Philosophisticus
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Aus aktuellem Anlass zitiere ich hier aus einem Interview mit dem Philosophen Dieter Thomä über Heidegger und markiere mal die relevanten Passagen auch für diesen Thread:
" BZ: Herr Thomä, war Martin Heidegger ein totalitärer Denker?
Thomä: Heidegger war zumindest zeitweise ein totalitärer Denker, auch wenn die Fachleute streiten, wie lange. Und sein totalitäres Denken war damit verbunden, dass er zeitweise auch im Sinne des Systems der Nationalsozialisten gehandelt hat – vor allem als Rektor der Freiburger Universität 1933 und -34.
BZ: Wie drückt sich dieses totalitäre Denken aus?
Thomä: Zum einen in Heideggers Begeisterung für den Singular. Das klingt jetzt etwas hochgestochen, ich meine damit seinen großen Traum von Einheit und Zusammengehörigkeit, von einem Kollektiv, dem alle bruchlos angehören. Wenn Sie die NS-Texte von ihm aufmerksam lesen, stolpern Sie immer wieder über ein kursiv gesetztes ein: ein Volk, eine Idee, ein Schicksal. Das war meiner Ansicht nach nicht nur ein taktisches Manöver, sondern eine tiefe Sehnsucht, die in seiner Philosophie verankert ist: die Überwindung von Zerrissenheit und Vielheit und die Etablierung einer festen Einheit, die für ihn hauptsächlich mit dem Volk verbunden ist.
BZ: Die homogene Volksgemeinschaft … Thomä: Ja, eine totale Fusion des Einzelnen, der sich opfert, mit der Masse. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: die besondere Rolle, die er den Deutschen zuschreibt. Die totale Einheit, die Heidegger vorschwebt, hat sozusagen einen Vermerk im Kleingedruckten: Es soll sich um die Einheit der Deutschen handeln, andere Völker werden als Gegner angesehen – oder als Völker, die unfähig sind, diese totale Fusion herzustellen. Hier gibt es auch eine Verbindung zu seiner Kritik am Liberalismus und am Judentum, das er als individualistisch sieht.
BZ: Wie handelte Heidegger als "Führer-Rektor" der Freiburger Universität 1933 und 1934?
Thomä: Er hat nicht nur mitgespielt, sondern auch mitgestaltet und seine Rolle beim Umbau der Universität ausgefüllt. Der Titel seiner berühmten Antrittsrede als Rektor – "Die Selbstbehauptung der deutschen Universität" – darf nicht so verstanden werden, als hätte er die Universität gegen Attacken von außen verteidigen wollen. Das Wort "Selbstbehauptung" meint in diesem Zusammenhang, dass die Universität sich nur behaupten kann, wenn sie Teil dieser neuen, großen Bewegung wird.
BZ: Auch nach dem Krieg hat sich Heidegger noch abwertend über Juden geäußert und sich zum Beispiel – passend zu unserem Thema – gegen eine Heinrich-Heine-Straße in Meßkirch ausgesprochen. War Heideggers Antisemitismus über 1945 hinaus stabil?
Thomä: In den von ihm veröffentlichten Schriften hat er sich mit antisemitischen Äußerungen zurückgehalten; inzwischen kennen wir einige wenige Briefe und seine "Schwarzen Hefte" aus der frühen Nachkriegszeit. Er sah wohl keinen Grund, von seinen Urteilen abzurücken. Nach seinem Schema vollendete sich in dieser Zeit ja, was er mit den Juden in Zusammenhang bringt, nämlich die totale Vergessenheit des Seins im Zeichen der Technik – und er stellt einen Zusammenhang her zwischen der Wirtschaftstätigkeit der Juden und dem von ihm kritisierten Siegeszug der Technik.
BZ: Lassen sich Denken und politisch-gesellschaftliche Haltung bei Heidegger trennen?
Thomä: Nein, das lässt sich nicht trennen – das lässt sich bei keinem Philosophen trennen, der sich mit der Lage der Welt, mit Zeitdiagnose beschäftigt hat. Daraus folgt aber nicht, wie manche Kritiker sagen, dass Heideggers Philosophie von Anfang bis Ende nationalsozialistisch sei. Schließlich hat er 1912 seine ersten Texte veröffentlicht. Man muss genau schauen, wofür seine Politik und seine Philosophie in welchen Phasen seines Lebens stehen und wie sie zusammenhängen. "
Ich denke , dass Thomä gerade in den letzten beiden Absätzen dies gut auf den Punkt bringt.
http://www.badische-zeitung.de/frei...-philosophen-martin-heidegger--129836418.html
" BZ: Herr Thomä, war Martin Heidegger ein totalitärer Denker?
Thomä: Heidegger war zumindest zeitweise ein totalitärer Denker, auch wenn die Fachleute streiten, wie lange. Und sein totalitäres Denken war damit verbunden, dass er zeitweise auch im Sinne des Systems der Nationalsozialisten gehandelt hat – vor allem als Rektor der Freiburger Universität 1933 und -34.
BZ: Wie drückt sich dieses totalitäre Denken aus?
Thomä: Zum einen in Heideggers Begeisterung für den Singular. Das klingt jetzt etwas hochgestochen, ich meine damit seinen großen Traum von Einheit und Zusammengehörigkeit, von einem Kollektiv, dem alle bruchlos angehören. Wenn Sie die NS-Texte von ihm aufmerksam lesen, stolpern Sie immer wieder über ein kursiv gesetztes ein: ein Volk, eine Idee, ein Schicksal. Das war meiner Ansicht nach nicht nur ein taktisches Manöver, sondern eine tiefe Sehnsucht, die in seiner Philosophie verankert ist: die Überwindung von Zerrissenheit und Vielheit und die Etablierung einer festen Einheit, die für ihn hauptsächlich mit dem Volk verbunden ist.
BZ: Die homogene Volksgemeinschaft … Thomä: Ja, eine totale Fusion des Einzelnen, der sich opfert, mit der Masse. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: die besondere Rolle, die er den Deutschen zuschreibt. Die totale Einheit, die Heidegger vorschwebt, hat sozusagen einen Vermerk im Kleingedruckten: Es soll sich um die Einheit der Deutschen handeln, andere Völker werden als Gegner angesehen – oder als Völker, die unfähig sind, diese totale Fusion herzustellen. Hier gibt es auch eine Verbindung zu seiner Kritik am Liberalismus und am Judentum, das er als individualistisch sieht.
BZ: Wie handelte Heidegger als "Führer-Rektor" der Freiburger Universität 1933 und 1934?
Thomä: Er hat nicht nur mitgespielt, sondern auch mitgestaltet und seine Rolle beim Umbau der Universität ausgefüllt. Der Titel seiner berühmten Antrittsrede als Rektor – "Die Selbstbehauptung der deutschen Universität" – darf nicht so verstanden werden, als hätte er die Universität gegen Attacken von außen verteidigen wollen. Das Wort "Selbstbehauptung" meint in diesem Zusammenhang, dass die Universität sich nur behaupten kann, wenn sie Teil dieser neuen, großen Bewegung wird.
BZ: Auch nach dem Krieg hat sich Heidegger noch abwertend über Juden geäußert und sich zum Beispiel – passend zu unserem Thema – gegen eine Heinrich-Heine-Straße in Meßkirch ausgesprochen. War Heideggers Antisemitismus über 1945 hinaus stabil?
Thomä: In den von ihm veröffentlichten Schriften hat er sich mit antisemitischen Äußerungen zurückgehalten; inzwischen kennen wir einige wenige Briefe und seine "Schwarzen Hefte" aus der frühen Nachkriegszeit. Er sah wohl keinen Grund, von seinen Urteilen abzurücken. Nach seinem Schema vollendete sich in dieser Zeit ja, was er mit den Juden in Zusammenhang bringt, nämlich die totale Vergessenheit des Seins im Zeichen der Technik – und er stellt einen Zusammenhang her zwischen der Wirtschaftstätigkeit der Juden und dem von ihm kritisierten Siegeszug der Technik.
BZ: Lassen sich Denken und politisch-gesellschaftliche Haltung bei Heidegger trennen?
Thomä: Nein, das lässt sich nicht trennen – das lässt sich bei keinem Philosophen trennen, der sich mit der Lage der Welt, mit Zeitdiagnose beschäftigt hat. Daraus folgt aber nicht, wie manche Kritiker sagen, dass Heideggers Philosophie von Anfang bis Ende nationalsozialistisch sei. Schließlich hat er 1912 seine ersten Texte veröffentlicht. Man muss genau schauen, wofür seine Politik und seine Philosophie in welchen Phasen seines Lebens stehen und wie sie zusammenhängen. "
Ich denke , dass Thomä gerade in den letzten beiden Absätzen dies gut auf den Punkt bringt.
http://www.badische-zeitung.de/frei...-philosophen-martin-heidegger--129836418.html