Mein klares Urteil lautet (nach Jahren der Auseinandersetzung): Ja, Heidegger war ein Mystiker und das, was von seinen Texten bisher öffentlich vorliegt, belegt dies.
Eine allgemeine Anmerkung vorweg: da dies wieder ein längerer Beitrag ist (dafür aber auch interessant), hoffe ich jetzt in meiner Antwort so weit es geht allen Punkten gerecht werden zu können inhaltlich. Ob mir das immer gelingt, lasse ich mal offen. Das ganze ist natürlich zeitaufwendig (und durchaus komplex), hat aber meines Erachtens auch eine interessante Seite, wenn man so will. Insofern lohnt sich hoffentlich der ganze Aufwand in gewisser (für beide Seiten , welche hier miteinander debattieren).
Nun , da wäre erstmal zu ermessen, was du generell unter Mystik versteht bzw. was für dich ein Mystiker ausmacht. Dieser Begriff müsste in seiner semantischen Breite geklärt sein , um zu sehen ob und inwieweit er auf Heidegger übertragbar ist. Das ganze müsste natürlich näher begründet werden, also warum dies Heideggers Texte zeigen und woran dies genau zu erkennen sei. Insofern müsste das sachlich abgewogen werden (damit dies nicht nur rein behauptend ist> es muss dafür ja dann auch eine sachliche Evidenz geben, wenn man diese These verteidigen möchte> also das Heidegger ein (philosophischer) Mystiker war.
Niemand kann/konnte mir bisher irgendwas wirklich Relevantes zu Heideggers "Denken", "Philosophie", "Textproduktion", "Wortspiel", "Sprachkunst" - wie man es auch nennen möchte - sagen. Dass er - je später seine Philosphie wird, desto häufiger und nebulöser - immer auf irgend ein "Sein" verweist und sich alles daraufhin zuspitzt, ist so klar wie (inhaltlich) nichtssagend. Selbst wenn man darauf verzichtet, dieses "Sein" bestimmen zu wollen, bleiben die damit in Zusammenhang stehenden Verweise, Zuschreibungen und begrifflichen Aufgliederungen durchweg unklar und lassen es nicht zu, dass verbindlich verstehbare (d.h. intersubjektive) Gehalte hieraus gewonnen werden können. Auch im akademischen Milieu kann einem diesbezüglich nichts geboten werden: Es wird mit Begriffen und Verweisen gespielt (nach Heideggerscher Manier), nur eben auf 2. Ebene und mehr oder weniger gelungen.
Ich finde das halt bedauerlich, wenn niemand dir etwas "relevantes" zu diesem philosophischen Denken (bisher) zeigen konnte. So wie ich Heidegger durch Lektüre kennen gelernt habe , scheint er aus meiner Perspektive gesehen schon über Themen wie Sprache , Dichtung, , Sozialität ("Mitsein mit Anderen") , die Zeit schon philosophisch relevantes zu sagen . Nur ist halt das "Sein" so ein allgemeines Grundwort, das man es kaum eigentlich näher erklären kann. Ich versuche deine Position nachzuvollziehen und lehne die ja nicht im Vorhinein ab. Es ist aber halt nicht einfach eine anderes Perspektive auf Heidegger, die sehr kritisch ist, nachzuvollziehen. Mein Eindruck ist halt der, dass hier zwei grundverschiedene Sichtweisen auf Heidegger in dieser Diskussion/Debatte auf einander prallen sozusagen. Und da kommen halt dann auch die Differenzen zum tragen, wo man nicht weiß ob dies sog. "unüberbrückbare" philosophische Differenzen sind (was das jeweilige Urteil über Heidegger anbetrifft). Wobei auch ich eine gewisse kritische Sichtweise auf Heidegger habe , allerdings anders situiert und andere Themenpunkte betreffend. Deine Kritik an Heidegger scheint mir da etwas radikaler vermutlich zu sein, während meine eben eher "gemäßigt" ist, auf jedenfall allerdings nicht radikal kritisch. Aber "Heideggerianismus" und dergl. ist mir eben fremd. , auch wenn ich den Eindruck hier vermutlich überwiegend mache, dass ich Heidegger hier (nur) "verteidige". Ich finde meine Position ist da halt differenzierter, was eben vielleicht auch noch klarer werden (sollte).
Ich sehe es also, dass Heidegger seine Begriffe (also die seiner Terminologie) auf das Sein (als eine Art Oberbegriff konzentriert) und sich hieraus sein begriffliches Gedankensystem speist, was ich eben nicht so als "nebulös" oder "nichtsagend" empfinde (jedenfalls nicht so wie du in der Art). Es gibt mittlerweile auch ein Art erstes Lexikon von Heideggers Begrifflichkeit (bei Vetter 2014), wo der Zusammenhang dieser Begriffe gezeigt wird (es sind in diesem Handbuch die wichtigsten Begriffe Heidegger je mit einem Artikel versehen). Ein anderes größeres Heidegger Lexikon soll meines Wissens nach in 2 Jahren erscheinen (und ist auch schon angekündigt):
Produktinfo
Das
Heidegger-Lexikon ist das erste umfassende Begriffslexikon zu Heideggers Philosophie. In ausführlichen Artikeln erläutern die Autoren
zentrale Begriffe und stellen dar, wie sich das
philosophische Vokabular Heideggers entwickelt hat. Charakteristisch sind u. a.
Neologismen,
Umdeutungen alltäglicher Ausdrücke und
möglichst ‚wörtliche‘ Übersetzungen griechischer Termini.
Noch charakteristischer ist für Heideggers Stil aber die eigenwillige Bildung von lexikalisch-semantischen Netzen, in deren Mitte einzelne Grundwörter und Wortstämme stehen.
Dass Heidegger in solchen Netzen denkt, ist für seine Philosophie von früh an bis in die spätesten Texte hinein wesentlich. Wenn man sich aus den Befangenheiten der traditionellen Philosophie lösen will, so reicht es, wie Heidegger denkt, nicht aus, deren Termini durch andere zu ersetzen; erforderlich ist vielmehr, die
Sprachlogik selbst zu verändern. Nichtsdestoweniger steht auch Heideggers philosophisches Werk in vielfältigen rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhängen, die in dem vorliegenden Lexikon in den Blick genommen werden. Darüber hinaus berücksichtigen die Autoren eine große Bandbreite an aktuellen Forschungsperspektiven. So bietet das Lexikon nicht nur eine Einführung in Heideggers philosophische Begrifflichkeiten, sondern stellt zugleich auch ein Forschungshandbuch dar.
Quelle:
https://www.degruyter.com/view/product/457363
Ich hoffe, jedenfalls dass dieses Lexikon so manche Klarheit noch in Heideggers philosophische Terminologie bringen kann und die Zusammenhänge der Begriffe untereinander besser aufzeigt. Zur Zeit ist das eine Handbuch, wo Heideggers Begriffe einigermaßen erklärt werden, das von Vetter (2014). Falls du das schon kennst, kann du mir ja deine Meinung zu dem Lexikon Teil desselben erklären. Falls nicht, kann man darüber gern noch sprechen. In dem Lexikon von Vetter werden jeweils in einem Artikel Begriffe wie "Philosophie" , "Sprache" , "Sein" usw aufgeführt, aus welchen ich auch zitieren kann (und hier eine Austauschmöglichkeit besteht über diese, falls da Interesse besteht).
Ob die begrifflichen Aufgliederungen damit immer noch unklar bleiben für ein Verstehen , könnte man ja vielleicht anhand solcher Lexikon Artikel ggf. prüfen. Mir hat es jedenfalls für das Verständnis dieser Begriffe geholfen. Auch diejenigen, die sich mit Heidegger schon etwas näher befasst haben, kann so ein Lexikon durchaus hilfreich sein und eventuell noch weitere Klarheit bringen. Meiner Meinung nach ist so ein Lexikon gerade im Falle von Heideggers Philosophie eine nützliche Sache (genauso wie ein Hegel Lexikon> denn Hegels Begriffe sind auch nicht ganz so einfach). Und diese Lexikonartikel beziehen sich ja auf Heideggers Schriften selbst, wo man das dann nachlesen kann entsprechend. Ich glaube die Verfasser solcher Artikel habe sich schon dabei um "verstehbare Gehalte" ihrer Artikel bemüht und möchten bestimmt Heideggers Begriffe klar darstellen.
Das es im "akademischen Milieu" Leute gibt, die mehr oder weniger auf Heideggers Begrifflichkeit Bezug nehmen , ist ja klar. Aber hier teilt sich ja das Lager in zwei Teile auf: in die der Heidegger Kritiker (welche mit Heidegger halts nichts anfangen können und diesen daher als nicht relevant abhlehnen ) und eben denjenigen die mit dessen Denken kritisch produktiv umgehen (und auch dessen Begriffe reflektieren> ein Beispiel wäre da Nancy eben, den du vielleicht auf dieser "2.Ebene" ansiedeln würdest).
Ich habe mich jetzt erstmal soweit zu diesem Punkt geäußert. Falls dies für dich nicht befriedigend sein sollte, kannst du das halt thematisieren und dann kann man darauf immer noch weiter eingehen.
Alle anderen Aussagen Heideggers sind (wenn man sie in die intersubjektiv zugängliche Sprache rückübersetzt) triviale Feststellungen - das haben wir ja schon zur Genüge an vielen Beispielen verdeutlicht und ist - wie ich finde - nicht von der Hand zu weisen.
Naja ich finde diese Festellungen nicht ganz so "trivial" , wenn man diese in eine andere Sprache als der Heideggers rückübersetzen würde (welche intersubjektiv zugänglich ist). Denn ich denke "die" Phänomenologie -zu der auch Heidegger für mich zählt- hat eben "altbekanntes" philosophisch neu "sehen" gelernt. Dass das Menschsein durch Sozialität und auch Alterität (Mitsein immer mit "Anderen") fand ich persönlich so vor Heidegger nicht auf den Punkt gebracht . Ob das wirklich so "trivial" ist, weiß ich halt nicht.
Wir hatten es ja schon davon (in einem anderen Thread) und daher weißt du, dass ich diese Unterscheidung nicht mitgehe. Für mich ist Heidegger seinem "Denken" treu geblieben, lediglich seine Ausdrucksform unterscheidet sich, aber das hat einfache Gründe: Als akademischer Neuling schrieb er konventionell und angepasst (er musste schließlich erstmal Fuß fassen im Milieu), sein Hauptwerk "Sein und Zeit" enthält dann bereits das, was er später immer rigoroser und einseitiger (und nicht mehr im pseudo-wissenschaftlichen Gewand) betreibt: Seinsapologie. Auch hier werden zahlreiche neue Begriffe eingeführt und nirgends verbindlich erläutert. Sein Anspruch ist hier schon klar: Ein ganz neues Denken soll geleistet und hierfür eine neue Sprache in Anspruch genommen werden.
Es ist natürlich eine gängige Unterscheidung zwischen dem Heidegger verschiedener Denkphasen zu unterscheiden (macht man im Grunde auch so bei Wittgenstein). Es ist eben Ansichtssache ob man diese Unterscheidung mitmacht oder nicht. Aber sie erklärt halt gewisse Differenzen bei Heidegger zwischen den unterschiedlichen Denkphasen. Man kann dies natürlich auch nur einen Unterschied hinsichtlich der "Ausdrucksform" nennen.
Man kann natürlich dahingehend spekulieren, dass Heidegger als "akademischer Neuling" sich verpflichtet sah "konventionell und angepasst" wissenschaftlich zu sein, was er nach "Etablierung" nicht mehr so sein musste. Es stimmt allerdings, dass Heidegger in seinem Spätwerk Begriffe einführt (wie Gestell oder Geviert), die es in der Phase von Sein und Zeit nicht gab. Ob man diese spätere Entwicklung als "reine Seinsapologie" betrachten sollte, da gehen die Meinungen auseinander. Er hat aber auch Aufsätze (wie Hegel und die Griechen) geschrieben, die eben "im wissenschaftlichen Gewand" erscheinen, also als philosophischer Aufsatz (siehe Vorträge und Aufsätze). Ob man diese Aufsätze auch als "pseudo-wissenschaftlich" betrachten sollte, müsste eigentlich auch von Fall zu Fall geprüft werden.
In gewisser Weise blieb Heidegger seinem philosophischen Denken treu, es gibt aber eben Unterschiede zwischen der "frühen" Philosophie und der späteren. Welche sich auch anhand der Begrifflichkeit zeigen.
Kurzum: Ein Heidegger muss sich gar nicht verständlich machen, denn er versteht die Welt nicht, sondern er denkt "Sein" und darin ist alle Weltlichkeit und alles Verstehen bereits als Derivat enthalten. Heidegger stellt sich über alles und deshalb ist er ein Mystiker und Apologet seiner "Sache". Die Schwäche seiner Mitmenschen kommt ihm in dieser Hinsicht zugute: Wir wollen mitgerissen und vereinnahmt werden, außerdem das beruhigende Gefühl haben, an etwas ganz großem teilzuhaben.
Also ich weiß nicht, ob ich soweit in der Beurteilung gehen würde. Ich glaube schon, dass Heidegger beim Verfassen seiner philosophischen Schriften an eine gewisse Verständlichkeit gedacht , so dass ja auch andere Leser seine Schriften gedanklich nachvollziehen können, was eigentlich sich jeder Philosoph mehr oder weniger bemüht (außer vielleicht Hegel, dessen Sprache ja als schwer verständlich gilt). Heidegger nennt sein philosophischen Anliegen die "Sache des Denkens", welche für ihn natürlich von Wichtigkeit ist. Aber wie meinst du dass, dass er sich "über alles" stellt? Woran machst du das fest als Gestus bei Heidegger? Er reflektiert die Welt und bringt sie ja zum Sein hin, ob diese Verbindung von Sein und Welt überzeugend ist, geschenkt. Man kann dem natürlich entgegenhalten, dass er die "Welt" auch wenn er sie auf seine Weise denkt, vielleicht nicht wirklich versteht.
Das ist genau der Punkt. Der Anschein von Komplexität wird erzeugt und zahlreiche (wenn nicht gar unendlich viele) Interpretationsmöglichkeiten auf Grund des gezielten Verzichts auf jegliche Disambiguierung eröffnet. Das kann man bestenfalls Sprachkunst oder Sprachspiel nennen, mit Philosophie hat das für mich nichts zu tun.
Ich finde das philosophisches Denken per se "unendlich viele Interpretatiosnmöglichkeiten" im Grunde zulässt. Es gibt verschiedene Arten Nietzsche oder Platon oder Aristoteles oder Hegel usw. zu interpretieren, was eben mit der (semantischen) Ambigutität eines philosophischen Denken zu tun hat. Gerade die platonische oder aristotelische oder hegelsche oder kantsche oder nietzsche Denkweise sind durchaus komplex und auch die Begriffe dieser Denkweisen intern in Bezug zu einander stehe . Deren Denkweise ist wirklich "komplex" und ich würde auch Heideggers Denken in diese Reihe eingliedern.
Auch Platon oder Aristoteles (oder auch Hegel) verstanden etwas von Sprachkunst und dennoch ist auch philosophisches Denken damit verbunden, also philosophischer Inhalt und sprachliche Form. Und offen gesagt ich sehe das auch bei Heidegger so, also die Verbindung von philosophischen Inhalten mit sprachlicher Form. Zwar ist Heidegger-Deutsch nicht einfach, aber man kann diese philosophische Sprache und ihre Eigentümlichkeit aktzeptieren (oder nicht). Ich glaube in dem Punkten werden vermutlich die Meinungen weiterhin divergieren. Also für mich ist bei Heidegger ein philosophisches Denken gegeben. Aber dieser Punkt lässt sich ggf. noch weiter thematisieren/vertiefen. Und ich bin ja nicht der einzige, der Heidegger für einen wirklichen Philosophen hält (und teile die Ansicht derjenigen die ihn als Philosophen betrachten).
Außerdem: Nur weil sich ein Text nicht so einfach erklären lässt oder man ihn mehrmals gründlich lesen muss, muss er weder gut noch schlecht sein. Letztlich entscheiden die intersubjektiv greifbaren Inhalte, die entweder vorhanden und tatsächlich komplex/neuartig/tiefgründig etc. sind oder fehlen bzw. ein Missverhältnis von sprachlichem Aufand und inhaltlicher Substanz anzeigen - vorwiegend letzteres trifft auf Heidegger zu.
Das kann natürlich sein. Aber meine Erfahrung ist, dass gerade die komplexen Texte eines Denkers oft eine gehaltvolle philosophische Substanz haben wie ich finde, also z.B. wie bei Hegel und seiner "Phänomenologie". Und bei Hegel kann man dies meines Erachtens (und müsste eigentlich dies in intersubjektiver Weise "konsensfähig" sein> also schwierige philosophische Sprache , dafür aber auch philosophische Substanz, wenn er sich über den "Geist" und die "Sprache" usw. äußert). Und wenn du erlaubst, vergleiche ich hier eben Hegel mit Heidegger in dem Punkt und sage das dies für beide zutrifft.
Sagt man, ja. Einen Vortrag habe ich gehört (Aufzeichnung einer Eröffnungsrede in Freiburg) und fand es sprachlich unglaublich monoton, dafür aber außerordentlich pastoral.
Wie man Heidggers Stimme/Vortragsweise empfindet ist ja auch "Geschmackssache" oder? Der eine findet sie "monoton", der andere eben sehr sachlich. Aber man kann natürlich auch hier Eigenheiten bei Heidegger ausmachen.
Die reden alle nur immer über seine Philosophie, vergleichen Begriffe verschiedener Texte miteinander und versuchen (mehr oder weniger überzeugend) Heideggers wenige halbwegs klare Aussagen (z.B. über die Technik) auf aktuelle Begebenheiten zu beziehen. Dass das allerdings wenig ergiebig sein kann, ergibt sich schon daraus, dass Heidegger die Dinge verachtet und nicht philosophisch analysiert hat. Er hat sie begrifflich "überstiegen" und das wars.
Also ich sehe darin schon eine (intensive) Beschäftigung mit Heideggers Denken bei diesen Philosophen. Wie diese methodisch dabei vorgehen ist ja von Philosoph zu Philosoph unterschiedlich bei der Heidegger-Interpretation. Das sie versuchen dabei Heidegger zu "aktualisieren" für das allgemeine Verständnis scheint mir persönlich nachvollziehbar bzw. legitim zu sein (philosophisch). Also ich finde schon , dass Heidegger nicht nur die Dinge "verachtet" , sondern diese auch phänomenologisch analysiert (wie er dies in Sein und Zeit oder auch anderen Schriften tut). Dabei werden bestimmte Aspekte wie die "Langeweile" oder das Tier/Mensch Verhältnis aus phänomenologischer Perspektive analysiert, was ich persönlich spannend finde, aber auch manchmal etwas "einseitig" empfinde. Man könnte natürlich reflektieren, was man unter "Analyse" hier genau versteht. Denn für mich analysiert Heidegger als Phänomenologe der er auch war eben die unterschiedlichen Dinge, was ich nicht als begriffliches "übersteigen" empfand.
Beruhigend zu erfahren, dass ich ein Subjekt und nicht etwa ein Stein (Objekt) bin.
Nun wir Menschen sind eben nach traditioneller Auffassung Subjekte und habe alle unsere "Subjektivität", unsere subjektive Meinungen, wie auch hier deutlich wird in der Diskussion.
Seiende = Menschen die fragen können = Dasein = Mensch der fragen kann.
Das ist weder gedanklich tief gedacht, noch begrifflich klar formuliert. Stattdessen irgendwelche Begriffszuweisungen, die fragwürdig anmuten und Missverständisse provozieren. Eine Begründung des Daseins als "Dasein" in einem vorher nicht gedachten Sinne ist das jedenfalls mitnichten.
Der Mensch ist eben ein Seiendes das fragen kann. Das unterscheid ihm von anderen Seienden.
"Dieses Seiende , das wir je selbst sind und das unter die Seinsmöglichkeit des Fragens hat, fassen wir terminologisch als Dasein." Und: "Wissenschaften haben als Verhaltungen des Menschen die Seinsart dieses Seienden (Mensch). Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein."
Also ich sehe hier schon eine begriffliche Klarheit. Es wird ja gesagt : 1. das Dasein ist ein Seiendes das fragt und 2. dass der Mensch dieses Seiendes ist und damit das "Dasein"
Aber gut hier wird nicht viel begründet, sondern eher terminologisch "gesetzt". Warum dies "Dasein" bzw. was daran "Dasein" ist, lässt sich nur über den Begriff des Seienden zurcükverfolgen: denn ein Seiendes ist ja da , um es mal etwas trivial/banal zu formulieren...Natürlich kann man diese "Begriffszuweisungen" als "fragwürdig" oder willkürlich empfinden, aber so findet man es bei Heidgger halt meist in Sein und Zeit vor, was eben eine "knappe" und weniger begründende, denn mehr setzenden philosophische Abhandlung ist, die zudem unvollendet blieb (aus Heideggers Sicht).
Kann, muss aber nicht. Und was soll bitteschön "Wissenschaft überhaupt" sein? Wissenschaft ist ein Begriff, der bestimmte menschliche Verhaltensweisen/Einstellungen charakterisiert/beschreibt und ist als abstrakter Begriff lediglich sprachlicher Stellvertreter des eigentlichen Phänomens, das eben nicht "das Ganze" ist, sondern tatsächlich aus einer unglaublich komplexen Vielfalt an Erscheinungsformen besteht, weshalb auch die Idee einigermaßen absurd anmutet, dass Wissenschaft "bestimmbar" sei und zwar durch "wahre Sätze", die in einem "Begründungszusammenhang" stehen. Wissenschaft ist weder wahr noch falsch und sprachlogische Strukturen sind ggf. ein Werkzeug, mehr nicht.
Es ist immerhin eine Möglichkeit Wissenschaft (auch) in diesem Sinne so aufzufassen. Wissenschaftler schaffen ja Wissen indem sie "Forschen" > also Wissen- schaffen sozusagen , wenn man den produktiven Aspekt dabei sieht. Heidegger versteht eben Wissenschaft vom Sein/Seienden her. Heidegger geht auch so weit zu sagen, dass "die Wissenschaft" nicht denkt (so hatte er sich jedenfalls mal geäußert). Aber dieses hängt damit zusammen, dass die Einzelwissenschaften nicht für ihn in der Dimension der Philosophie denken, also das was er unter Denken versteht. Was im Übrigen Wissenschaft ist bzw. ausmacht, wird ja sehr unterschiedlich aufgefasst. Ich habe in diesem Kontext nur Heideggers Wissenschaftsauffassung aufgeführt, die man ja nicht teilen muss, wie du ja selbst sagst. Wissenschaft kann natürlich als "komplexer" aufgefasst, als dies Heidegger mit seiner Auffassung berücksichtigt.
Heidegger war nicht dumm und er sah stets, dass seine Bestimmungen nicht tragfähig sind. Das ist eine überall vorfindbare Strategie von ihm, so auch hier. Anstatt nun aber diesem Mangel adäquat zu begegnen (entweder die eigene Aussage zu relativieren oder die fehlenden Aspekte weiter zu thematisieren), folgt eine nebulöse Aussage, die keinen informativen Gehalt aufweist. Somit scheint es, als habe Heidegger etwas wesentlich durchdrungen. Eigentlich nicht sonderlich schwer zu durchschauen. Eigentlich.
Man kann darin eine "Strategie" sehen, die zu "nebulösen" Aussagen führt, aber ob dies wirklich von Heidegger bewusst so intendiert war, ist glaube ich jetzt meinem Eindruck nach eher spekulativ. Gewiss war er nicht dumm und hat aus "Einsicht" gewisse frühere Denkweisen modifiziert, wo er es für unumgänglich hielt (zum Beispiel der Verzicht auf den Begriff der Ontologie seit der "Einführung in die Metaphysik").
"Sein", "Dasein" und "Existenz" sind synonyme Begriffe. Wer sie inhaltlich differenzieren möchte, muss das gründlich und klar unternehmen und (vor und mit anderen Sprechern) rechtfertigen. Dieser Schritt fehlt bei Heidegger komplett.
Wenn das "Dasein" der Mensch als Seiendes ist, dann kann dieser Begriff nicht mit dem des "Seins" identisch sein (denn das Sein ist "unmenschlich").
Bei Heidegger heißt es:
" Wir wissen nicht, was Sein besagt. Aber schon wenn wir fragen: was ist Sein? halten wir uns in einem Verständnis des ist, ohne dass wir begrifflich fixieren könnten, was das ist bedeutet.Wir kennen nicht einmal den Horizont aus dem her wir den Sinn fassen und fixieren sollten . Dieses durchschnittliche und vage Seinsverständnis ist ein Faktum." > S.5 von SuZ
Das Dasein hat als Seiendes sein Sein > so auf S.7 und: "Sein ist jeweils das Sein eines Seienden" (S.9)
Daher scheint es mir einen Unterscheid zwischen den Begriffen Dasein und Sein bei Heidgger zu geben. Mir ist daher nicht verständlich , warum man die Begriffe Sein und Dasein als Synonym betrachten sollte.
Und weiter: "Das Sein selbst, zu dem sich das Dasein sich so oder so verhalten kann, (...) nennen wir seine eigene Existenz. "
Hier wird im Grunde Sein und Existenz synonym gedacht, was man aber nicht bei Sein und Dasein so sagen kann.
Es gibt aber einen Unterschied zwischen Existenz und Existenzialität (was er den Zusammenhang der ontologischen Strukturen der Existenz nennt> S.12
Ich sehe schon hier an dieser Stelle bei Heidegger eine (inhaltliche) Begriffsdifferenzierung am Werke
Auf S.12 z.B. werden ja die Begriffe Existenz, Existenzialität oder auch existenziales Verstehen eingeführt, was vielleicht für dich begründend genug ist.
Dann bin ich auf das Ergebnis deiner Überlegungen/Analysen gespannt - das meine ich ohne jeden ironischen Unterton.
Nun ich bitte um Verständnis , wenn das Zeit braucht. Jedenfalls ignoriere ich das nicht, möchte solche Sachen aber auch nicht vorschnell "abfertigen" und dergleichen. Ich werde diese Stelle jedenfalls beachten.
Ich sage ja, dass Heidegger seinem "Denken" lebenslang die Treue hält. "Sein und Zeit" unterscheidet sich nicht grundlegend von seinem "Spätwerk".
Nun ich denke , dass dies prinzipiell stimmt. Aber warum sollte er seinem Denken auch "untreu" werden und nicht zu diesem stehen? Ich sehe eher damit eine inhaltliche Kohärenz gegeben.
Heidegger spielt nur mit dem Umstand, dass es "die" Zeit nicht gibt und viele Menschen das aber meinen. Für mich ist das einfach die Feststellnung, dass "Zeit" jede Prozesslichkeit meint und unser Zeitempfinden inhaltliche Differenzierungen (und subjektive Zuschreibungen) und damit "die" Zeit (etwa als Lebenszeit oder Tageszeit etc.) erst einführt.
Auf jedenfall ist ja die Zeitlichkeit für Heidegger eben das, was für ihn einen wesentlichen Charakter des Daseins ausmacht, also seine zeitliche Strukturierung. So kennzeichnet sich allerdings eben Heideggers phänomenologisches Denken über die Zeit .
Eine Anmerkung: Ich habe hier erstmal der Einfachheit halber aus dem Artikel zu wikipedia über Heideggers Terminologie hier zitiert um das Ganze etwas zu verkürzen. Es ist also nicht automatisch mein Verständnis bezüglich Heideggers Zeitdenken damit immer gegeben. Aber solche Artikel können hilfreich sein, um zu sehen, ob man Heidegger so versteht, wie dies andere tun. Wenn man so will hat Heidegger das "subjektive Zeitempfinden" nicht so bedacht wie du das tust (soweit ich das momentan sehe).
Denkfehler: Zeitmessung ist nicht gleich Zeit.
Hier wird ein Gegensatz zwischen physikalischem Umgang mit Prozessen und subjektivem Erfassen konstruiert.
Durch Uhren und deren Zeitmessung wird ja Zeit "verobjektiviert" und das wird ja soweit ich sehe auch in der Physik so betrieben bzw. beruhen solche Uhren eben auf physikalischen Verfahren usw.
Hier kann man natürlich einen "unberechtigten" Gegensatz sehen. Aber ich ich müsste schauen ob das bei Heidegger auch so steht der Form nach oder ob dies der Artikel so bei Heidegger interpretiert.
Eben. Der Umstand, dass der Mensch als reflexives Lebewesen sich künftige Prozesse vorstellen kann (sich z.B. um etwas Sorgen machen), wird als "Sich-vorweg-schon-sein-in-der-Welt)" verkauft (als handle es sich hierbei um eine neue Einsicht) und die plumpe Tatsache, dass man sich nur dann um etwas sorgen kann, wenn man sich als Prozess über Prozesse Gedanken macht (eben "sorgt"), zum "Sinn" des Phänomens der "Sorge" erklärt. Das ist - mit Verlaub - schlichtweg hanebüchender Unfug.
Nun soweit ich aber sehe, wird hier eine entsprechende Einsicht in die Zeitstruktur des menschlichen Daseins gegeben (also Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit). Aber ich muss zugeben der Begriff der "Sorge" (der nicht mit dem üblichen Verständnis aufgefasst werden sollte, also nicht curitas) einer der schwierigsten von Sein und Zeit ist , meines Erachtens. Die Zeitstruktur des Daseins betrifft eben auch das, was Heidegger "Sorge" nennt. Wie weit das eine "neue Einsicht" darstellt, kann man kontrovers diskutieren natürlich.
Der späte Heidegger hat diesen Fehler zumindest insoweit erkannt, als er jenen Unfug nicht länger wissenschaftlich anmutend darzustellen versuchte und sich direkt auf die Prophetie und das unumwundene Bashing jeglicher Rationalität verlegte.
Der späte Heidegger ist jedenfalls nicht mehr ganz so "wissenschaftlich" wie in der Phase von Sein und Zeit würde ich mal sagen. Wenn man das kritisch betrachten möchte, wird er hier zunehmend "esoterischer" oder vielleicht gar "mystischer" und eher weniger "rational".
Das Phänomen "Zeit" ist als Verb besser darstellbar als mit einem Nomen ("Dingwort"); aus diesem grammatischen Phänomen kurzerhand ein philosophisches zu machen, ist Heideggerei in handelsüblicher Manier.
Ich finde das Verb "zeitigen" drückt eben die Zeit als Prozess entsprechend aus. Hier kommt die Grammatik den philosophischen Denken über die Zeit näher.
Habe ich doch schon zur Genüge getan, obwohl der Textkorpus "Sein und Zeit" hier eigentlich kein Thema sein sollte.
Gut, ich kann das jedenfalls etwas besser nachvollziehen, wie du das meinst. Aber wie gesagt , Sein und Zeit wird eben auch in den Schwarzen Heften thematisiert.
Wenn Heidegger nur das und nicht mehr sagen wollte, wäre es inhaltlich trivial und diese Trivialität schwerverständlich dargestellt, wobei allerdings fragwürdig bleibt, weshalb subjektives Zeitempfinden und "die" Zeit als Phänomen nicht differenziert werden (vielmehr in Konkurrenz zueinander stehen).
Inwiefern wäre diese Zeitdifferenzierung als "trivial" anzusehen? Ist diese denn heutzutage so selbsverständlich, dass man diese mit dem menschlichen Leben automatisch immer gleich in Verbindung bringt? Offen gesagt ich kann Heidegger in dem Punkt gedanklich schon folgen und finde das nicht unbedingt so "schwerverständlich" mittlerweile. Hinsichtlich der Differenzierungen welche du bei Heidegger vermisst, kann man halt nur sagen: so findet man es bei Heidegger und kann dann eben den ein oder anderen philosophischen Mangel beklagen.
Zum Subjekt heißt es:
Einer der ersten Aufgaben der Analytik " wird es sein zu erweusebm dass der Ansatz eines zunächst gegebenen Ich und Subjekts den phänomenalen Bestand des Daseins von Grund aus verfehlt" (S.46 von Sein und Zeit)
und: Diese subjektive Welt aber ist dann als zeitlich -tranzendente objektiver als jedes mögliche Objekt (S.366)
"Die Zeit ist weder im Subjekt noch im Objekt vorhanden , weder innen noch außen und ist früher als jede Subjekvitität und Objektivtiät, weil sie die Bedingung der Möglichkeit selbst für dieses früher darstellt." (S.419)
Soweit ich sehe gibt es bei Heidegger kein "subjektives Zeitempfinden" daher (wenn ich das jetzt richtig verstehe).
Müssen tut man nicht, sollen sollte man durchaus. Das sind wir - finde ich - der Philosophie (oder dem, was davon nach Heidegger und Co. noch übrig ist) schuldig.
Nun man kann es natürlich im Sinne der Philosophie bzw. für diese. Ich finde aber das Heideggers Phänomenologie der Zeit dennoch einen nicht unwichtigen philosophischen Beitrag über die Zeit darstellt im 20. Jahrhundert, den man kritisieren kann in mancher Hinsicht, der aber auch die ein oder andere wichtige/interessante Einsicht hat.
Das habe ich nicht ernst gemeint. Der "germanische Antisemitismus" war nur eine Erfindung von mir, um den sogen. "seinsgeschichtlichen" zu problematisieren. Es ist mir wichtig, dies auch so zu verstehen, offenbar war ich hier nicht klar genug.
Ja gut, dann denke ich , ist das nun etwas klarer geworden.
Politik war für Heidegger zu dieser Zeit noch kein Thema (wäre auch nicht im Sinne seiner akadem. Karriere gewesen), daher fehlen auch entsprechende Äußerungen. Allerdings ergänzt "Sein und Zeit" sein späteres Denken bzw. bereitet dieses vor und widerspricht diesem nicht: im Gegenteil.
Den Eindruck habe ich allerdings auch (vielleicht nur im Privaten nicht unwichtig, aber philosophisch vermutlich noch nicht die Relevanz wie später). Sein und Zeit steht natürlich im Zusammenhang zu seinem späteren Denken, aber ich glaube , dass man nicht sagen, dass es den Keim eines "seingeschichtlichen Antisemitismus" in sich enthält bzw diesen nicht vorbereitet.
Auch Hitler war mit Juden befreundet (in seiner "Wiener-Zeit") und hat sich sporadisch für einzelne verwendet (wie übrigens viele Nazis). Trotzdem ist im Rampenlicht von "Mein Kampf" auf der Weltbühne die Auslöschung des Judentums unter seiner Herrschaft unternommen worden.
Wie weit das bei Hitler ging, kann ich nicht beurteilen. Mir ist nur der Antisemitismus von "Mein Kampf" relativ gut bekannt.
Dass sich Heidegger detailliert mit Einzelwissenschaften auseinandersetzte, ist mir völlig neu. Gibt es hierzu Beispiele? Und nein: Es reicht mir nicht, dass er sich mit Aristoteles als Wissenschaftler beschäftigte und sich auf diesen (bzw. sein Verständnis von ihm) bezog.
Ja , es gibt dazu ja auch einen Videobeitrag :
Hier äußert sich Heidegger über das Verhältnis von Philosophie und Physik als Einzelwissenschaft. Ich sehe das als Beispiel. Das ist ja deshalb auch naheliegend , weil Heidegger soweit ich sehe sein Zeitverständnis vermutlich von dem der Physik abgrenzt. Zu den Einzelwissenschaften wie Physik, Mathematik und anderen vgl. auch S.9 unten bis S.10 von Sein und Zeit . Ich habe hier den Eindruck, dass er seinen Ansatz von den der Einzelwissenschaften hier abgrenzt.
Aristoteles hat ja in seiner Physik ein erstes Denken der Zeit gegeben, wovon sich später auch Heidegger kritisch etwas absetzte bzw. aber auch von diesem ausging. Also kein Heidegger ohne Aristoteles.