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Das Ende eines Kult-Philosophen: Die schwarzen Hefte!

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Es kommt ja das Lutherjahr, da darfst du beide huldigen. :D

Nun ich bin gespannt auf das Lutherjahr....

Hier aus dem Antichristen Nietzsches kritische Meinung zu Luther:

61
[1233] Hier tut es not, eine für Deutsche noch hundertmal peinlichere Erinnerung zu berühren. Die Deutschen haben Europa um die letzte große Kultur-Ernte gebracht, die es für Europa heimzubringen gab – um die der Renaissance. Versteht man endlich, will man verstehn, was die Renaissance war? Die Umwertung der christlichen Werte, der Versuch, mit allen Mitteln, mit allen Instinkten, mit allem Genie unternommen, die Gegen-Werte, die vornehmen Werte zum Sieg zu bringen... Es gab bisher nur diesengroßen Krieg, es gab bisher keine entscheidendere Fragestellung als die der Renaissance – meine Frage ist ihre Frage –: es gab auch nie eine grundsätzlichere, eine geradere, eine strenger in ganzer Front und auf das Zentrum losgeführte Form des Angriffs! An der entscheidenden Stelle, im Sitz des Christentums selbst angreifen, hier die vornehmen Werte auf den Thron bringen, will sagen in die Instinkte, in die untersten Bedürfnisse und Begierden der daselbst Sitzenden hineinbringen... Ich sehe eine Möglichkeit vor mir von einem vollkommen überirdischen Zauber und Farbenreiz – es scheint mir, daß sie in allen Schaudern raffinierter Schönheit erglänzt, daß eine Kunst in ihr am Werke ist, so göttlich, so teufelsmäßig-göttlich, daß man Jahrtausende umsonst nach einer zweiten solchen Möglichkeit durchsucht; ich sehe ein Schauspiel, so sinnreich, so wunderbar paradox zugleich, daß alle Gottheiten des Olymps einen Anlaß zu einem unsterblichen Gelächter gehabt hätten – Cesare Borgia als Papst...Versteht man mich?... Wohlan, das wäre der Sieg gewesen, nach dem ich heute allein verlange –: damit war das Christentum abgeschafft! – Was geschah? Ein deutscher Mönch, Luther, kam nach Rom. Dieser Mönch, mit allen rachsüchtigen Instinkten eines verunglückten Priesters im Leibe, empörte sich in Rom gegen die Renaissance... Statt mit[1233] tiefster Dankbarkeit das Ungeheure zu verstehn, das geschehen war, die Überwindung des Christentums an seinem Sitz –, verstand sein Haß aus diesem Schauspiel nur seine Nahrung zu ziehn. Ein religiöser Mensch denkt nur an sich. – Luther sah die Verderbnis des Papsttums, während gerade das Gegenteil mit Händen zu greifen war: die alte Verderbnis, das peccatum originale, das Christentum saß nicht mehr auf dem Stuhl des Papstes! Sondern das Leben! Sondern der Triumph des Lebens! Sondern das große Ja zu allen hohen, schönen, verwegenen Dingen!... Und Luther stellte die Kirche wieder her: er griff sie an... Die Renaissance – ein Ereignis ohne Sinn, ein großes Umsonst! – Ah diese Deutschen, was sie uns schon gekostet haben! Umsonst – das war immer das Werk der Deutschen. – Die Reformation; Leibniz; Kant und die sogenannte deutsche Philosophie; die »Freiheits«-Kriege; das Reich – jedesmal ein Umsonst für etwas, das bereits da war, für etwas Unwiederbringliches... Es sind meine Feinde, ich bekenne es, diese Deutschen: ich verachte in ihnen jede Art von Begriffs- und Wert-Unsauberkeit, von Feigheit vor jedem rechtschaffnen Ja und Nein. Sie haben, seit einem Jahrtausend beinahe, alles verfilzt und verwirrt, woran sie mit ihren Fingern rührten, sie haben alle Halbheiten – Drei-Achtelsheiten! – auf dem Gewissen, an denen Europa krank ist – sie haben auch die unsauberste Art Christentum, die es gibt, die unheilbarste, die unwiderlegbarste, den Protestantismus auf dem Gewissen... Wenn man nicht fertig wird mit dem Christentum, die Deutschen werden daran schuld sein..."

Das nur mal kurz zu Nietzsches Meinung über Luther.

Heidegger sagt in Sein und Zeit folgendes (S.10):

"Die Theologie sucht nach einer ursprünglicheren , aus dem Sinn des Glaubens selbst vorgezeichneten und innerhalb seiner verbleibenden Auslegung des Seins des Menschen zu Gott. Sie beginnt langsam die Einsicht Luthers wieder zu verstehen, daß ihre dogmatische Systematik auf einem <Fundament> ruht, das nicht einem primär glaubenden Fragen entwachsen ist und dessen Begrifflichkeit für die theologische Problematik nicht nur nicht zureicht, sondern sie verdeckt und verzerrt."

Das zu Luther und Heidegger als Beispiel bzw. zu Heidegger und die Theologie.
 
Nun ich bin gespannt auf das Lutherjahr....

Hier aus dem Antichristen Nietzsches kritische Meinung zu Luther:

61
[1233] Hier tut es not, eine für Deutsche noch hundertmal peinlichere Erinnerung zu berühren. Die Deutschen haben Europa um die letzte große Kultur-Ernte gebracht, die es für Europa heimzubringen gab – um die der Renaissance. Versteht man endlich, will man verstehn, was die Renaissance war? Die Umwertung der christlichen Werte, der Versuch, mit allen Mitteln, mit allen Instinkten, mit allem Genie unternommen, die Gegen-Werte, die vornehmen Werte zum Sieg zu bringen... Es gab bisher nur diesengroßen Krieg, es gab bisher keine entscheidendere Fragestellung als die der Renaissance – meine Frage ist ihre Frage –: es gab auch nie eine grundsätzlichere, eine geradere, eine strenger in ganzer Front und auf das Zentrum losgeführte Form des Angriffs! An der entscheidenden Stelle, im Sitz des Christentums selbst angreifen, hier die vornehmen Werte auf den Thron bringen, will sagen in die Instinkte, in die untersten Bedürfnisse und Begierden der daselbst Sitzenden hineinbringen... Ich sehe eine Möglichkeit vor mir von einem vollkommen überirdischen Zauber und Farbenreiz – es scheint mir, daß sie in allen Schaudern raffinierter Schönheit erglänzt, daß eine Kunst in ihr am Werke ist, so göttlich, so teufelsmäßig-göttlich, daß man Jahrtausende umsonst nach einer zweiten solchen Möglichkeit durchsucht; ich sehe ein Schauspiel, so sinnreich, so wunderbar paradox zugleich, daß alle Gottheiten des Olymps einen Anlaß zu einem unsterblichen Gelächter gehabt hätten – Cesare Borgia als Papst...Versteht man mich?... Wohlan, das wäre der Sieg gewesen, nach dem ich heute allein verlange –: damit war das Christentum abgeschafft! – Was geschah? Ein deutscher Mönch, Luther, kam nach Rom. Dieser Mönch, mit allen rachsüchtigen Instinkten eines verunglückten Priesters im Leibe, empörte sich in Rom gegen die Renaissance... Statt mit[1233] tiefster Dankbarkeit das Ungeheure zu verstehn, das geschehen war, die Überwindung des Christentums an seinem Sitz –, verstand sein Haß aus diesem Schauspiel nur seine Nahrung zu ziehn. Ein religiöser Mensch denkt nur an sich. – Luther sah die Verderbnis des Papsttums, während gerade das Gegenteil mit Händen zu greifen war: die alte Verderbnis, das peccatum originale, das Christentum saß nicht mehr auf dem Stuhl des Papstes! Sondern das Leben! Sondern der Triumph des Lebens! Sondern das große Ja zu allen hohen, schönen, verwegenen Dingen!... Und Luther stellte die Kirche wieder her: er griff sie an... Die Renaissance – ein Ereignis ohne Sinn, ein großes Umsonst! – Ah diese Deutschen, was sie uns schon gekostet haben! Umsonst – das war immer das Werk der Deutschen. – Die Reformation; Leibniz; Kant und die sogenannte deutsche Philosophie; die »Freiheits«-Kriege; das Reich – jedesmal ein Umsonst für etwas, das bereits da war, für etwas Unwiederbringliches... Es sind meine Feinde, ich bekenne es, diese Deutschen: ich verachte in ihnen jede Art von Begriffs- und Wert-Unsauberkeit, von Feigheit vor jedem rechtschaffnen Ja und Nein. Sie haben, seit einem Jahrtausend beinahe, alles verfilzt und verwirrt, woran sie mit ihren Fingern rührten, sie haben alle Halbheiten – Drei-Achtelsheiten! – auf dem Gewissen, an denen Europa krank ist – sie haben auch die unsauberste Art Christentum, die es gibt, die unheilbarste, die unwiderlegbarste, den Protestantismus auf dem Gewissen... Wenn man nicht fertig wird mit dem Christentum, die Deutschen werden daran schuld sein..."

Das nur mal kurz zu Nietzsches Meinung über Luther.

Heidegger sagt in Sein und Zeit folgendes (S.10):

"Die Theologie sucht nach einer ursprünglicheren , aus dem Sinn des Glaubens selbst vorgezeichneten und innerhalb seiner verbleibenden Auslegung des Seins des Menschen zu Gott. Sie beginnt langsam die Einsicht Luthers wieder zu verstehen, daß ihre dogmatische Systematik auf einem <Fundament> ruht, das nicht einem primär glaubenden Fragen entwachsen ist und dessen Begrifflichkeit für die theologische Problematik nicht nur nicht zureicht, sondern sie verdeckt und verzerrt."

Das zu Luther und Heidegger als Beispiel bzw. zu Heidegger und die Theologie.

Interessante Gegenüberstellung, Danke!
Das Denken hat immer Gegner (Feinde) so lange Dualismus bestehen bleibt.
Und ich freue mich nicht auf das Lutherjahr!
Für mich zuviel des Guten!
Denn Luther sorgte für noch mehr Unverständnis bei.
 
Nun was Heidegger mit "Sein" meint , ist auch (nicht immer) ganz klar. Aber es ist eben der zentrale Begriff seines Denkens. (..) Kann man denn so einfach sagen, dass Heidegger ein philosophischer Mystiker war?

Mein klares Urteil lautet (nach Jahren der Auseinandersetzung): Ja, Heidegger war ein Mystiker und das, was von seinen Texten bisher öffentlich vorliegt, belegt dies.

Niemand kann/konnte mir bisher irgendwas wirklich Relevantes zu Heideggers "Denken", "Philosophie", "Textproduktion", "Wortspiel", "Sprachkunst" - wie man es auch nennen möchte - sagen. Dass er - je später seine Philosphie wird, desto häufiger und nebulöser - immer auf irgend ein "Sein" verweist und sich alles daraufhin zuspitzt, ist so klar wie (inhaltlich) nichtssagend. Selbst wenn man darauf verzichtet, dieses "Sein" bestimmen zu wollen, bleiben die damit in Zusammenhang stehenden Verweise, Zuschreibungen und begrifflichen Aufgliederungen durchweg unklar und lassen es nicht zu, dass verbindlich verstehbare (d.h. intersubjektive) Gehalte hieraus gewonnen werden können. Auch im akademischen Milieu kann einem diesbezüglich nichts geboten werden: Es wird mit Begriffen und Verweisen gespielt (nach Heideggerscher Manier), nur eben auf 2. Ebene und mehr oder weniger gelungen.

Alle anderen Aussagen Heideggers sind (wenn man sie in die intersubjektiv zugängliche Sprache rückübersetzt) triviale Feststellungen - das haben wir ja schon zur Genüge an vielen Beispielen verdeutlicht und ist - wie ich finde - nicht von der Hand zu weisen.

Man könnte hier zwischen Heidegger I (also der bis zu Sein und Zeit) und Heidegger II unterscheiden (der "spätere", welcher keine wissenschaftlichen Abhandlungen mehr schreibt).

Wir hatten es ja schon davon (in einem anderen Thread) und daher weißt du, dass ich diese Unterscheidung nicht mitgehe. Für mich ist Heidegger seinem "Denken" treu geblieben, lediglich seine Ausdrucksform unterscheidet sich, aber das hat einfache Gründe: Als akademischer Neuling schrieb er konventionell und angepasst (er musste schließlich erstmal Fuß fassen im Milieu), sein Hauptwerk "Sein und Zeit" enthält dann bereits das, was er später immer rigoroser und einseitiger (und nicht mehr im pseudo-wissenschaftlichen Gewand) betreibt: Seinsapologie. Auch hier werden zahlreiche neue Begriffe eingeführt und nirgends verbindlich erläutert. Sein Anspruch ist hier schon klar: Ein ganz neues Denken soll geleistet und hierfür eine neue Sprache in Anspruch genommen werden.

Kurzum: Ein Heidegger muss sich gar nicht verständlich machen, denn er versteht die Welt nicht, sondern er denkt "Sein" und darin ist alle Weltlichkeit und alles Verstehen bereits als Derivat enthalten. Heidegger stellt sich über alles und deshalb ist er ein Mystiker und Apologet seiner "Sache". Die Schwäche seiner Mitmenschen kommt ihm in dieser Hinsicht zugute: Wir wollen mitgerissen und vereinnahmt werden, außerdem das beruhigende Gefühl haben, an etwas ganz großem teilzuhaben.

Aber es ist nicht nur die Terminologie , welche nicht einfach ist, sondern auch sein "Denken" selbst ist insofern komplex, weil die Relation der einzelnen Begriffe (dieser Terminologie) zu einander eben sich nicht so einfach erklären lässt in ein paar Minuten.

Das ist genau der Punkt. Der Anschein von Komplexität wird erzeugt und zahlreiche (wenn nicht gar unendlich viele) Interpretationsmöglichkeiten auf Grund des gezielten Verzichts auf jegliche Disambiguierung eröffnet. Das kann man bestenfalls Sprachkunst oder Sprachspiel nennen, mit Philosophie hat das für mich nichts zu tun.

Außerdem: Nur weil sich ein Text nicht so einfach erklären lässt oder man ihn mehrmals gründlich lesen muss, muss er weder gut noch schlecht sein. Letztlich entscheiden die intersubjektiv greifbaren Inhalte, die entweder vorhanden und tatsächlich komplex/neuartig/tiefgründig etc. sind oder fehlen bzw. ein Missverhältnis von sprachlichem Aufand und inhaltlicher Substanz anzeigen - vorwiegend letzteres trifft auf Heidegger zu.

Dass jemand der soviel über Sprache philosophisch nachgedacht, auch zu Sprachkunst fähig ist, würde mich nicht verwundern. Soweit ich weiß , hielt Heideggern gern Vorlesungen, hat also gern mündlich "doziert" sozusagen. Und seine Vorlesungen waren ja auch gut besucht , soweit ich weiß. Es gibt sogar Heidegger-Hörbücher, wo einzelne seiner Vorträge im Originalton zu hören. Wie gesagt er hatte ein Faible für die gesprochene Sprache...

Sagt man, ja. Einen Vortrag habe ich gehört (Aufzeichnung einer Eröffnungsrede in Freiburg) und fand es sprachlich unglaublich monoton, dafür aber außerordentlich pastoral.

Gegenwärtige Philosophen, die sich mit Heidegger kritisch beschäftigen, kann man hier nennen und deren eigene Bücher/Texte zeigen ja ein Verständnis der Inhalte von Heideggers "Philosophie", sonst könnten sie diese Inhalte ja gar nicht kritisch thematisieren.

Die reden alle nur immer über seine Philosophie, vergleichen Begriffe verschiedener Texte miteinander und versuchen (mehr oder weniger überzeugend) Heideggers wenige halbwegs klare Aussagen (z.B. über die Technik) auf aktuelle Begebenheiten zu beziehen. Dass das allerdings wenig ergiebig sein kann, ergibt sich schon daraus, dass Heidegger die Dinge verachtet und nicht philosophisch analysiert hat. Er hat sie begrifflich "überstiegen" und das wars.

Mein Eindruck ist - wenn ich das sagen darf- dass du hier eben aus "subjektiver Position" spricht (also die eigene Subjektivität ins Spiel dabei kommt).

Beruhigend zu erfahren, dass ich ein Subjekt und nicht etwa ein Stein (Objekt) bin.

"Dieses Seiende , das wir je selbst sind und das unter die Seinsmöglichkeit des Fragens hat, fassen wir terminologisch als Dasein.

Seiende = Menschen die fragen können = Dasein = Mensch der fragen kann.
Das ist weder gedanklich tief gedacht, noch begrifflich klar formuliert. Stattdessen irgendwelche Begriffszuweisungen, die fragwürdig anmuten und Missverständisse provozieren. Eine Begründung des Daseins als "Dasein" in einem vorher nicht gedachten Sinne ist das jedenfalls mitnichten.

und S.11: "Wissenschaft überhaupt kann als das Ganze eines Begründungszusammenhangs wahrer Sätze bestimmt werden.

Kann, muss aber nicht. Und was soll bitteschön "Wissenschaft überhaupt" sein? Wissenschaft ist ein Begriff, der bestimmte menschliche Verhaltensweisen/Einstellungen charakterisiert/beschreibt und ist als abstrakter Begriff lediglich sprachlicher Stellvertreter des eigentlichen Phänomens, das eben nicht "das Ganze" ist, sondern tatsächlich aus einer unglaublich komplexen Vielfalt an Erscheinungsformen besteht, weshalb auch die Idee einigermaßen absurd anmutet, dass Wissenschaft "bestimmbar" sei und zwar durch "wahre Sätze", die in einem "Begründungszusammenhang" stehen. Wissenschaft ist weder wahr noch falsch und sprachlogische Strukturen sind ggf. ein Werkzeug, mehr nicht.

Diese Definition ist weder vollständig, noch trifft sie die Wissenschaft in ihrem Sinn. Wissenschaften haben als Verhaltungen des Menschen die Seinsart dieses Seienden (Mensch). Dieses Seiende fassen wir terminologisch als Dasein.

Heidegger war nicht dumm und er sah stets, dass seine Bestimmungen nicht tragfähig sind. Das ist eine überall vorfindbare Strategie von ihm, so auch hier. Anstatt nun aber diesem Mangel adäquat zu begegnen (entweder die eigene Aussage zu relativieren oder die fehlenden Aspekte weiter zu thematisieren), folgt eine nebulöse Aussage, die keinen informativen Gehalt aufweist. Somit scheint es, als habe Heidegger etwas wesentlich durchdrungen. Eigentlich nicht sonderlich schwer zu durchschauen. Eigentlich.

und S.12: "Das Sein selbst, zu dem das Dasein sich oder so verhalten kann und immer irgendwie verhält, nennen wir Existenz".

"Sein", "Dasein" und "Existenz" sind synonyme Begriffe. Wer sie inhaltlich differenzieren möchte, muss das gründlich und klar unternehmen und (vor und mit anderen Sprechern) rechtfertigen. Dieser Schritt fehlt bei Heidegger komplett.

Ich werde mir im Übrigen auch diese Stelle ausdrucken und mehrmals durchlesen. Denn hier eine vorschnelle Antwort zu geben, scheint mir eher fahrlässig und oberflächlich zu sein und nicht der Komplexität derselben gerecht zu werden.

Dann bin ich auf das Ergebnis deiner Überlegungen/Analysen gespannt - das meine ich ohne jeden ironischen Unterton.

Aber dieses Modell der dreifältigen Zeit (also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) findet man schon in Sein und Zeit thematisiert , wie ich finde. Und zwar in den späteren Paragrafen so ab §65 bis 73 und vielleicht auch darüber hinaus.

Ich sage ja, dass Heidegger seinem "Denken" lebenslang die Treue hält. "Sein und Zeit" unterscheidet sich nicht grundlegend von seinem "Spätwerk".

das Dasein wird nicht primär durch eine ihm externe Zeit bestimmt, sondern bringt die Zeitlichkeit als etwas ihm zugehöriges gleichsam mit.

Heidegger spielt nur mit dem Umstand, dass es "die" Zeit nicht gibt und viele Menschen das aber meinen. Für mich ist das einfach die Feststellnung, dass "Zeit" jede Prozesslichkeit meint und unser Zeitempfinden inhaltliche Differenzierungen (und subjektive Zuschreibungen) und damit "die" Zeit (etwa als Lebenszeit oder Tageszeit etc.) erst einführt.

Die messbare Zeit der Physik ist daher erst eine nachträglich veräußerlichte und verdinglichte Form der ursprünglichen Zeitlichkeit des Dasein.

Denkfehler: Zeitmessung ist nicht gleich Zeit.
Hier wird ein Gegensatz zwischen physikalischem Umgang mit Prozessen und subjektivem Erfassen konstruiert.

Daher ist entsprechend der Bestimmung des Daseins als Sorge, nämlich als Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden) die Zeitlichkeit für die gesamte Sorgestruktur als grundlegend: Zeitlichkeit ist der Sinn der Sorge.

Eben. Der Umstand, dass der Mensch als reflexives Lebewesen sich künftige Prozesse vorstellen kann (sich z.B. um etwas Sorgen machen), wird als "Sich-vorweg-schon-sein-in-der-Welt)" verkauft (als handle es sich hierbei um eine neue Einsicht) und die plumpe Tatsache, dass man sich nur dann um etwas sorgen kann, wenn man sich als Prozess über Prozesse Gedanken macht (eben "sorgt"), zum "Sinn" des Phänomens der "Sorge" erklärt. Das ist - mit Verlaub - schlichtweg hanebüchender Unfug.

Der späte Heidegger hat diesen Fehler zumindest insoweit erkannt, als er jenen Unfug nicht länger wissenschaftlich anmutend darzustellen versuchte und sich direkt auf die Prophetie und das unumwundene Bashing jeglicher Rationalität verlegte.

Die Zeitlichkeit ist nicht etwas in der Welt, sondern sie zeitigt sich.

Das Phänomen "Zeit" ist als Verb besser darstellbar als mit einem Nomen ("Dingwort"); aus diesem grammatischen Phänomen kurzerhand ein philosophisches zu machen, ist Heideggerei in handelsüblicher Manier.

Eigentlich hättest du daher schon bezüglich Sein und Zeit von begriffsleeren Setzungen sprechen können.

Habe ich doch schon zur Genüge getan, obwohl der Textkorpus "Sein und Zeit" hier eigentlich kein Thema sein sollte.

Das "Dasein", das menschliche trägt in sich seine eigene Vergangenheit , lebt in der Gegenwart und ist "zugleich" auf die "Zukunft" hinausgerichtet. Und das ist was die Struktur des menschlichen Lebens in Bezug auf die Zeit ausmacht. Ich finde diese Einsicht Heideggers nachvollziehbar für einen Leser dargestellt.

Wenn Heidegger nur das und nicht mehr sagen wollte, wäre es inhaltlich trivial und diese Trivialität schwerverständlich dargestellt, wobei allerdings fragwürdig bleibt, weshalb subjektives Zeitempfinden und "die" Zeit als Phänomen nicht differenziert werden (vielmehr in Konkurrenz zueinander stehen).

Man kann diese Zeitphänonomenologie Heideggers natürlich kritisieren im Hinblick auf das "menschliche Zeitempfinden", aber man muss es nicht.

Müssen tut man nicht, sollen sollte man durchaus. Das sind wir - finde ich - der Philosophie (oder dem, was davon nach Heidegger und Co. noch übrig ist) schuldig.

Gut , dann scheint das ja klar zu sein, dass es sich um zwei unterschiedliche Typen von Antisemitimus im Grunde handelt.

Das habe ich nicht ernst gemeint. Der "germanische Antisemitismus" war nur eine Erfindung von mir, um den sogen. "seinsgeschichtlichen" zu problematisieren. Es ist mir wichtig, dies auch so zu verstehen, offenbar war ich hier nicht klar genug.

die Philosophie von Sein und Zeit ist nicht rassistisch (es gibt in Sein und Zeit keinen Rassismus und keinen Antisemitismus).

Politik war für Heidegger zu dieser Zeit noch kein Thema (wäre auch nicht im Sinne seiner akadem. Karriere gewesen), daher fehlen auch entsprechende Äußerungen. Allerdings ergänzt "Sein und Zeit" sein späteres Denken bzw. bereitet dieses vor und widerspricht diesem nicht: im Gegenteil.

Man kann es vielleicht so sagen: sein Antisemitismus hängt mit seiner Philosophie zusammen (jedenfalls was die Seinsgeschichte anbetrifft> bzw. den seinsgeschichtlichen Antisemitismus). Der Antisemitismus welcher sich in Heideggers Briefen an seinen Bruder Fritz zeigt, ist hingegen nicht seinsgeschichtlich bedingt , wo ich schon ein Beispiel gegeben habe.

Auch Hitler war mit Juden befreundet (in seiner "Wiener-Zeit") und hat sich sporadisch für einzelne verwendet (wie übrigens viele Nazis). Trotzdem ist im Rampenlicht von "Mein Kampf" auf der Weltbühne die Auslöschung des Judentums unter seiner Herrschaft unternommen worden.

Heidegger hat sich mit den Einzelwissenschaften beschäftigt, aber eben auch beklagt, dass sie nicht in den Dimensionen der Philosophie denken. Die Physik erklärt beispielsweise nicht was Zeit ist, aber arbeitet damit.

Dass sich Heidegger detailliert mit Einzelwissenschaften auseinandersetzte, ist mir völlig neu. Gibt es hierzu Beispiele? Und nein: Es reicht mir nicht, dass er sich mit Aristoteles als Wissenschaftler beschäftigte und sich auf diesen (bzw. sein Verständnis von ihm) bezog.

Natürlich setzen sich wissenschaftlich tätige Menschen mit dem Zeitphänomen auseinander. Hat etwa die Relativitätstheorie für dich keinen Erklärungswert?
Das Problem, was du meinst, ist kein philosophisches, sondern ein religiöses: Es wird nach absoluten Antworten verlangt; Erklärung soll endgültige Klärung sein - oder eben alternativ eine endgültige Verklärung, so stehen wenigstens alle gleichermaßen im Nebel und man muss sich mit der eigenen intellektuellen Begrenztheit nicht auseinandersetzen.

Viele Grüße
Phil
 
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