menschen eine Weisung in die anfängliche Dimension seine geschichtlichen Aufenthaltes. Indem das Denken dergestalt die Wahrheit des Seins sagt, hat es sich dem anvertraut, was wesentlicher ist als alle Werte und jegliches Seiende. (Ebd., S. 37)
Wir erinnern uns daran: Das "Judentum" ist das Seiende schlechthin, die Berechnung in Reinform, das dem Geschichtlichen als Geschichtsloses gegenübersteht und beim "Übergang" in den "anderen Anfang" überwunden werden muss und sich gleichsam selbst überwindet: dies liegt im "jetzigen Weltgeschick" begründet. "Alle Werte und jegliches Seiende" ist dem Walten dieses Geschickes wesentlich nachgeordnet.
Nun auch das sehe ich mit verlaub anders. Ich denke schon, dass dies Nancy richtig gesehen hat und der Brief über den Humanismus eben auf seine Weise das Handeln des Menschen reflektiert. Heidegger kritisiert den Humanismus darin, dass er die humanitas des Menschen nicht hoch genug denkt, nämlich im Bezug vom Sein aus. Man muss dies versuchen aus Heideggers philosophischer Sichtweise heraus zu verstehen, ohne dabei selbst "Heideggerianer" zu werden oder gar zu "heideggern". Das ist kein "Seinsgespinst", sondern Heidegger denkt eben das Menschsein, bzw. das Verhältnis von Mensch und Sein auf seine Art und Weise.
Dazu heißt es:
"Das zeigt sich im Humanismus des 18. Jahrhunderts bei uns, der durch Winckelmann, Goethe und Schiller getragen ist. Hölderlin dagegen gehört nicht in den «Humanismus» und zwar deshalb,
weil er das Geschick des Wesens des Menschen anfänglicher denkt, als dieser «
Humanismus» es vermag.
Versteht man aber unter Humanismus allgemein die Bemühung darum, daß der Mensch frei werde für seine Menschlichkeit und darin seine Würde finde, dann ist je nach der Auffassung der «Freiheit» und der «Natur» des Menschen der Humanismus verschieden. Insgleichen unterscheiden sich die Wege zu seiner Verwirklichung. Der Humanismus von Marx bedarf keines Rückgangs zur Antike, ebensowenig der Humanismus, als welchen Sartre den Existenzialismus begreift"
Und weiter:
"
Jeder Humanismus gründet entweder in einer Metaphysik oder er macht sich selbst zum Grund einer solchen. Jede Bestimmung des Wesens des Menschen, die schon die Auslegung des Seienden ohne die Frage nach der Wahrheit des Seins voraussetzt, sei es mit Wissen, sei es ohne Wissen, ist metaphysisch. Darum zeigt sich, und zwar im Hinblick auf die Art, wie das Wesen des Menschen bestimmt wird, das Eigentümliche aller Metaphysik darin, daß sie «humanistisch» ist.
Demgemäß bleibt jeder Humanismus metaphysisch. Der Humanismus fragt bei der Bestimmung der Menschlichkeit des Menschen nicht nur nicht nach dem Bezug des Seins zum Menschenwesen. Der Humanismus verhindert sogar diese Frage, da er sie auf Grund seiner Herkunft aus der Metaphysik weder kennt noch versteht. Umgekehrt kann die Notwendigkeit und die eigene Art der in der Metaphysik und durch sie vergessenen Frage nach der Wahrheit des Seins nur so ans Licht kommen, daß inmitten der Herrschaft der Metaphysik die Frage gestellt wird «Was ist Metaphysik?» Zunächst sogar muß sich jedes Fragen nach dem «Sein», auch dasjenige nach der Wahrheit des Seins, als ein «metaphysisches» einführen.
Der erste Humanismus, nämlich der römische, und alle Arten des Humanismus, die seitdem bis in die Gegenwart aufgekommen sind, setzen das allgemeinste «Wesen» des Menschen als selbstverständlich voraus. Der Mensch gilt als das animal rationale. Diese Bestimmung ist nicht nur die lateinische Übersetzung des griechischen ζωον λόγον έχον, sondern eine metaphysische Auslegung. Diese Wesensbestimmung des Menschen ist nicht falsch. Aber sie ist durch die Metaphysik bedingt. Deren Wesensherkunft und nicht nur deren Grenze ist jedoch in «Sein und Zeit» frag-würdig geworden. Das Frag-würdige ist allererst dem Denken als sein Zu-Denkendes anheimgegeben, keineswegs aber in den Verzehr einer leeren Zweifelsucht verstoßen. Die Metaphysik stellt zwar das Seiende in seinem Sein vor und denkt so das Sein des Seienden. Aber sie denkt nicht den Unterschied beider (vgl. «Vom Wesen des Grundes» 1929. S. 8, außerdem «Kant und das Problem der Metaphysik» 1929. S.225, ferner «Sein und Zeit» S.230).
Die Metaphysik fragt nicht nach der Wahrheit des Seins selbst. "
"Die Metaphysik denkt den Menschen von der animalitas her und denkt nicht zu seiner
humanitas hin. Die Metaphysik verschließt sich dem einfachen Wesensbestand, daß der Mensch nur in seinem Wesen west, in dem er vom Sein angesprochen wird. ."
"Vielmehr ist der einzige Gedanke der, daß die höchsten humanistischen Bestimmungen des Wesens des Menschen
die eigentliche Würde des Menschen noch nicht erfahren.
Insofern ist das Denken in «Sein und Zeit» gegen den Humanismus.
Aber dieser Gegensatz bedeutet nicht, daß sich solches Denken auf die Gegenseite des Humanen schlüge und das Inhumane befürworte, die Unmenschlichkeit verteidige und die Würde des Menschen herabsetze. Gegen den Humanismus wird gedacht, weil er die Humanitas des Menschen nicht hoch genug ansetzt."
Man muss hier also Heideggers Argumentation besser verstehen, und sehen, dass er den Humanismus deshalb kritisiert, weil dieser aus seiner Sicht die Metaphysik fördert sozusagen. Aber die Metaphysik denkt nicht das, was "die Wahrheit des Seins" ausmacht und kann nicht die "humanitas" des Menschen entsprechend erfassen. Das ist jedenfalls Heideggers philosophische Sichtweise, die man natürlich auch kritisieren, aber man sollte erstmal verstehen aus welchen Kontext hier Heidegger den Humanismus kritisiert. Und hier ist eben Heidegeggers Metaphysikkritik wichtig.
Heidegger denkt eben den Menschen in Bezug vom Sein her, was im Grunde die "oberste Instanz" ist. Wie weit man darin Schwarz/Weiß- Denken sieht ist ja auch philosophische Ansichtssache. Ich würde das nicht unbedingt so bewerten in der Art.
Was das letztere Zitat und den Kommentar anbetrifft , kann man natürlich kritisieren und problematisieren, dass alles bei Heidegger der "Wahrheit des Seins" (dem Walten dieses Geschickes ) untergeordnet wird . Und das dies dann auch das "Judentum" betrifft (als dem Seienden) kann man natürlich auch problematisieren. Ich kann jedenfalls diese Kritik/kritische Sichtweise hier durchaus nachvollziehen. Man muss allerdings das Ganze aus Heideggers eigenem "Gedankensystem" heraus auch verstehen. Und das ergibt sich als "Logik" dieses Gedankensystems (welches eben bestimmte Dinge damit ausschließt). Man kann dies die problematische Seite von Heideggers Denken nennen. Im übrigen unterschreibe ich nicht alles was Heideggers philosophisch gesagt hat. Aber ich würde deshalb nicht seine ganze "Philosophie" deshalb verwerfen wollen. Sie hat natürlich auch ihre problematischen Seiten sowie andere Philosophen auch. Und man kann im Grunde jede Philosophie entsprechend kritisieren aufgrund bestimmter Aspekte.
Na dann: Gute Nacht Humanismus, lebewohl Vernunft - wo nur ist mein Hirtenstab, damit ich meiner zugedachten Rolle als "Hirt des Seins" genügen und das "Sein" und dessen "Geschick" beim ruchlosen Walten behüten kann? In der Tat eine "ursprüngliche Ethik", wie sie ursprünglicher nicht sein könnte...
Zum Humanismus siehe das Zitat oben. Der Humanismus ist metaphysisch und denkt nicht die humanitas des Menschen hoch genug. Zur Wiederholung:
"Vielmehr ist der einzige Gedanke der, daß die höchsten humanistischen Bestimmungen des Wesens des Menschen
die eigentliche Würde des Menschen noch nicht erfahren.
Insofern ist das Denken in «Sein und Zeit» gegen den Humanismus.
Aber dieser Gegensatz bedeutet nicht, daß sich solches Denken auf die Gegenseite des Humanen schlüge und das Inhumane befürworte, die Unmenschlichkeit verteidige und die Würde des Menschen herabsetze.Gegen den Humanismus wird gedacht, weil er die Humanitas des Menschen nicht hoch genug ansetzt."
Nun der "Rest" des Gesagten ist ja recht polemisch formuliert und ich überlege ob es wirklich sinnvoll ist dieses noch zu kommentieren. Heidegger hat halt in seinem Sinne eine "ursprüngliche Ethik", wie weit das überzeugend ist, darüber kann man natürlich gern kontrovers weiter diskutieren. Aber ich schätze eher sachliche Formulieren als polemische wie diese...
Mit Ethik im eigentlichen Sinne hat das alles somit erschreckend wenig zu tun. Dort, wo der Begriff Ethik fällt und jemand meint, er wisse das Wesen selbiger aufzuzeigen oder zu übersteigen - wobei der Begriff, wie immer bei Heidegger, sofort und gnadenlos hypostasiert wird und ein ominöses Eigenleben (ob nun seiend oder vom Sein her gedacht) erhält -, muss noch lange keine "Ethik" drin sein.
Naja Ethik im eigentlichen Sinne als Disziplin wird ja von Heidegger kritisch betrachtet (siehe die von mir zitierte Stelle aus dem Humanismusbrief.
So heißt es:
"Auch die Namen wie «Logik», «Ethik», «Physik» kommen erst auf, sobald das
ursprüngliche Denken zu Ende geht. Die Griechen haben in ihrer großen Zeit
ohne solche Titel gedacht. Nicht einmal «Philosophie» nannten sie das Denken. Dieses geht zu Ende, wenn es aus seinem Element weicht. Das Element ist das, aus dem her das Denken vermag, ein Denken zu sein. Das Element ist das eigentlich Vermögende: das Vermögen. Es nimmt sich des Denkens an und bringt es so in dessen Wesen. Das Denken, schlicht gesagt, ist das Denken des Seins. Der Genitiv sagt ein Zwiefaches. Das Denken ist des Seins, insofern das Denken, vom Sein ereignet, dem Sein gehört."
Der übliche Titel "Ethik" ist für Heidegger so gesehen ein philosophiegeschichtiches Verfallsprodukt , denn die Griechen haben in ihrer großen Zeit
ohne solche Titel gedacht".
Und: "Die Tragödien des Sophokles bergen, falls überhaupt ein solcher Vergleich erlaubt ist, in ihrem Sagen das ήθος anfänglicher als die Vorlesungen des Aristoteles über «Ethik». Ein Spruch des Heraklit, der nur aus drei Wortern besteht, sagt so Einfaches, daß aus ihm das Wesen des Ethos unmittelbar ans Licht kommt."
Ich denke Heideggers hat eben wie man anhand dieser Zitate sehen kann , seine Sichtweise auf die Frage der Ethik , der philosophiegeschichtlich bedint ist.
Also wenn Heidegger das ethos auf seine Weise reflektiert , würde ich schon , dass man hier eine "Heideggerssche Ethik" konstatieren kann , die bei Heidegger aus dem Kontext der griechischen Antike heraus rührt . Ich vertrete hier die Gegenauffassung, indem man nämlich auch Heideggers Ethikauffassung in gewisser Weise auch gelten lassen kann .
Der Aufwand ehrt dich zwar, trotz allem ist Quantität nicht zwangsläufig Qualität.
Viele Grüße
Phil[/QUOTE]
Nun ich danke erstmal . Aber ein bisschen sachliche Qualität sollte man einem "längeren" Beitrag zu gestehen, der auf reflektierte Weise auch geschrieben worden ist (und nicht einfach unreflektiert runtergeschrieben worden ist> kurz man hat sich dabei auch was "gedacht"
)
Gute Nacht!
Philosophist