"Die einzige Form nämlich die hier angebracht ist, muss Folgendes zum Thema haben: Heideggers Denken selbst hat sich durch und durch als eine Fundamentalethik entworfen.
Das und nur das geht aus den Ausführungen Nancys hervor und wurde von mir inzwischen mehrfach kritisiert, worauf du leider bisher nicht eingegangen bist: In Heideggers Denken sei seine (bzw. "die") Ethik schon enthalten und mitgedacht. Diese Behauptung mag aus Sicht eines Heideggerianers eingängig und wohlklingend anmuten, aber aus der Perspektive eines kritischen Denkens wird hier eine Fraglichkeit (Heideggers "Ethik"-Konzept) durch eine andere (Heideggers "Denken") erklärt bzw. begründet und umgekehrt. Du musst schon verstehen, dass das einen Kritiker nicht wirklich begeistern und schon gleich nicht überzeugen kann.
Diese sogen. "ursprüngliche Ethik" ist jedoch nicht minder substanzlos wie Heideggers Denken selbst: Es kreist nur um sich und blendet die Wirklichkeit kurzerhand aus, ohne sich näher auf sie einzulassen; das finde ich nicht mal hauptsächlich problematisch - schlimm ist allerdings, dass diese großspurige Ausblendung das Wesensmerkmal des gesamten philosophischen Konstruktes ist. Diese plumpe Ablehnung und Abwertung jeglicher humanitären Errungenschaft (den Wissenschaften schlechthin) ist das Gerüst, auf dem Heidegger aufbaut. Ohne die fortwährende Verunglimpfung der Rationalität (was das auch immer sein sollte, hier bleibt Heidegger stets erschreckend oberflächlich und nichtssagend, da er Selbstverständlichkeiten und Vorurteile bedient und nutzt, anstatt sie philosophisch anständig sowie seriös zu problematisieren und hinterfragen) würde Heideggers Geschreibe alsogleich in sich zusammenfallen wie ein schlecht gebautes Kartenhaus.
Sobald man erkennt, dass Heidegger fortwährend gegen Strohmänner kämpft und sein vorgeblich geniales intellektuelles Tun somit nicht tief und weise ist, sondern vielmehr auf eigentümliche Weise dumm-dreist und borniert daher kommt, wirkt seine "Philosophie" nur noch lächerlich und albern.
Mir geht es vielmehr um einen entscheidenden Hinweis, der, wie ich behaupte , in seinem Text selbst zu finden ist, und es wird unsere (ja unsere, nicht seine) Aufgabe sein , zu analysieren, wie gehaltvoll er ist, aber auch seine Grenze nachzuzeichnen oder die notwendigen Korrekturen oder Ergänzungen anzubringen.
Fassen wir mal zusammen: Heideggers "Ethik" ist in seinen Texten versteckt und wenn wir nicht fähig sind, diese zu sehen, sind wir selbst daran schuld und nicht Heidegger. Nebenbei: Nancy gibt selbst zu, dass er das lediglich behauptet.
Ich finde, dass ein Philosoph uns etwas zu sagen haben sollte und nicht wir durch sein Geschreibe ihm etwas beibringen müssen.
Der Brief über den Humanismus kündigt sich in seinem allerersten Satz ebenso schwungvoll wie knapp als eine Reflexion über das Handeln an. Die Frage des Humanismus ist für Heidegger klar und deutlich die Frage nach dem, was der Mensch sei (nach seiner humanitas), insofern er zu handeln oder >sich zu verhalten> hat."
Das ist doch - sorry für die klaren Worte - absoluter Quatsch. Der sogen. "Brief über den Humanismus" ist eine Absage an die Humanität als solche. Menschliches Handeln wird hier entmenscht und in Heideggers Seinsgespinste verlegt. Wenn man diesem Geschreibe etwas entnehmen kann, dann ist das die klare Botschaft, dass der Mensch und sein Selbstverständnis von Humanität sowie Handeln etc. von einem höheren Geschick bestimmt sind, von dem her sich die eigentlichen Bestimmungen erst zutragen.
Mal eine diesbezüglich wohl mehr als eindeutige Textstelle aus dem Hum.Brief:
Der Mensch ist vielmehr vom Sein selbst in die Wahrheit des Seins "geworfen", daß er, dergestalt ek-sistierend, die Wahrheit des Seins hüte, damit im Lichte des Seins das Seiende als das Seiende, das es ist, erscheine. Ob es und wie es erscheint, ob und wie der Gott und die Götter, die Geschichte und die Natur in die Lichtung des Seins hereinkommen, an- und abwesen, entscheidet nicht der Mensch. Die Ankunft des Seienden beruht im Geschick des Seins. (Martin Heidegger, "Humanismus", S. 19)
So weit, so typisch nichtssagend und wie immer dreht sich alles nur um Sein und Seiendes in Heideggerscher Spielart als Schwarz/Weiß-Denken in Reinform.
Fatal jedoch - gerade im Hinblick auf die Aussagen in den "Schwarzen Heften" - ist dann etwa folgender Passus:
Insofern das Denken sich in seine Aufgabe bescheidet, gibt es im Augenblick des jetzigen Weltgeschickes dem Menschen eine Weisung in die anfängliche Dimension seine geschichtlichen Aufenthaltes. Indem das Denken dergestalt die Wahrheit des Seins sagt, hat es sich dem anvertraut, was wesentlicher ist als alle Werte und jegliches Seiende. (Ebd., S. 37)
Wir erinnern uns daran: Das "Judentum" ist das Seiende schlechthin, die Berechnung in Reinform, das dem Geschichtlichen als Geschichtsloses gegenübersteht und beim "Übergang" in den "anderen Anfang" überwunden werden muss und sich gleichsam selbst überwindet: dies liegt im "jetzigen Weltgeschick" begründet. "Alle Werte und jegliches Seiende" ist dem Walten dieses Geschickes wesentlich nachgeordnet.
Na dann: Gute Nacht Humanismus, lebewohl Vernunft - wo nur ist mein Hirtenstab, damit ich meiner zugedachten Rolle als "Hirt des Seins" genügen und das "Sein" und dessen "Geschick" beim ruchlosen Walten behüten kann? In der Tat eine "ursprüngliche Ethik", wie sie ursprünglicher nicht sein könnte...
Mit Ethik im eigentlichen Sinne hat das alles somit erschreckend wenig zu tun. Dort, wo der Begriff Ethik fällt und jemand meint, er wisse das Wesen selbiger aufzuzeigen oder zu übersteigen - wobei der Begriff, wie immer bei Heidegger, sofort und gnadenlos hypostasiert wird und ein ominöses Eigenleben (ob nun seiend oder vom Sein her gedacht) erhält -, muss noch lange keine "Ethik" drin sein.
PS: Allein der Aufwand bzw. die Länge eines/dieses Beitrages zeigt ja im Grunde welchen sachlichen und zeitlichen Aufwand man hier leistet
Der Aufwand ehrt dich zwar, trotz allem ist Quantität nicht zwangsläufig Qualität.
Viele Grüße
Phil